Professor, Dipl.Ing. Seifert, Alwin Hermann
Architekt, Landschaftsgestalter.
*31.05.1890, München (Deutschland)
✟27.02.1972, Dießen (Deutschland)
Seiferts Bedeutung liegt darin, dass er versuchte, zumindest als Person das Feld des klassischen Naturschutzes mit dem der Landwirtschaft zu verbinden. Für seine übergreifende Konzeption einer neu zu schaffenden Wissenschaft des Lebendigen hat er zu wenige Mitdenker gefunden. Der anthroposophische Goetheanismus war ihm zu sektiererisch, die Ideen Klages zu praxisfern-metaphysisch.
Geboren als Sohn eines handwerklichen Baumeisters und stark geprägt durch die damalige Jugendbewegung des Wandervogels, hatte er im Alter von 14 Jahren sein prägendes Erlebnis durch den Verlust seines „Abenteuerspielplatzes‟ an der Isar durch Kanalisierung und Bau der Wasserkraftwerke im Münchner Süden.
Nach einer „langen Jugend‟ mit ausgezeichnetem Abitur, Maurerlehre bis Gesellenprüfung und Architekturstudium bis Diplom war er 1920-23 Hochschulassistent in München, arbeitete dann als selbstständiger Architekt und Gartenarchitekt und hielt Vorlesungen an der Technischen Hochschule. Er findet jedoch erst Mitte der 30er-Jahre in Nazi-Deutschland zu einer ihm angemessenen öffentlichen Wirksamkeit. Etwa sieben Jahre vorher war er mit der biologisch-dynamischen Landwirtschaft auf die bestimmende theoretische Grundlage gestoßen. Wichtig war ihm vor allem die Übereinstimmung von Ästhetik und Nachhaltigkeit. Die nähere Beschäftigung beginnt Anfang der 30er-Jahre, wichtige Anregungen für seine späteren Ausführungen zur Kompostwirtschaft erhält er von Max Karl Schwarz.
Seifert befasst sich in der Folge wohl auch mit anderen Feldern der Anthroposophie. Aber er kritisiert 1949 die Anthroposophie, die sich wegen fehlender geistiger Führung zunehmend zu einer reinen Sekte entwickelt habe.
Seiferts eigentliche naturschützerische Tätigkeit begann als landschaftlicher Berater des Autobahnbaus, in der er sich ab 1935 selbst als Landschaftsanwalt bezeichnete und 1940 offiziell den Titel „Reichslandschaftsanwalt‟ führte. Landschaftliche Eingliederung bedeutete für ihn Trassenführung mit möglichst geringer optischer Zerschneidung, meist in großen Kurvenschwüngen, standortgerechte Bepflanzung, aber auch ein volkspädagogisches Anliegen. Der Naturschutz, der ihm vorschwebte, kombinierte wirtschaftliche, artenschützerische, ästhetische und umweltpsychologische Gesichtspunkte. Bewusst argumentierte er selten ästhetisch, weil dies im Vergleich zu wirtschaftlichen Überlegungen nicht durchschlagskräftig war. Sein eigener Maßstab war aber der Anblick .
Seine maßgebliche Wirksamkeit in der NS-Zeit hängt eng mit seiner Freundschaft zu Fritz Todt sowie Rudolf und Ilse Hess zusammen. Schon in den späten 20er-Jahren allerdings wendet sich Seifert zunehmend von den völkischen Ideen seiner Jugend ab. Das Wesen des Menschen scheint ihm nun - wohl auch unter dem Einfluss anthroposophischer Ideen - nicht mehr vom Vererbungszusammenhang her fassbar. Sein Problem in der Nazizeit bestand darin, dass er sich bereits weit von diesen Ideen entfernt hatte, als es nun plötzlich politisch opportun war, sich darauf zu berufen. Seifert war hier Taktiker: „Es gibt Dinge, die sagt man, aber die schreibt man nicht‟ (Seifert 1962, S. 105). Zwischen Privatbriefen, auch an Naziexponenten, in denen er die offizielle Rassenlehre scharf angreift und für wissenschaftlich unhaltbar erklärt, und seinen publizistischen Äußerungen, in denen er den nationalsozialistischen Impuls als Aufbruch in ein „Zeitalter des Lebendigen‟ zu verstehen versucht und antikapitalistische Argumente gegen Verschandelung der Landschaft durch Werbung benutzt, ist ein großer Unterschied.
