Maximilian Woloschin

Woloschin, Maximilian Aleksandrovich

Dichter, Literaturkritiker, Maler.

*28.05.1877, Kiev/Ukraine (damals Russland)

✟11.08.1932, Koktebel/Krim (damals Sowjetunion)

Maximilian Alexandrowitsch Kirijenko-Woloschin gehört zu den bedeutenden russischen Künstlern im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.

Sein Vater, Alexander Maximowitsch Woloschin, der einem Dnjepr-Kosakengeschlecht entstammte, war Jurist und Kollegienrat; die Mutter, Jelena Ottobaldowna Glaser, halb Deutsche, Übersetzerin.

Woloschin verbrachte seine frühe Kindheit in Taganrog und Sewastopol. Seine Mutter zog nach dem Tod ihres Mannes nach Moskau. Dort besuchte Woloschin ein Gymnasium; das Lernen fiel ihm allerdings schwer. Mit 13 Jahren begann er zu dichten, mit 18 veröffentlichte er zum ersten Mal ein Gedicht. 1893 zog Woloschin auf die Krim, wo er das Gymnasium in Feodosia abschloss. Mit seiner Mutter besuchte er des Öfteren Koktebel, ein kleines Tatarendorf an der Küste des Schwarzen Meeres, am Fuße des Krimgebirges. Später wird er hier einen großen Teil seines Lebens verbringen, das „Haus des Dichters‟ wird in die Kulturgeschichte Russlands eingehen.

1897 nimmt er ein Studium an der juristischen Fakultät der Universität Moskau auf und bald darauf veröffentlicht er erste Aufsätze in verschiedenen Moskauer Zeitschriften. Für seine Teilnahme an Studentenunruhen wird er aus Moskau verbannt und reist ins Ausland (Schweiz, Italien, Paris, Berlin). Er nimmt 1900 das Studium in Moskau wieder auf, erneut wird er für seine Beteiligung an Studentenorganisationen verhaftet. Nach der Freilassung geht er nach Mittelasien zum Bau der Eisenbahn Orenburg-Taschkent. Der Aufenthalt in Asien wird zu einem Wendepunkt in Woloschins Leben. Hier, fern von Europa, im Angesicht der ewigen Werte des geheimnisvollen Orients, wo er wieder und wieder die „Drei Gespräche‟ von Wladimir Solowjow liest, erwacht nach seinen Worten zum ersten Mal wie aus tiefem Schlaf sein Bewusstsein und seine Seele wird von einer mächtigen Ahnung des Anbruchs einer neuen Epoche ergriffen.

Von Mittelasien geht Woloschin im Frühjahr 1901 wieder nach Europa. „In diesen Jahren bin ich nur ein alles aufsaugender Schwamm, bin ich ganz Auge, ganz Ohr. Ich ziehe durch die Länder, Museen und Bibliotheken: Rom, Spanien, die Balearen, Korsika, Sardinien, Andorra, der Louvre, der Prado, der Vatikan, die Uffizien, die Bibliothèque Nationale. Neben der Technik des Wortes eigne ich mir die Technik des Pinsels und des Bleistifts an.‟ (Erinnerungen an Maximilian Woloschin)

Durch in Paris lebende russische Schriftsteller und Maler wird Woloschin bald mit den wesentlichen künstlerischen und literarischen Strömungen bekannt, die die europäische Kultur am Anfang des Jahrhunderts bestimmen. Zu gleicher Zeit beginnt er sich für den Buddhismus, die Theosophie, den Okkultismus und die mittelalterliche und orientalische Mystik zu interessieren. Nach Russland 1903 zurückgekehrt, schließt er sich dem kleinen Kreis der Symbolisten an. In den von ihnen herausgegebenen Zeitschriften erscheinen immer häufiger seine Gedichte und Aufsätze.

Im Sommer 1903 lernt Woloschin auf dem Wege von Paris nach Koktebel in Moskau, im Hause des bekannten Mäzens und Kunstsammlers Sergej Schtschukin, seine künftige Frau, Margarita Sabaschnikowa ( Margarita Woloschin), kennen. In Koktebel baut er sich ein eigenes Haus, reist jedoch schon Ende desselben Jahres erneut nach Paris, das ihn mit unwiderstehlicher Gewalt anzieht. Im Mai 1904 wird er ständiger Korrespondent der Moskauer Zeitung „Rus‟ (Russland) und der symbolistischen Zeitschrift „Wessy‟ (Die Waage). Für beide schreibt er Briefe und Artikel, die die verschiedenen Aspekte des künstlerischen und kulturellen Lebens Frankreichs in jener Zeit reflektieren.

Nach seiner Rückkehr nach Russland Anfang 1905 wird er Zeuge des Blutsonntags in St. Petersburg (9./22. Januar), als auf Befehl des Zaren aus nächster Nähe auf eine friedliche Arbeiterdemonstration geschossen wird. In einem in Paris erschienenen Artikel schrieb er, dieser Tag sei zu einem „mystischen Prolog der großen Volkstragödie‟ geworden („L’Europeen Courrier‟, Nr. 11, 1905). In dieser Zeit bildet sich seine Einstellung zur Revolution, die er sein Leben lang beibehalten und vertreten wird: Er betrachtet sie als historische Notwendigkeit, lehnt sie jedoch vom moralisch-menschlichen Standpunkt aus vollkommen ab.

