Rudolf Meyer

Meyer, Rudolf

Lehrer, Begründer des Studienhauses Hammerberg in Uchte, Goetheforscher.

*06.08.1878, Berlin (Deutschland)

✟24.10.1947, Uchte (Deutschland)

„Ich suchte das Zusammensein mit dem Geiste durch die vom Geiste durch-leuchteten Ideen.‟ Dieses Wort aus Rudolf Steiners „Lebensgang‟ (GA 28, Kap. XI) war ein Leitmotiv in Rudolf Meyers Leben.

Rudolf Meyer sprach von seinem Vater als einem „königlich-preußischen Tisch-lergesellen‟ und seiner Mutter „verdankte das Kind, von ihr noch einmal durch die Poesie zu neuem Leben im Anfange des Bewusstseins und des Verstandes erweckt worden zu sein‟. (Meyer, 1949, S. 4) Beide Eltern waren „Kinder jenes sagenhaften Volksschulmeistergeschlechtes, das, als ehemalige Unteroffiziere, den langen blauen Soldatenrock im Zivildienst des Landschulmeisters in Ehren zu Ende trug ... In diesen Haushalt der Armut hat aber die große Epoche des deutschen Geistes zwischen 1750 und 1830 von ihrem Glanz einen zarten Strahl geworfen, indem die Mutter aus ,Meyers Groschenbibliothek’ im Schein der Petroleumlampe dem staunenden Knaben vorlas und so die Hochblüten deutschen poetischen Geistes das Herz des Knaben öffneten ... Wenn es mir später gelang, als Mann vom strengen Stil Fichtes in die Schule genommen, die vorintellektuelle Wesenswurzel des Menschen als schöpferischen Herrn des Verstandes zur Aktion zu bringen, so ist für diese Tätigkeit von allen Bildungseinflüssen, die ich erfahren habe, nichts so wirkend gewesen als jene poetischen Feierstunden.‟ (ebd., S.5)

Mit 22 Jahren wurde Rudolf Meyer Volksschullehrer in Berlin. Zwei Jahre später hörte er zum ersten Mal Rudolf Steiner. Seit 1908 Mitglied der Theosophischen Gesellschaft erlebte er nicht nur viele Berliner Vorträge, sondern zwischen 1911 und 1913 auch Münchner Zyklen und Mysteriendramen (GA 14). Im August 1919 finden wir ihn unter den 23 Persönlichkeiten, denen Rudolf Steiner unmittelbar vor der Eröffnung der Waldorfschule die Grundlagen der Erziehungskunst vermittelte. Der von Jugend auf gesundheitlich Geschwächte verblieb im Berliner Schuldienst, aber er übernahm, als Rudolf Steiner seinen Wohnsitz nach Dornach verlegte, in außerordentlich selbstständiger, energischer und zielbewusster Art die Leitung des Berliner Zweiges (1919-23/24), hielt nahezu wöchentlich Vorträge und gab Kurse, vor allem über Goethes Farbenlehre in der Urania; 1920 wurde er mit drei Vorträgen über Herbart zu den Rednern des Hochschulkurses am Goetheanum hinzugezogen; in Kopenhagen fand sein umfangreicher Kurs über Goethes Farbenlehre statt. Noch im Oktober 1923 stand Rudolf Meyers Name in dem vom Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland herausgegebenen Verzeichnis der 154 „Vertrauenspersönlichkeiten‟; doch schon im November 1923 kam es zu folgenschweren Zerwürfnissen, von denen sich ein Niederschlag in dem Briefwechsel zwischen Rudolf Steiner und Marie Steiner findet (GA 262). Rudolf Meyer nahm zwar an der Weihnachtstagung teil und wurde Mitglied der Hochschule - in der Folge zog er sich jedoch, nicht ohne Hader und Zweifel an der Anthroposophischen Gesellschaft, aus aller öffentlichen anthroposophischen Tätigkeit zurück. Als er 1931 vorzeitig pensioniert wurde, begann ein völlig neuer Lebensabschnitt, in welchem Motive in den Vordergrund treten konnten, die vorher nur angeklungen waren.

