Rudolf Kutzli begründete die erste Rudolf-Steiner-Heimschule in der französischen Schweiz. Er entwarf und realisierte wunderbare Kulturreisen zu den Ursprüngen Europas.
Seine Kindheit und Jugend verbrachte Kutzli in St. Gallen, in einer Stadt, die durch ihr Kloster, die Stiftsbibliothek und die stetige Pflege der ars lineandi, der Kunst der Linienführung, schon seit dem frühen Mittelalter geprägt war. Später zeichnete Kutzli Metamorphosen der iro-schottischen Initialen nach und folgte auf zahlreichen Studienreisen den Lebenswegen Columbans, St. Gallens Lehrer, nach.
Die Studienjahre führten Kutzli nach Lausanne, Montpellier, Paris und England - dort begegnete er gemeinsam mit Gertrud Schefer, die für gut 60 Jahre seine Gefährtin wurde, der Anthroposophie. 1937 wurden beide Mitglied im St. Galler Ekkehard-Zweig, 1939 heirateten sie kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.
Rudolf Kutzli nahm seine Lehrertätigkeit in einer Internatsschule am Genfersee auf: ein Beruf, den er mit ganzem Herzen ausübte, wo er nur konnte - ob in der Schule, im Treppenhaus eines etruskischen Museums, im Gepäckwagen des Expresszuges Mailand--Catania oder während seines Militärdienstes. Er konnte begeistern und seinen Schülern mit wenigen Worten Zugang zu einer Rechenaufgabe, zu einer geschichtlichen Gestalt oder zu einem bevorstehenden Konzert geben.
Am Genfersee - in Bussigny, dann in Chamby sur Montreux - begründete Kutzli mit seiner Frau die erste Rudolf Steiner-Heimschule der Schweiz, die École-Famille-Montolieu. Es fand dort eine kleinere Anzahl von Kindern vom 1. bis zum 10. Schuljahr in Schule, Freizeit und Familienleben Betreuung. Im Rahmen des Schulunterrichts nach dem Lehrplan der Waldorfschulen wurden besonders die französische Sprache und die künstlerischen und handwerklichen Fächer gepflegt.
Er prägte nicht nur den Unterricht, sondern auch die Gestaltung des Tages- und Jahreslaufs in einer Weise, die den Schülerinnen und Schülern aus aller Welt, die in den kommenden 21 Jahren dort lebten und arbeiteten, oft als die schönste Zeit ihrer Jugend in Erinnerung blieb.
Seit 1969 führte Rudolf Kutzli, außer seiner Dozententätigkeit für Formenzeichnen an Tagungen und Seminaren, regelmäßige Studienreisen durch. Dabei entstanden seine Werke über die langobardische Kunst und die Steine der Bogumilen. Wie kaum ein anderer vermochte Rudolf Kutzli Einzelphänomene an eine Idee anzuknüpfen - ob Franz von Assisi, Arnold von Brescia oder Mani, ob Cassiodor oder Columban, ob Ambonen, Flechtbandkreuze, Steinkreise oder Kabiren: Alles atmete den Impuls seines innerlich wachen Beobachtungs- und Gedankenlebens. Kutzli öffnete damit zahlreichen Menschen den Zugang zum Sehen und Verstehen großer Kulturlandschaften, denn seine Reisen waren ebenso wenig Zufall und Willkür wie sein Geschichtsbild. Es waren immer auch Reisen in die Welt der Ideen, in das Bildhafte der farbigen Umgebung, wie diejenigen in das so spannende und noch zu entdeckende Bildlose des reinen Denkens, zu welchem er einem durch seine Arbeit des Formenzeichnens Zutritt verschaffte.
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Werke: Langobardische Kunst. Die Sprache der Flechtbänder, Stuttgart 1974,
³1986; Die Bogumilen. Geschichte, Kunst, Kultur, Stuttgart 1977; Fausts
Erlösung, Basel 1977; Entfaltung schöpferischer Kräfte, 13 Hefte, Freiburg/Br.
1981-1987, Schaffhausen, Bd. I/II, ³1987; Beiträge in Sammelbänden;
Übersetzung ins Englische und Französische erschienen; Beiträge in CH, EK,
Msch.
Literatur: Scharlau, F.: Formenzeichnen mit Rudolf Kutzli, in: MaD 1979, Nr.
128.
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