1905 findet seine erste Begegnung mit Rudolf Steiner statt, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Im April 1906 heiratet er Margarita Wassiljewna Sabaschnikowa. Diese Ehe fasst er anfangs als eine mystische Vereinigung der Seelen auf und dieses Thema zieht sich bei ihm durch viele Gedichte jener Zeit. Nach der Heirat fahren die jungen Eheleute nach Paris, wo sie an einem Zyklus von 18 Vorträgen Rudolf Steiners zur Einführung in die anthroposophische Kosmologie teilnehmen (GA 94). Über diese Begegnung mit dem „Doktor‟ schreibt er in einem Brief an Alexandra Petrowa: „Ein eindrucksvolleres und genialeres Gesicht als bei ihm habe ich noch nie im Leben gesehen, - und die Weltgeschichte, die er in seinem Kurs enthüllte, ist so eindrucksvoll und außergewöhnlich, dass ich Ihnen davon in einem Brief nicht einmal eine Andeutung vermitteln kann. Es ist eine grandiose Synthese von exaktem Wissen und Erfülltsein mit göttlicher Inspiration.‟ (Unveröffentlicht)

Im Anschluss an diese Periode eines geistigen Emporgehobenseins setzt in Woloschins Leben eine tiefe Krise ein. Sie wird ausgelöst durch eine beginnende Annäherung Margaritas an den Dichter Wjatscheslaw Iwanow und seine Frau, die Schriftstellerin Lydia Sinowjewa-Annibal. Einige Zeit wohnt das Ehepaar Woloschin sogar in der Wohnung der Iwanows in St. Petersburg (im „Turm‟). Doch schon bald werden die Beziehungen so kompliziert, dass Woloschin nach Koktebel abreist, kurz darauf trennt sich auch Margarita von den Iwanows. Trotzdem ist das gemeinsame Leben der beiden endgültig zerrüttet. In dieser Zeit der quälenden Trennung (Sommer 1907) findet er seinen eigenen, unverwechselbaren Weg in der Dichtung. Als Literaturkritiker ist er von 1909 an Mitarbeiter der Zeitschrift „Apollon‟.

1909 schreibt Woloschin seinen ersten Kranz von Sonetten, „Corona Astralis‟, in dem er fast wörtlich anthroposophische Grundvorstellungen vom Menschen und der Welt in dichterischer Form ausspricht. Später schreibt er darüber in seinem Lebenslauf: „Mein Verhältnis zur Welt - siehe ,Corona Astralis’.‟

Von 1910 an wendet sich Woloschin wieder stärker der Prosa zu. Seine Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften über Themen der Kunst, die Rezensionen literarischer Werke, seine historischen und kulturwissenschaftlichen Essays haben dank ihrer ungewohnten, oft paradoxen Betrachtung der verschiedensten Fragen bis heute ihre Aktualität nicht verloren. Zu dieser Zeit schreibt Woloschin auch eine Reihe von Aufsätzen über zeitgenössische Maler, in denen er verschiedene Aspekte ihres Schaffens eingehend erörtert. Im Mittelpunkt steht immer die Persönlichkeit des Künstlers als Schlüssel zum Verständnis seines Werkes.

In den folgenden Jahren nimmt die Malerei in Woloschins Leben einen immer breiteren Raum ein. 1913/14 eignet er sich konsequent die Temperatechnik an, geht dann zum Aquarell über. Die Landschaftsaquarelle seines geliebten „Kimmeria‟ (antiker Name der östlichen Krim, wo Koktebel liegt), die in der unnachahmlichen Woloschin-Manier gemalt sind, werden von nun an bis ans Ende seines Lebens sein wichtigster Beitrag zur russischen bildenden Kunst des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts. Insgesamt malte er mehrere tausend Aquarelle.

Im Juli 1914 fährt Woloschin auf Einladung von Margarita nach Dornach, wo er an der Errichtung des „Johannes-Baues‟ mitwirkt. Doch schon im Januar 1915 reist er nach Paris, begegnet dort u. a. Pablo Picasso, Diego Rivera, Fernand Leger, Amedeo Modigliani und Emile Verhaeren. 1916 kehrt er endgültig nach Russland zurück. In den Folgejahren hält er die Verbindung mit vielen Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft in Russland.

Die bolschewistische Revolution empfand Woloschin als eine auf Russland herabgesandte furchtbare Prüfung. Er durchschaute von Anfang an ihren dämonischen Charakter und war der Einzige unter den russischen Dichtern, der für sie einen adäquaten dichterischen Ausdruck fand. Freiwillig zieht er sich in die Abgeschlossenheit von Koktebel zurück. Dort erlebt er am eigenen Leibe alle Schrecken der Revolution und des anschließenden Bürgerkrieges. In seinem Haus bringt er Weiße vor Roten und Rote vor Weißen in Sicherheit, wobei er mehr als einmal das eigene Leben riskiert.