Als Rudolf Meyer mit 42 Jahren die für sein weiteres Leben entscheidende Begegnung mit seiner späteren Frau, der Malerin Edith von Kamptz, geb. Kiel, hatte, war diese gerade im Begriff, sich scheiden zu lassen. Ihrer Kinder wegen zog sie in die Nähe der Stuttgarter Waldorfschule, wo sie auch nach der Heirat, 1924, für weitere sechs Jahre blieb. Umfangreiche Reisen des Paares zu bedeutenden Natur- und Kulturstätten ließen anschaulich werden, was lange schon im Bewusstsein aufgenommen worden war. Jetzt erst wurde auch Weimar besucht. Rudolf Meyer verlegte den Schwerpunkt seiner Studien immer intensiver auf die Naturwissenschaften in befruchtetem Wechsel mit der Geisteswissenschaft und mit der Empfindungssphäre, die ihr die Künste erschlossen.

Häufig weilte das Ehepaar in Uchte, einem abseits gelegenen Ort nördlich von Minden/Westfalen, in welchem Edith Meyers Vater, der Reichstagsabgeordnete Kiel, 1901 ein Haus in alter niedersächsischer Bauweise hatte errichten lassen. Als Edith Meyer dieses Haus erbte und die ersten Luftangriffe auf Berlin gemeldet wurden, entschlossen sich beide, in Uchte zu bleiben. In den weiten Räumen fand die über Jahre aufgebaute und viele tausend Bände umfassende kultur- und geistesgeschichtliche Bibliothek ihre würdige Aufstellung. Seit seiner schweren Operation im Kriegsjahr 1944 konnte Rudolf Meyer seine in Jahrzehnten erarbeitete Erkenntnis in neuem Glanz erleben; durch diese Seelenverfassung wurde das Haus in den anschließenden Kapitulationswirren wie durch ein Wunder gerettet.

Im August 1946 wurde das „Studienhaus Hammerberg‟ begründet, in dem Rudolf Meyer, körperlich schwer leidend, aber geistig souverän, einen zweiten Höhepunkt seines Lebens verwirklichte. Bis zu seinem Tode war ihm nur noch eine Jahresfrist vergönnt, dennoch vermochte er von einer Chaiselongue oder vom Rollstuhl aus eine viele Menschen inspirierende Vortragsarbeit zu leisten. Aus Nord- und Westdeutschland kamen sie - vor allem Landwirte - in seinem Arbeitszimmer zusammen, um in kürzeren oder längeren Tagungen von der Anthroposophie als der Erfüllung des klassischen Humanitätsideals zu hören. Schillers Wort über den idealischen Menschen, den jeder individuelle Mensch in sich trägt, konnte in seiner Realität erlebt werden. Bis in seine Sterbetage hinein war eine dramatische innere Entwicklung wahrzunehmen.

Uwe Densch

Quellen Erwähnungen

MaD 1947 Nr. 3 (kurzer Nachruf)
N 1950 S. 145
N 1956 S. 197
N 1958 S. 127
N 1970 S. 103, 160
Obige Erwähnungen sind vermischt mit solchen des Christengemeinschaftspriesters Rudolf Meyer
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MaD 1950 Nr. 13 Beilage, S. 14
MaD 1966 Nr. 75, S. 72
Werke: Johann Friedrich Herbarts Lehre vom Menschen und dessen Erziehung vom Standpunkte der Anthroposophie, in: Kultur und Erziehung. Anthroposophische Hochschulkurse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft Goetheanum, Stuttgart 1921.
Unveröffentlichte Vortragsmanuskripte vor allem über Goethe und ein umfangreiches Konvolut von Briefen, dem Vernehmen nach über Schillers ästhetische Briefe.
Zahlreiche Stenogramme nach Vorträgen Rudolf Steiners, allerdings in unterschiedlicher Vollständigkeit.
Literatur: Schiller, H.-E.: Rudolf Meyer, in: N 1947, Nr. 50; Leinhas, E.: Rudolf Meyer, in: MaD 1947, Nr. 3; Meyer, E.: Rudolf Meyer. Äußere Stationen und innere Wandlungen, Vervielfältigung 1949; Meyer, E.: Das Studienhaus Hammerberg - wie es wurde. Vervielfältigung ca. 1950; Lindenberg, Chronik 1988; Kühne, W.: Die Stuttgarter Verhältnisse, Schaffhausen 1989; Koepf, H., Plato, B. v.: Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise im 20. Jahrhundert, Dornach 2001; Plato, B. v. [Hrsg.]: Anthroposophie im 20. Jahrhundert, Dornach 2003.
Abkürzungen: siehe hier
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