Seiferts im freundschaftlichen Ringen mit Todt entwickeltes Konzept einer deutschen Technik war dagegen kein fauler Kompromiss, sondern die Vorstellung, dass aus der Polarität von Natur und Technik eine Steigerung - nämlich Kultur - hervorgehen könnte, die ihrerseits auch den Menschen zu verwandeln vermag, sodass individuell in der Naturerfahrung der Interessenstandpunkt überwunden wird.
Seifert hat später seine Position revidiert. So schrieb er 1958 zum Autobahnbau: „Schien es damals noch richtig, dem Benutzer der Kraftfahrbahnen die schönsten deutschen Landschaften zugänglich zu machen, so gilt heute genau das Gegenteil. Jedes Heranführen größerer Massen von Stadtbewohnern in noch schöne Landschaften führt dazu, dass diese zerstört werden.‟ (Zeller 1994, S. 132) Sein Menschenbild ist pessimistischer geworden: Der Massenmensch erscheint ihm nach den Erfahrungen des „Dritten Reiches‟ und des Amerikanismus nicht mehr durch Naturerfahrung zu bessern.
Mit dem Tod Todts durch Flugzeugabsturz, den Seifert der SS anlastete, und dem Englandflug von Hess, der Seiferts Anliegen unterstützt hatte, brach sein Beziehungsnetz weitgehend zusammen. Wichtige andere Nazigrößen wie den Münchner Gauleiter Giesler oder Bormann hatte er sich zu Feinden gemacht. Die Behinderungen, die er von ihnen erfuhr, unter anderem die Ablehnung einer Professur wegen politischer Unzuverlässigkeit, konnte er neben vielen „Persilscheinen‟ von Leuten aus Naturschutz und Anthroposophie, denen er geholfen hatte, im Entnazifizierungsverfahren verwenden.
Seifert versuchte unter den neuen Bedingungen der Bundesrepublik sein Anliegen fortzuführen. Unter Bedingungen der Marktwirtschaft schien dies am ehesten in der freiberuflichen Übernahme von Gestaltungsaufträgen für die Einbettung insbesondere wasserbaulicher Projekte in die Landschaft möglich. In den 50er- und 60er-Jahren war er einer der wichtigsten Vertreter des Naturschutzes, und zwar in einer Dreifachrolle als Planer, Verbandsfunktionär und Mitgestalter der öffentlichen Meinung über zahllose Artikel in der Fach- und Tagespresse. Seifert war außerdem ein wichtiger Protagonist des biologischen und biologisch-dynamischen Landbaus. Sein „Gärtnern und Ackern ohne Gift‟ (München 1967, 1991 [237.-250. Tsd.]) wurde zum Bestseller. Seine polemischen Artikel hinterließen aber auch eine Reihe „kollektiver Verstimmungen‟ (Mrass), die z. T. über seinen Tod hinausgingen.
Seifert ist der heute fast ausgestorbene Typ des großen Einzelgängers. Seine Bedeutung besteht weniger in eigenen neuen Ideen als in den Bahnen, die er ihnen gebrochen hat. Seiferts Formulierungen an heutigen Maßstäben politischer Korrektheit zu messen, verfehlt die Aufgabe des Historikers. In abermals 50 Jahren wird man heutigen Opportunismus gegenüber der Diktatur des Aktienmarktes auch anders sehen, als wir es heute tun. Die Mischung aus mutigen bis selbstschädigenden Polemiken und taktischem Gespür ist zumindest interessant. Er war sicher im persönlichen Umgang ein schwieriger Mensch und viele seiner Invektiven sind auch im Rückblick fachlich und menschlich schwer gutzuheißen. Er zeigt aber, dass auch unter Bedingungen bürokratischer Diktaturen und Massendemokratien Persönlichkeiten wichtig sind.
Im Hinblick auf die Stellung Seiferts zur Anthroposophie liegt die Hauptschwierigkeit wohl in der Einordnung der Tatsache, dass Seifert sich als Erfinder der Kompostwirtschaft gebärdete, ohne Steiner zu zitieren, obwohl er sich sogar in der Nazizeit, als auch aus den Werken von Hartmann (Otto Julius Hartmann) und Hauschka (Rudolf Hauschka, Substanzlehre bei Klostermann 1942) die Steinerreferenzen verschwanden, für dessen Nennung einsetzte. Es war aber wohl nicht nur Eitelkeit oder nur Berechnung, die Seifert von der Anthroposophischen Gesellschaft Abstand nehmen ließen. Es war das Wissen um die Erstarrung und Verantwortungslosigkeit, die mit allem Führerkult verbunden sind, auch wenn man ihn als Führer zur Freiheit feiert.
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