Obwohl er nahe am Verhungern ist und in ständiger Gefahr lebt, ist er in diesen Jahren besonders produktiv. Er übersetzt aus dem Französischen, malt täglich und erreicht in der Dichtung den Gipfel seines Schaffens. Seine Gedichte über den Bürgerkrieg und die Revolution gehören zweifellos zum Besten, was in der russischen Dichtung über diese tragischste Periode der russischen Geschichte geschrieben wurde. Anfang der 20er-Jahre arbeitet er an dem monumentalen philosophisch-mystischen Zyklus von Versdichtungen „Auf den Wegen Kains. Die Tragödie der materiellen Kultur‟. Dieses komplizierte dichterische Werk kann man letztlich nur verstehen und würdigen, wenn man mit dem anthroposophischen Gedankengut vertraut ist, das darin vielfältigen künstlerischen Ausdruck findet. Nach seinen Gedichten über die geistige Bedeutung der Revolution, die bald in Abschriften in ganz Russland verbreitet wurden, rettete den Dichter nur sein früher Tod 1932 vor dem sicheren Verderben in den stalinistischen Lagern. Er wurde auf einem hohen Hügel bestattet, der die ganze Bucht von Koktebel im Osten begrenzt.

Woloschin hätte diese schweren Zeiten wohl kaum physisch überstehen können, hätte er nicht die Hilfe und die Unterstützung seiner zweiten Frau, Maria Stepanowna Sabolozkaja (gestorben 1976), gehabt. Nach Woloschins Tod konnte sie nicht nur seinen gesamten dichterischen und malerischen Nachlass unversehrt bewahren, sondern auch sein „Haus des Dichters‟ als ein einzigartiges Denkmal russischer und europäischer Kultur zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, mit all seinen Sammlungen und einer riesigen Bibliothek, die auch alle in Russland vor der Revolution erschienenen Hauptwerke Rudolf Steiners umschloss. Bedenkt man, dass in diesem Haus fast die ganze Zeit hindurch berühmteste Vertreter der russischen Kultur ( Andrej Belyj, Marina Zwetajewa, Ossip Mandelstam, Nikolai Gumiljow, Maxim Gorki sowie später Alexander Solschenizyn und viele andere) sich begegneten, wohnten und arbeiteten, muss man sagen, dass jeder von ihnen etwas von Anthroposophie erfuhr. Auch nach Woloschins Tod wagte niemand ein Foto Rudolf Steiners wegzunehmen, das als Zeichen seiner Verbundenheit mit ihm immer in seinem Arbeitszimmer gestanden hatte. Damit war das „Haus des Dichters‟ vielleicht der einzige Ort in Russland, wo ein Porträt des „Doktors‟ den Blicken von zehntausenden Besuchern zugänglich war, die im Laufe eines Jahrhunderts - auch in der finsteren Sowjetzeit - in dieses Haus kamen.

„Ich kannte viele Steinerianer‟, schrieb Marina Zwetajewa, die nicht nur viele Anthroposophen kannte, sondern auch Rudolf Steiner persönlich begegnet war, kurz nach Woloschins Tod über ihn, „und immer war da der Eindruck: ein Mensch - und das, was er weiß. Hier dagegen war eine Einheit, Max war selbst dieses Geheimnis, wie Rudolf Steiner selbst sein eigenes Geheimnis war, das Geheimnis seiner eigenen Kraft [...].‟ (Zwetjewa 1976)

Sergej Prokofieff (Übersetzung C. Hellmundt)

Quellen Erwähnungen

N 2004 Nr. 36, S. 12
Sam, M.M.: Eurythmie. Dornach 2014, S. 24, 42

Info

Maler, Dichter. 1906 im Kreis der Symbolisten in St. Petersburg. Dort lernte er
Margarita Sabaschnikowa kennen und heiratete sie.
Werke: Gesammelte Gedichte, Bd. I/II, Paris 1982/1984 (russ.); Züge seines
Schaffens (Gesammelte Aufsätze), Leningrad 1988 (russ.).
Literatur: Woloschin(a), M.: Die grüne Schlange, Stuttgart 1954, 7 1997;
auf Russisch: Moskau 1993; Zwetajewa, M.: Lebendiges über Lebendiges,
Moskau 1976 (russ.); Erinnerungen an Maximilian Woloschin, Moskau 1990
(russ.); Die Krim Maximilian Woloschins, Kiew 1994 (russ.); Sietz, H.:
Maximilian Woloschin - ein Porträt, in: I3 1987, Nr. 1; Fedjuschin, V. B.:
Rußlands Sehnsucht nach Spiritualität; Schaffhausen 1988; Losev, D.: Obraz
poeta, Feodosija 1997; Büttner, G.: Margarita und Maximilian Woloschin,
in: G 2000, Nr. 49.
Abkürzungen: siehe hier
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