Johanna Russ

Russ, Johanna

Heileurythmistin, Heilpädagogin, Musikerin.

*24.09.1901, Jena (Deutschland)

✟15.02.1986, Dortmund (Deutschland)

Johanna Ruß war eine willensstarke, geradlinige Persönlichkeit, die sich mit Konsequenz für die Heileurythmie und Heilpädagogik einsetzte.

Der Vater war als Feinmechaniker Mitarbeiter der Firma Zeiß. Die Mutter stammte aus gutbürgerlichem Hause, in dem das Musikalisch-Künstlerische gepflegt wurde. Sie war Pianistin, pflegte Kontakte zu Elly Ney, die in ihrem Hause gelegentlich Konzerte veranstaltete. So war es fast selbstverständlich, dass die Töchter Hilde und Johanna sowohl Geige als auch Klavier spielen lernten.

Nach der Schulzeit studierte Johanna zunächst Musik in Leipzig, brach das Studium jedoch ab und machte eine Eurythmieausbildung bei Alice Fels in Stuttgart.

Bereits 16-jährig hatte sie über die Haaß-Berkow-Gruppe erste Begegnungen mit der Anthroposophie und lernte bald darauf auch Rudolf Steiner kennen. Sie erlebte ihn in den vielfältigsten Situationen: bei dem Ringen um die Gesellschaftsprobleme, die dann zur Gründung der Freien Gesellschaft führten, deren Mitglied sie wurde, bei zahlreichen Vorträgen, bei der Weihnachtstagung. Sie nahm am Sprachgestaltungskurs (GA 282) im Haus Hansi teil, wo sie das Missfallen von Marie Steiner erregte wegen ihres thüringischen Dialektes, der der „Verderber jeder anständigen Sprache‟ sei.

Zurückgekehrt nach Jena erteilte sie Eurythmiekurse in der Stadt und arbeitete eurythmisch mit der Studentengruppe um Friedrich Kübler. Diesem Kreise gehörten zahlreiche Menschen an, die später durch ihr Wirken in anthroposophischen Tätigkeitsfeldern hervortraten: Wilhelm Dörfler, Karl Ege, Friedrich Hiebel, Heinrich und Wilhelm Wollborn, Gerbert Grohmann, Ernst Weißert u.a.

Bald wurde sie an den noch jungen Lauenstein gerufen. Hier erkannte sie ihre Lebensaufgabe: die heilpädagogische Arbeit mit Kindern. Dies erforderte die Notwendigkeit, heileurythmisch wirken zu können, und so ging sie zur Ausbildung zu Julia Bort-Pache an den Sonnenhof nach Arlesheim. Auf Wunsch Ita Wegmans blieb sie am Sonnenhof. Edmund Pracht beteiligte sie an der Entwicklung der Leier. Sie beherrschte das Instrument so ausgezeichnet, dass sie an großen Tagungen mitwirken konnte. Es entstand eine tiefe Beziehung zu Ita Wegman.

1939 bat Ita Wegman sie, mit den meistgefährdeten Kindern nach Brissago zu gehen, wo sie bis 1963 tätig war.

Hier und schon zuvor am Sonnenhof entstanden die „Ball- und Reifenspiele‟ und zahlreiche musikalische und kleine poetische Schöpfungen, die alle aus der Arbeit für die Kinder geschaffen sind. Sie sind anspruchslos, aber pädagogisch außerordentlich hilfreich. Herausragend ist die Vertonung des Olaf Åsteson, die ihren Weg durch die Welt gemacht hat und bis heute in vielen heilpädagogischen Einrichtungen zur Jahreswende aufgeführt wird. Sie entstand im Miterleben von Sterben und Tod von Elisabeth Götte während der zwölf heiligen Nächte. Eine andere viel unbekanntere Komposition ist die „Kappellenmusik‟, die sie für die Beisetzung der Urne Ita Wegmans auf der Motta in Brissago komponierte. Sie ist eine Vertonung des Rosenkreuzer-Spruches. Später erklang sie auch bei Urnenbeisetzungen von verstorbenen Mitarbeitern oder Kindern.

Zahlreiche kleine und größere Kompositionen entstanden zu Jubiläen (z.B. dem 50. der Ita Wegman-Klinik), zu Grundsteinlegungen sozialer Einrichtungen und anderem. Es gab kein Weihnachtsfest und keinen Geburtstag im großen Freundeskreis, zu dem nicht als Gruß ein kleiner Kanon oder Ähnliches erschien.

Über 60-jährig ging sie mit anderen Mitarbeitern ins Ruhrgebiet, um dort - wo die sozialen Nöte besonders groß sind - eine neue heilpädagogische Einrichtung zu begründen: das Christopherus-Haus. Hier hat sie entscheidend beim Aufbau mitgewirkt und sich sofort aktiv in das Leben der Gesellschaft und der anthroposophischen Initiativen hineingestellt. Als Johanna Ruß starb, umfasste das Christopherus-Haus einen Kindergarten, zwei Schulen in Dortmund und Bochum, große Werkstätten, kleine Erwachsenen-Wohnheime und ein Kinder- und Jugendwohnheim, das heute ihren Namen trägt.

Für Generationen von jüngeren Mitarbeitern war Johanna Ruß Vorbild durch die Entschiedenheit ihres Willens, die Geradlinigkeit ihres Handelns und ihre Treue zur Aufgabe bei größter persönlicher Anspruchslosigkeit.

Bis einen Tag vor ihrem Tode war sie aktiv im Schulbereich tätig.

Ingrid Küstermann

Quellen Erwähnungen

N 1967 S. 68
N 1968 S. 122
N 1970 S. 104, 177
MaD 1967 Nr. 80, S. 151
AM 1957 Nr. 8-9, S. 7
ANS 1993 Nr. 6, S. 28
SbK 1962 Nr. 2
NAA 1972 Nr. 2, S. 6

Info

Heilpädagogin, komponierte Leiermusik u.a.
Werke: Schneewittchen. Märchenspiel, in: Wegman, I. [Hg.], Das
seelenpflege-bedürftige Kind, Dornach 1930; Rhythmische Verse für
Kinder-Eurythmie, Arlesheim 1935, Dornach ³1984; Feuf Engeli
händ gsunge, Brissago [1943]; Altkeltische Runen, Zeist o. J.;
Leiermusik zu Olaf Åstesons Traumlied, Zeist o. J.; Schwinge
Schwengel, schwinge. Kinderlieder, Zeist 1966; 33 Kanons,
Bingenheim 1973; Singen und Spielen im Jahreslauf, Bd. I/II,
Bingenheim 1976/1981; Ball- und Reifenspiele, Echzell 1979,
Wuppertal ²1984; Klinge kleines Glöcklein, Zeist 1981; Beiträge
in Msch, Na, Pfa, SbK.
Literatur: Harloff, L.: Pädagogisch-soziales Zentrum Dortmund, in:
MaD 1970, Nr. 94; Küstermann, I.: Johanna Russ zum 80.
Geburtstag, in: MaD 1981, Nr. 137; dies.: Johanna Russ, in: MaD
1986, Nr. 157.
Abkürzungen: siehe hier
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