Kaisu Virkkunen

Magister phil. Virkkunen, Kaisu Saara

Gründungslehrerin der Rudolf Steiner-Schulen in Helsinki und Tampere.

*05.10.1919, Ilmajoki (Finnland)

✟08.02.1996, Tampere (Finnland)

Die Tätigkeit von Kaisu Virkkunen war entscheidend für die Waldorfschulbewegung in Finnland.

Kaisu, genannt Kasi, Virkkunen war siebtes Kind und einzige Tochter in der Familie des Pfarrherrn, bekannten Theologen und Parlamentsabgeordneten Paavo Virkkunen. Sie verbrachte ihre ersten Lebensjahre in tiefster Naturverbundenheit auf einem ländlichen Pfarrhof mit ausgedehnter Landwirtschaft. 1926 zog die Familie nach Helsinki. Nach der höheren Töchterschule und dem Abitur 1938 begann sie ein Studium der Ästhetik, Literatur und finnischen Sprache, später studierte sie noch allgemeine Geschichte und Kunstgeschichte. Bereits 1939 unterbrach sie das Studium während des Winterkrieges, sie diente in Vermittlungsaufgaben in der Lotta-Organisation hinter der Front in Viipuri. Während des Fortsetzungskrieges 1941-44 war sie - mit Unterbrechungen - im Verbindungszentrum von Mannerheim mit der deutschen Wehrmacht in Mikkeli tätig.

Sie begegnete der Anthroposophie durch die Schriftstellerin und Vorsitzende der Anthroposophischen Gesellschaft in Finnland, Kersti Bergroth, im Sommer 1941. In diese Zeit fiel auch der Beginn einer tiefen Verbundenheit mit deutscher Kultur und die Bekanntschaft, dann 1944 Verlobung mit dem deutschen Unteroffizier im Verbindungszentrum in Mikkeli, Gerhart Schretzmayr-Ernst. Im Herbst 1944 reiste sie, als deutscher Soldat verkleidet, nach Deutschland aus. Sie heirateten in Norwegen, wo Schretzmayr anschließend eingesetzt war. Nach Kriegsende war sie anderthalb Jahre in einem amerikanischen Internierungslager, dann bis 1948 in München. In dieser Zeit absolvierte sie anthroposophische Hochschulkurse in Stuttgart.

Nach der Scheidung kehrte sie 1948 nach Finnland zurück, schloss 1951 ihre Studien ab und erlangte 1952 die Volksschul-Lehrberechtigung. Sie war 1952-55 an Volksschulen in Helsinki tätig. In diese Zeit fiel eine intensive anthroposophische Arbeit in Gruppen und die Vorbereitung der Gründung einer Rudolf Steiner-Schule. Nach dem überraschenden Tod der für die Gründung vorgesehenen Lehrerin Maija Juvas wurde Kaisu Virkkunen nach einigen Monaten Ausbildung in Dornach erste Klassenlehrerin des finnischsprachigen Zuges der Rudolf Steiner-Schule Helsinki (die Schule war von Anfang an zweisprachig, mit einem finnisch- und einem schwedischsprachigen Zug). Während der nächsten 14 Jahre prägte Kaisu Virkkunen die Entwicklung dieser Schule, die sich rasch vergrößerte und ab 1959 einen Neubau beziehen konnte. Sie fand weitere Persönlichkeiten, die am Aufbau mitwirken, u. a. Ilse Römer, Helmer Knutar, Reijo Wilenius, Anneli Nordberg (später Lindenau), Marja Jantunen (später Dahlström) und Nadja Martinoff. In unermüdlichem Einsatz erreichte sie die Anerkennung und später finanzielle Unterstützung der Schule durch den Staat.

1969 war sie unter den Begründern der Christengemeinschaft in Finnland.

Im selben Jahr verließ sie die Schule und begann in Tampere nochmals von vorne. Während sie den Boden für die Gründung dort vorbereitete, betrieb sie eine Firma für Herstellung und Verkauf von Gürteln und lernte so die Atmosphäre von Tampere kennen, die sich sehr von Helsinki unterscheidet. 1971 begann die neue Schule, 1980 konnte sie sich an ihrem vierten Standort definitiv einrichten. Sie hat in den 70er-Jahren die Klassenlehrerausbildung in Finnland begründet. 1984 wurde Kaisu Virkkunen pensioniert. Sie war im Vorstand des finnischen Bundes der Steiner-Schulen und unterrichtete auch an Fortbildungstagen und an vielen Sommerkursen die Lehrer.

Kaisu Virkkunen war eine außerordentlich begabte Pädagogin, sowohl in der Schule als auch in der Lehrerausbildung sowie in ihren Kursen und Vorträgen. Die Verankerung der Waldorfpädagogik in einem tiefen und exakten Studium der Anthroposophie war ihr Anliegen, von ihren Studenten verlangte sie selbstständiges Denken und konsequentes Studium. Sie legte Wert darauf, dass die Junglehrer große Lehrerpersönlichkeiten kennen lernten, und lud u. a. Herbert Hahn, Rudolf Grosse und Friedrich Benesch mehrere Male nach Finnland ein. Gleichzeitig war sie mit ihrer oft kompromisslosen und direkten Art unbequem und als Pionierin und Gründungslehrerin nicht leicht zu ertragen. Auch innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft in Finnland führte ihre kompromisslose und kämpferische Auffassung, die anthroposophische Bewegung müsse sich deutlicher gegenüber allen möglichen okkulten Strömungen abgrenzen, zu einer Spaltung und einer eigenen Gruppierung.

Aus der Arbeit von Kaisu Virkkunen gingen viele Aufsätze und Artikel hervor, ebenso Übersetzungen von wichtigen pädagogischen Vorträgen Rudolf Steiners, u. a. der „Allgemeinen Menschenkunde‟. In den 80er-Jahren unterstützte sie aktiv die weiteren Neugründungen von Rudolf Steiner-Schulen in Finnland und begleitete in den 90er-Jahren intensiv die Kollegen, die beim Aufbau von Schulen in der ehemaligen Sowjetunion mitwirkten.

Hans Hasler

Quellen Erwähnungen

N 1953 S. 158f
N 1954 S. 62
N 1962 S. 96
N 1965 S. 57f
N 1968 S. 197
N 1996/97 S. 64
Werke: Antroposofisen hengentieteen virike nykyajassa, Tampere 1981; Temperamentit; Sadut ja satukuvat; Beitrag in N.
Literatur: Sannamo, M., Dahlström, M.: Kaisu Virkkunen - in memoriam, in: Kik 1996, Nr. 1; von Willebrand, R.: Kaisu Virkkunen - muistoksi, in: Tak 1996, Nr. 1; Hernberg, E.: Aurinkosydän. Kaisu Virkkunen - ajattelun ja kasvatuksen taiteilija 1919-1996, Helsinki 1999 (mit ausführlicher Bibliografie).
Abkürzungen: siehe hier
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