Prof. Dr. Ing. Andrae, Walter Ernst
Archäologe, Architekt.
*18.02.1875, Anger bei Leipzig (Deutschland)
✟28.07.1956, Berlin (Deutschland)
Andrae, Sohn eines Geheimen Baurats, zählt zu den Archäologen von Weltruf. Die Wiedererrichtung der Prozessionsstraße mit dem Ischtar-Tor aus Babylon für das Vorderasiatische Museum Berlins war seine großartige Lebensleistung. Es war der erste große Architektur-Wiederaufbau in einem Museum.
Als angehender Architekt mit humanistischer Gymnasialbildung - er besuchte die berühmte alte Fürstenschule zu Grimma - studierte er an der Dresdner Technischen Hochschule unter namhaften Lehrern wie Cornelius Gurlitt, Franz Weißbach und Albert Wallat. Entschlossen, im Bauberuf voranzukommen, arbeitete er zunächst als Sächsischer Regierungsbauführer, meldete sich aber dann im Winter 1898/99 auf ein Zeitungsinserat hin als Zeichner für Robert Koldeweys Babylonexpedition. Die Begegnung wurde für Andrae zum Schicksalsereignis. Schon 1903 übertrug Koldewey dem 28-Jährigen die Leitung der Ausgrabungen von Assur. Andrae lebte dort bis zum Abschluss der Grabungen (im Frühjahr 1914) elf Jahre lang in der Wüste mit 300-400 arabischen Schürfern und Arbeitern.
Im Ersten Weltkrieg diente Andrae als Offizier im deutschen Orient-Korps auf der Seite der Türken im Stabe des Generalfeldmarschalls Colmar von der Goltz-Pascha. 1922 habilitierte Andrae sich an der Berliner Technischen Hochschule für die Fächer Altorientalische Baukunst und Formenlehre der antiken und der Renaissancekunst. Im selben Jahr noch berief man ihn in die Vorderasiatische Abteilung der Staatlichen Museen Berlin. 1928 wurde er Direktor des Vorderasiatischen Museums. In diesen Jahren kamen die während des Krieges in Bagdad festgehaltenen 500 Kisten mit den Babylon-Funden nach Berlin und weitere 400 mit den Funden aus Assur. In jahrelanger Kleinarbeit konnte Andrae aus Abertausenden von Ziegelbrocken die inzwischen weltbekannte Prozessionsstraße (6. Jh. v. Chr.) mit den Ziegelreliefs der Löwen, Stiere und Drachen rekonstruieren.
Andrae war niemals nur Fachgelehrter. Ihn beschäftigte zunehmend der Geist dieser versunkenen Kulturen. „Die sonst so häufige Härte und Dürre des Historischen war bei ihm gebannt durch die geisteswissenschaftliche Durchleuchtung der äußeren Forschungsresultate.‟ (Demisch 1956)
Etwa Mitte der 20er-Jahre traten die Christengemeinschaft und die Anthroposophie in sein Leben. 1928 wurde er Mitbegründer der Berliner Waldorfschule, in deren Vorstand und Elternschaft er dann wirkte. 1941-44 nahmen er und seine Frau an dem „ökumenischen Arbeitskreis‟ um Pater Georg SJ, dem ehemaligen Kronprinzen von Sachsen, teil, in dem Vertreter der Kirchen und Regimegegner zusammenkamen.
Als Archäologe, Ausgräber und Lehrer war Andrae eine unumstrittene Autorität. 1925 wurde er Ordinarius an der Berliner Technischen Hochschule. 1926 gründete er in Dankbarkeit für seinen ehemaligen Lehrer die Koldewey-Gesellschaft für Bauforschung. Nach 1945 wurde er zum Professor für Baugeschichte an der Technischen Universität Charlottenburg ernannt. Schon 1914 wurde ihm die Leibniz-Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen. 1952 erhielt er das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik.
Andrae schreibt in seinen Lebenserinnerungen, er habe kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, als er in Nazareth stationiert gewesen sei, „erkannt, dass die Not Sehnsucht erzeugt und aus der Sehnsucht die Kraft quillt, die unsere Seele für die heiligen Geheimnisse öffnet. Das Schöne, Große und Erhabene, das Beste, was uns das Leben geben kann, kommt zu uns nur in geöffnete Seelen. Und deshalb können wir dankbar sein für jede Sehnsucht, die uns wird - und auch für jede Not, die wir zu bestehen haben.‟ (Andrae ²1988, S. 242 f.)
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