Christoph Boy

Boy, Christoph

Waldorflehrer.

*05.11.1887, Nürnberg (Deutschland)

✟08.10.1934, Stuttgart (Deutschland)

Es gibt Lebensläufe, die bleiben ein Geheimnis, sodass man sie nur als Bild fassen kann; der von Christoph Boy ist so einer. Es ist wie bei Eisen, das so lange in der Esse bearbeitet wird, bis daraus ein heller, klingender Stahl entsteht. Als jüngstes von elf Kindern in ärmlichste Verhältnisse hineingeboren, durch einen guten Lehrer gefördert, erarbeitet und erkämpft er sich sein Studium. Die Mutter kann zum Studium nur ein paar neue Schuhe beitragen. Er weigert sich, sie anzunehmen und verschenkt sie an seine Geschwister. Zu Semesterbeginn, auf dem Fahrrad nach Heidelberg, ist sein einziger Besitz ein Zwei-Markstück. Er verschenkt es einem Bettler.

Ab Ostern 1933 ist er durch ein schweres, schmerzvolles Leiden ans Bett gefesselt, bis zu seinem Tod 1934. Er wurde 47 Jahre alt.

Aber in den dazwischen liegenden Jahren offenbart sich ein Klassenlehrer der ersten Waldorfschule in Stuttgart, der gewaltige Willenskräfte in Liebe zu den Schülern verwandelt hat. Eine Willens - und Liebekraft, die sich nicht in Vorträgen, sondern durch sein Sein als Lehrer und Kollege äußerte. Zu Gräfin Keyserlingk, die Boy auf die Anthroposophie aufmerksam gemacht hatte, soll Rudolf Steiner sinngemäß gesagt haben, bei Boy finde man die Pflichttreue noch in den Zehen.

Christoph Boy wurde nicht an die Schule berufen. Er meldete sich per Brief selber bei Rudolf Steiner. Er böte seine Arbeitskraft an, wenn er (Steiner) die nicht brauchen könne, würde er auch sonst seinen Mann im Leben stehen. Rudolf Steiner verliest den Brief in der Konferenz und bemerkt dazu, aus so einem Brief könne man einen Menschen kennen lernen, auch ohne ihn gesehen zu haben. Boy bekommt eine schwierige, durch viele Lehrerwechsel verwilderte 5. Klasse. Er gibt sich zwei Wochen, um die Kinder in die Hand zu bekommen; wenn das nicht gelingen würde, würde er wieder gehen. Das war in seinem 34. Lebensjahr. Seine Klassenführungen waren beispielhaft, die Klassen „trugen sich selbst‟. Disziplin entstand dadurch, dass er seinen Schülern die Ehrfurcht für die Erdendinge und Erdenwerte beibrachte. Die Schüler liebten und verehrten ‚ihren’ Herrn Boy. Eine ehemalige Schülerin warf der Schule vor, ihr nicht genug beigebracht zu haben, jetzt könne sie sich nicht weiterbilden. Boy gab ihr unentgeltlich Nachhilfe, bis sie ihr Ziel erreicht hatte.

Durch seine überragende geistig-seelische Stabilität wurde er nicht nur mit der Geschäftsführung der Schule mitbetraut, sondern auch mit den schwierigen Verhandlungen mit den neuen Machthabern, die sich in Deutschland nach 1933 breit machten. Da war er bereits vom Tode gezeichnet, und er wusste es.

An seinem Krankenbett musizierten die Kollegen, um ihn die Schmerzen vergessen zu machen. Er aber sah das Leiden als einen Liebebeweis der Götter.

Christof Wiechert

Quellen Erwähnungen

N 1928 S. 48
N 1935 S. 27, 82f
N 1968 S. 107
MaD 1950 Nr. 13 Beilage, S. 5
EK 1976 Nr. 11 N. Ruhtenberg
Werke: Beiträge in EK und N; Übersetzung ins Englische erschienen.
Literatur: Molt, E. und B.: Christoph Boy, in: N 1934, Nr. 42; Ruhtenberg, N., Schwebsch, E.: Christoph Boy, dem Waldorflehrer zum Gedächtnis, in: N 1934, Nr. 43; Heydebrand, C. v., Ruhtenberg, N., Hahn, H: Christoph Boy, in: MPK 1950, Nr. 1, auch in: Husemann, G., Tautz, J.[Hrsg.]: Der Lehrerkreis um Rudolf Steiner, Stuttgart 1977; GA 300, Bd. I/II, 1975; Schöffler 1987; GA 259, 1991; Plato, B. v. [Hrsg.]: Anthroposophie im 20. Jahrhundert, Dornach 2003.
Abkürzungen: siehe hier
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