Alix Roth

Roth, Alix Susanne

Fotografin, Heilpädagogin, Sozialtherapeutin.

*24.06.1916, Wien (damals Österreich-Ungarn)

✟25.05.1987, Dorfgemeinschaft Aigues-Vertes/Bernex bei Genf (Schweiz)

Alix Roth gehörte wie auch ihr Bruder Peter Roth zu den Menschen der Gründergruppe der Camphill - Bewegung um Karl König, die vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aus Österreich wegen der nationalsozialistischen Judenverfolgung fliehen musste. Im Werdegang der Camphill-Bewegung wurde Alix Roth als Sekretärin und medizinische Assistentin zur engsten Mitarbeiterin Karl Königs.

Alix Roths Vater, jüdischer Herkunft, war Zivilingenieur in hoher staatlicher Stellung und erwarb später für die Familie einen großen Grundbesitz. Die Mutter war Ungarin, Tochter eines Großgrundbesitzers, der in diplomatischen Diensten für Ungarn und Madagaskar arbeitete. Alix Roth wuchs als schwächliches, zurückgezogenes, einsames und ängstliches Kind auf. Die Schulzeit in Wien, in der französischen Schweiz und in England war für sie bedeutungslos. Im Gegensatz zu ihrem brillanten Bruder, zu dem sie große Zuneigung hatte, fühlte sie sich in der Familie wie ausgestoßen. Sie wurde zum Sorgenkind, das einem Arzt nach dem andern vorgestellt wurde, ohne Erfolg, bis die Großmutter, Theosophin, sich für dieses ungewöhnliche Kind interessierte und von dem Wiener Arzt Karl König hörte. Die erste Konsultation und die folgende Behandlung wirkten bald gesundend auf die zarte Konstitution des jungen Menschen. Diese Begegnung bedeutete eine Lebenswende für die junge Alix Roth. Langsam öffnete sie sich der Welt und den Mitmenschen, denen gegenüber sie voller Misstrauen war. Sie litt unter der Fähigkeit, die Gedanken ihrer Mitmenschen wahrzunehmen, und erlebte schmerzlich die Diskrepanz in deren Äußerungen und Verhalten.

Aus diesen Gegebenheiten scheint die Berufsausbildung als Fotografin bedeutsam. Diese Tätigkeit verlangte ein Minimum an Kontakt mit der für sie immer noch bedrohlichen Welt. Der Fokus war ja nur auf auserlesene Teile der Kunden gerichtet. Sie arbeitete in dem angesehensten Fotoatelier in Wien, in welchem sie den Großen und Berühmten der Musik- und Theaterwelt, der Film-, der Finanzwelt und auch der Politik begegnete.

Ihre Existenz blieb von Zurückhaltung geprägt, bis sie auf jene Gruppe junger Medizinstudenten, Künstler, Ballettänzer, meist jüdischer Herkunft, aufmerksam wurde, die sich um Karl König traf. Es entfaltete sich eine intensive anthroposophische Studienarbeit.

Obwohl Alix Roth sich selten in der Gruppe äußerte, strahlten von ihrer Anwesenheit Stetigkeit und innere Anteilnahme aus. Ihre Gegenwart verlieh dem Kreis eine starke bindende Kraft. Zu diesem Kreis jüngerer Studenten gehörten unter anderem der Bruder Peter Roth, Thomas Weihs, Anke Weihs und Carlo Pietzner.

Im 22. Lebensjahr ereignete sich für Alix Roth wie für jeden Einzelnen dieser Gruppe eine radikale Wende durch den Einmarsch der Nationalsozialisten am Abend des 11. März 1938.

Alix Roth und alle anderen gingen in eine völlig ungewisse Zukunft, in die eine einzige Gewissheit eingeschrieben war: der Wille, irgendwo in Gemeinschaft mit behinderten Menschen im Sinne der Heilpädagogik Rudolf Steiners zu leben und zu arbeiten.

Alix Roth emigrierte über Zagreb im Januar 1939 nach England. Dort machte sie eine Kurzausbildung als Sekretärin im Hinblick auf die sie erwartenden Aufgaben. Die Pionierphase für das Leben und Arbeiten mit behinderten Menschen begann mit dem Einzug in ein primitives, verlassenes Pfarrhaus, das Karl König durch Freunde Ita Wegmans im Norden Schottlands zur Verfügung gestellt wurde. Von hier aus wuchs der Camphill-Impuls zu einer weltweiten Bewegung. Die Gründerjahre sowie die folgende unermüdliche Reisetätigkeit Karl Königs im Dienste des behinderten Menschen stellten große Anforderungen an seine oft anfällige Gesundheit. Ohne die stete Begleitung und Betreuung durch Alix Roth wären diese Leistungen nicht möglich gewesen. Sie stand neben ihm, hinter ihm, vor ihm. Sie identifizierte sich mit dem wachsenden Werk Königs.

