Franz Michael Geraths gehörte zu den bedeutendsten Heilpädagogen in den frühen Aufbaujahren der anthroposophischen Heilpädagogik, in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, bis hin zu der Differenzierung der heilpädagogischen Arbeit in den 60er-Jahren.
Geraths stammte aus einer Pädagogenfamilie in Mönchengladbach. Er begann zunächst das Studium der katholischen Theologie. Nachdem er jedoch mit den Schriften Luthers in Berührung gekommen war, wandte er sich dem Studium der Philosophie und Philologie (Germanistik) in München zu. Dort lernte er Schriften Rudolf Steiners kennen, zunächst dessen Evangelienzyklen, die maßgeblich für seine Hinwendung zur Anthroposophie wurden. Geraths promovierte mit einer Arbeit über Christian Morgenstern. Diese Arbeit brachte ihn in Verbindung mit Michael Bauer. Schon als 17-Jähriger hatte er immer wieder Kontakt zu Menschen mit Behinderungen gesucht und viele Einrichtungen besucht. Besonders beschäftigte ihn - angesichts der Phänomene von Behinderung - die Frage nach dem Ich des Menschen.
Nach dem Studium in München kam Geraths zunächst an das Pädagogische Seminar in Stuttgart, wo er Eugen Kolisko und Karl Schubert begegnete. In dieser Zeit machte er ein Praktikum in der Hilfsklasse, die Schubert an der Waldorfschule eingerichtet hatte. Anschließend arbeitete er in dem kleinen Heim „Hohe Eiche‟ in Stuttgart-Degerloch, das 1927 von Kolisko begründet worden war. Diese Einrichtung wurde bald zu klein und Franz Michael Geraths und Rose Erlacher gründeten mit Unterstützung von Ita Wegman 1929 das Heil- und Erziehungsinstitut Schloss Mühlhausen (bei Stuttgart). Im Jahr 1930 wurden dort bereits 80 Kinder betreut. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Lage für Menschen mit Behinderungen zunehmend schwierig, für Menschen in Einrichtungen lebensbedrohlich. Aus diesem Grund suchten Geraths und Erlacher eine Möglichkeit, eine Einrichtung in weniger exponierter Lage zu finden. Sie fanden ein Anwesen in Eckwälden, das von Christoph Blumhardt erbaut worden war, später ein Töchterinternat wurde und 1937 als Heil- und Erziehungsinstitut Eckwälden von Geraths und seinen Mitarbeitern übernommen wurde. Hier entstand eine der bedeutendsten und größten Einrichtungen für anthroposophische Heilpädagogik, von der wichtige Impulse für die Gesamtbewegung ausgingen. Auch bei den Behörden machte sich die Einrichtung durch ihre Qualität einen Namen, was wesentlich dazu beitrug, eine drohende Enteignung und Auflösung zu verhindern. Geraths´ unerschrockenes Auftreten bei der Gestapo verhinderte, dass Kinder der Einrichtung dem Euthanasieprogramm T4 zum Opfer fielen.
Während Franz Geraths zum Militärdienst eingezogen war, führte Luise Schweiker das Institut in gleicher Entschiedenheit durch die letzten Kriegsjahre hindurch. Das Institut Eckwälden wurde, anders als die meisten anthroposophischen Einrichtungen in Deutschland, während der Zeit des Nationalsozialismus nicht geschlossen.
Nach dem Krieg kehrte Geraths nach Eckwälden zurück. Das Institut wuchs in den folgenden Jahren mehr und mehr. Wichtige Mitglieder des Kollegiums waren neben Luise Schweiker der Lehrer Wilhelm Seeberger und Paul Meusers als Geschäftsführer, sowie Ulrike Geraths, mit der Franz Geraths in zweiter Ehe verheiratet war. In späteren Jahren kamen u. a. Kurt Vierl und Frits Wilmar, die späteren Leiter der Ausbildung, hinzu.
Im Jahr 1950 wurde das Heilpädagogische Seminar Eckwälden gemeinsam mit dem Michaelshof Hepsisau aufgebaut. Durch die Mitarbeit bedeutender Heilpädagogen und anderer Persönlichkeiten aus der anthroposophischen Bewegung, wie den Ehepaaren Lehrs ( Maria Röschl-Lehrs und Ernst Lehrs) und Hauschka ( Margarethe und Rudolf Hauschka), gewann die Ausbildung eine Schlüsselrolle für die Gewinnung des Mitarbeiternachwuchses in den anthroposophischen Einrichtungen.
Geraths war in diesen Jahren nicht nur ein Kristallisationspunkt in Eckwälden selbst, sondern in der anthroposophisch-heilpädagogischen Bewegung insgesamt. Er war Mitglied des Internationalen Initiativkreises, der die Einrichtungen untereinander verband. Auch gehörte er dem Kreis der Begründer der „Vereinigung der Heil- und Erziehungsinstitute für Seelenpflege-bedürftige Kinder e.V.‟ in Deutschland an. Hier wurden wichtige Schritte nicht nur in der Zusammenarbeit der deutschen Einrichtungen, sondern auch in der Fundierung der anthroposophischen Heilpädagogik im sozialen und sozialpolitischen Feld in Deutschland unternommen.
Geraths´ Name als Vortragender fehlt in fast keinem Programm der heilpädagogischen Tagungen der 50er- und frühen 60er-Jahre. Sein schriftliches Werk hingegen ist eher bescheiden und beschränkt sich auf einige wenige Aufsätze, die in den Zeitschriften „Das Seelenpflegebedürftige Kind‟ oder „Die Drei‟ erschienen.
Große Bedeutung für das Institut hatten die Spiele, die Geraths schrieb und die vor allem die Gestaltung der Jahresfeste und des Gemeinschaftslebens bereicherten. Sie lebten nicht als Einzelereignisse, sondern als wiederkehrende Lebensgestaltung: das Georgsspiel, das Spiel vom Getreuen Johannes u. a., viele von ihnen mit Musik von Else Sittel.
1963 fasste der Heilpädagogische Initiativkreis den Entschluss, die örtlichen Ausbildungseinrichtungen so zu koordinieren, dass nach einer zweijährigen praxisbezogenen Grundausbildung an verschiedenen Orten ein abschließendes Studienjahr folgte. Als Ort dafür wurde Eckwälden gewählt und es entstand 1965 das „Rudolf Steiner-Seminar für Heilpädagogik‟, durch das Eckwälden und das Institut ihre zentrale Bedeutung in der Heilpädagogik weiter ausbauten.
Franz Geraths hatte 1962 - von einer Besprechung über Ausbildungsfragen in Arlesheim kommend - zusammen mit Albrecht Strohschein einen schweren Autounfall erlitten, von dessen Folgen er sich nur schwer und nie wieder völlig erholte. Die Weiterentwicklung des Seminars und der weitere Ausbau des Instituts wurden in den verbleibenden Jahren von ihm noch zu Ende geführt, auch wenn er körperlich zunehmend schwächer wurde. Franz Michael Geraths starb am Nachmittag des 24. Juli 1966, kurze Zeit nach dem Ende des ersten Jahrgangs des heilpädagogischen Studienjahrs, das er mitbegründet und noch intensiv begleitet hatte.
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