Franziska Sarwey verwandelte die künstlerische Gestaltungskraft einer hoch begabten Bildhauerin in die ungewöhnlichen Fragen und Sehweisen einer Kunsthistorikerin.
Aufgewachsen ist sie in Stuttgart, wo ihr Vater als Jurist und späterer Senatspräsident wirkte. Über die Mutter, aus Berlin stammend, kam sie schon in jungen Jahren durch das Großelternhaus in Verbindung mit dem damaligen Direktor des Kaiser Friedrich Museums, dem genialen Kunsthistoriker Hans Mackowski. Die Wurzeln zu der lebenslangen kunstgeschichtlichen Beschäftigung mit dem Werk Michelangelos und der Renaissance gehen auf diese Begegnung zurück.
Mit 19 Jahren kommt sie in die Bildhauerklasse von Ludwig Habich an der Stuttgarter Kunstakademie. Sie durchläuft eine zur damaligen Zeit noch klassisch-akademische Bildhauerausbildung, wird Meisterschülerin und hat 1925 mit ihrer ersten Ausstellung sofort Erfolg.
In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg war sie zu längeren Studienaufenthalten immer wieder in Florenz, zuletzt im Jahre 1940 zur Ausführung eines Porträtauftrages. Zu dieser Zeit entstand auch die wohl schönste Porträtbüste ihres Freundes, Percy Gothein aus Heidelberg, eines Anhängers Stefan Georges - er gehörte zu den Männern des 20. Juli 1944 und wurde im KZ Neuengamme ermordet.
Fast ihr gesamtes bildhauerisches Werk und ihr Atelier wurden im Bombenkrieg der 40er-Jahre in Stuttgart zerstört. Zu dieser schwer zu verkraftenden Vernichtung ihrer bildhauerischen Existenz kam Anfang der 50er-Jahre noch eine schwere Kopfoperation hinzu, sodass sie vor einem völligen Neuanfang stand. Hammer und Meißel musste sie ganz niederlegen.
Sie, die fließend italienisch spricht, beschäftigt sich nun jahrelang mit Problemen, welche die Kunstgeschichte ungeklärt liegen gelassen hatte. Auch trug die inzwischen durch Edda Ruge erfolgte Begegnung mit der Anthroposophie dazu bei, dass sie kunstgeschichtlichen Hinweisen Rudolf Steiners nachging und sie mit der übrigen Forschung in Einklang zu bringen versuchte.
So hatte schon Herman Grimm in der Michelangelo-Forschung bemerkt, dass mit den in der Medici-Kapelle von Michelangelo gestalteten „Capitani‟, Lorenzo und Giuliano, eine Verwechslung stattgefunden haben musste, da ihre Haltung der „vita activa‟ und der „vita contemplativa‟ nicht mit ihrem Charakter und ihrer Biografie in Übereinstimmung zu bringen waren. Ihr Ziel war, durch Fotomontagen und Literaturhinweise belegt, eine Umstellung der „Capitani‟ zu erreichen, was aus verschiedenen Gründen nicht in Erfüllung ging.
Neue Erkenntnisse brachten auch ihre Betrachtungen zur „Capella Paolina‟ im Vatikan, wo sie die großen Motive Michelangelos, „Die Blendung des Paulus vor Damaskus‟ und „Die Kreuzigung Petri‟ in einen inneren geistigen Zusammenhang brachte. Die rätselhafte Gestalt im Vordergrund, der so genannte „Thraker‟, entdeckte sie wieder in einer Kopie von William Blake, der sie als Joseph von Arimathia identifizierte. So ergaben sich ganz neue Bezüge von der Gralstradition Englands zu Michelangelo hin.
Galt die südliche Komponente ihrer Forschungen Michelangelo und der Renaissance, so die nördliche dem Maler Matthias Grünewald. Zunächst entdeckte sie durch eingehende Betrachtungen am Isenheimer Altar, dass die Seitenflügel vertauscht worden waren. Es gelang ihr, überzeugende Beweise dafür ins Feld zu führen. Eine Umstellung wird vorgeschlagen und kommt - anders als in der Medici-Kapelle - zur Ausführung. Immer tiefer arbeitet sie sich in die esoterische Bildsprache Grünewalds hinein, plant ein groß angelegtes Werk über die noch ungelösten Fragen der Grünewald-Forschung. Eine schwere Krankheit verhindert die Herausgabe ihrer Grünewald-Forschungen, welche erst nach ihrem Tode in verkürzter Fassung erscheinen.
Am 24. August 1976 stirbt Franziska Sarwey in Stuttgart, ihrem Geburtsort.
Lebenslange Freundschaften zeugen von der weltoffenen, warmherzigen Dialogfähigkeit ihrer Künstlerseele. Wenn es um kunstgeschichtliche Fragen ging, wich dieser Wesenszug einer sehr bewussten und kritischen Forscherhaltung. An der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert geboren, trug sie die besten Errungenschaften einer noch universell ausgerichteten Bildung trotz größter schicksalhafter Hemmnisse in das so dramatische 20. Jahrhundert hinein.
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