Sie war nicht nur Weggenosse und steter Zeuge seines Wirkens in unterschiedlichen gesellschaftlichen, akademischen, medizinisch-therapeutischen Kreisen, sondern gleichzeitig Mittelpunkt und Katalysator in dem rasch wachsenden und sich verwandelnden Schicksalsgewebe Camphills. Sie war die Seele der Bewegung durch ihren Sinn für Gerechtigkeit, durch ein ausgeprägtes Unterscheidungsvermögen und Geistesgegenwart, durch ihre Aufrichtigkeit, ihre unbedingte Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. Diese Wesenszüge konnten bisweilen hart erscheinen, doch waren sie von einer außerordentlichen Integrität getragen. Sie war ein Mensch, der erlebbar machte, dass die ganze Welt von einer höheren Ordnung durchzogen ist, die sich in allen Gestaltungen des menschlichen Lebens ausprägen möchte, sodass der Mensch selbst durch sein Sich-Einfügen in eine solche Ordnung die befreiende Entdeckung machen kann, dass er zum Mitschaffenden in dieser Ordnung wird. Die Art ihrer Integrität war da, vom Einschlagen eines Nagels mit ihren großen, gut durchgebildeten Händen bis hin zu den bittenden und segnenden Gesten am Altar bei den Schulhandlungen der Waldorfpädagogik. Auch ihre Tätigkeit im Dienste der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft zeugte im Besonderen von dieser Integrität.

Von Alix Roth ging eine ritterliche Würde aus. Ihre Vornehmheit lag in ihrer Schweigsamkeit, ihrem stillen Verhalten trotz großer Disponibilität. Sie sprach selten in der Öffentlichkeit. Ihr Beitrag war aktives und schöpferisches Hören und Wahrnehmen. Wenn sie bei seltenen Gelegenheiten das Wort ergriff, sprach sie kurz, mit Klarheit und mit Wärme in ihrer Stimme.

Nach 1969 - Karl König starb 1966 - arbeitete sie 18 Jahre mitten in der Dorfgemeinschaft behinderter Menschen Aigues-Vertes in der französischen Schweiz und konnte die Persönlichkeit der dortigen „Dörfler‟ wesentlich fördern. Zudem widmete sie sich ganz der jüngeren Generation der Mitarbeiterschaft. Besonders lag ihr die Camphill-Krankenschwester-Ausbildung im Sinne Ita Wegmans am Herzen. Sie fühlte sich tief der Medizinischen Sektion verbunden. Zu dieser Lebensphase gehörte auch die Intensivierung der Beziehung zur Christengemeinschaft.

In dieser letzten Zeitspanne ihres Lebens war es für Alix Roth ein vordringliches Anliegen, den von Karl König im Jahre 1964 begonnenen Verständigungsprozess zwischen der eigenständigen und unabhängigen Camphill-Bewegung und dem Goetheanum weiterzuführen. Es entwickelten sich wahre freundschaftliche Beziehungen zu den Mitgliedern des Vorstandes der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, die in gemeinsamer Forschungsarbeit immer fruchtbarer wurden.

Alix Roth spielt ein besonderes Instrument in dem Gründer-Orchester der Camphill-Bewegung: ohne dessen besonderen Klang wäre Camphill nicht zu dem geworden, was es werden konnte. Am Ende ihres Lebens sagte sie: „Mein Leben ist das von Camphill geworden.‟

Brigitte Köber

Quellen Erwähnungen

CaC 1975 Nr. Feb, S. 16, May, S.3
ANS 1987 Nr. 5, S. 14

Info

War Camphill-Mitarbeiterin 1939 in Schottland, 1975 im heilpäd.Inst.
Aigues Vertes, Schweiz
Literatur: Russell, S.: Alix Roth, in: SHS 1987, Nr. 3; Lindenberg, C.-A.,
Korach, M.: In Memory of Peter Roth, in: CaC 1998, No. Jan/Feb.
Abkürzungen: siehe hier
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