Swiad Gamsachurdia

Dozent,Dr.h.c.,Staatspräsident Gamsachurdia, Swiad

Dissident, Präsident der Republik Georgien.

*31.03.1939, Tiflis (damals Sowjetunion)

✟31.12.1993, Dschichaschkari (Georgien)

Sein Vater Konstantin Gamsachurdia aus Westgeorgien (1891-1975) war ein bedeutender Schriftsteller, der während seiner Studienzeit in Deutschland Vorträge von Rudolf Steiner gehört hatte. Swiad Gamsachurdia wurde 1957 beim blutig niedergeschlagenen Aufstand der Studenten zum ersten Mal inhaftiert, bald aber auf Intervention seines Vaters wieder entlassen. Er studierte georgische Philologie und westeuropäische Sprachen und Literatur, insbesondere Anglistik und Amerikanistik, in Tbilissi. Als Dozent für Anglistik in Tbilissi übersetzte er Walt Whitman, Oscar Wilde, William Shakespeare, aber auch Homer und Goethe und schrieb Essays und Romane. Am Institut für georgische Literatur tätig, verfasste er wissenschaftliche Arbeiten zu georgischer Altphilologie, zur Bildsprache in Shotha Rustavelis „Der Panther im Tigerfell‟. Für diese Arbeit erhielt er den Titel Dr. h. c. der Universität Tbilissi. Aus zwei Ehen wurden ihm mehrere Kinder geboren.

In den 60er-Jahren lernte Gamsachurdia durch Bücher in der Bibliothek seines Vaters die Anthroposophie kennen und fand Kontakte zu Anthroposophen. Er studierte zusammen mit Irakli Ramischwili und Merab Kostava, übersetzte die „Theosophie‟, Teile der „Geheimwissenschaft‟, zwei Vortragszyklen, Meditationen und Sprüche. Gamsachurdia arbeitete intensiv an einem spirituellen Verständnis der georgischen Kultur- und Geistesgeschichte, insbesondere der Mysterienströmungen im georgischen Mittelalter. 1969 fand auf der Datscha von Gamsachurdia in Pizunda bei Sotschi am Schwarzen Meer ein für die Entwicklung der Anthroposophie in der ehemaligen Sowjetunion entscheidendes Treffen von Anthroposophen aus Moskau, Tbilissi und Dornach statt. Gamsachurdia wurde 1971 Mitglied der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft.

In den folgenden Jahren war er zunehmend aktiver Dissident, Herausgeber der Samisdat-Zeitschriften „Der Bote Georgiens‟ und „Das goldene Vlies‟ und setzte sich mit der Gründung einer Helsinki-Gruppe für Menschenrechte ein. Als sein Vater 1975 starb, verlor er seine Dozentenstelle und wurde aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Nach einem Treffen mit Andrej Sacharow wurde er im April 1977 zusammen mit Merab Kostava verhaftet und zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. 1982, nach einer Art Reuebekenntnis, wurde er freigelassen. In den folgenden Jahren war er politisch zurückhaltend, aber nicht minder aktiv; er pflegte keine anthroposophische Arbeit mehr in Gruppen, um die Anthroposophie nicht in den Strudel der KGB-Verfolgungen zu ziehen. Nach der Rückkehr von Kostava aus der Haft, etwa 1987, wurde die politische Arbeit wieder aktiver aufgenommen, u. a. der Widerstand gegen das ökologisch unsinnige Transkaukasus-Bahnprojekt. Seit 1988 wurde Gamsachurdia führend in der Unabhängigkeitsbewegung Georgiens, die nach dem Massaker vom 9. April 1989 rasch erstarkte. Nach den ersten freien Parlamentswahlen im Oktober 1990 wurde Gamsachurdia als Vorsitzender des Parlamentes Staatsoberhaupt von Georgien. Nach dem Referendum im März 1991 erfolgten am 9. April 1991 die Unabhängigkeitserklärung und am 26. Mai 1991 die Wahl Gamsachurdias zum Präsidenten der Republik Georgien. Es gelang ihm allerdings in den folgenden Monaten nicht, die äußerst verworrene Situation des Landes in eine fruchtbare Richtung zu lenken, einerseits weil die alte Nomenklatura an ihrer Macht festhielt, russische und amerikanische Interessen hineinspielten und starke mafiotisch-kriminelle Gruppierungen tätig wurden; andererseits weil konstruktive Ziele nicht klar genug herausgearbeitet werden konnten. So glitt insbesondere die patriotisch begründete Unabhängigkeit in einen starken Nationalismus ab. Dazu kamen ungeschicktes Agieren und Reagieren von Gamsachurdia und seinem Umkreis.

Bereits im August 1991 beginnend wurde ein immer stärkerer Widerstand gegen den Präsidenten Gamsachurdia bemerkbar, der in der Zeit vom 22. Dezember 1991 bis zum 6. Januar 1992 zu einem Putsch mit Belagerung des Regierungsgebäudes führte. Gamsachurdia floh nach Grosny, Tschetschenien, wo er von seinem Freund, Dschochar Dudajew, aufgenommen wurde. Im Herbst 1993 kehrte er nochmals nach Georgien zurück, wo der Abchasienkrieg wütete und Gamsachurdia eine neue Möglichkeit sah, mit militärischer Unterstützung in seine Aufgabe als von der Bevölkerung frei gewählter Präsident zurückzukehren. Die Truppen Schewardnadses, von russischen Einheiten unterstützt, rieben jedoch die Gamsachurdia-treuen Einheiten auf. Er nahm sich - so die offizielle Darstellung - am 31. Dezember 1993 in einem kleinen Bergdorf auf der aussichtslos gewordenen Flucht das Leben. Große Festlichkeiten begleiteten sein Begräbnis in Grosny.

Gamsachurdia, der bisher einzige Staatspräsident unter den Mitgliedern der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, vertrat die Anthroposophie im sozialen und politischen Leben auf eine sehr eigenwillige, oft nicht unumstrittene Art. Äußerlich gesehen scheiterte er, Georgien glitt zunehmend in ein politisches und ökonomisches Chaos, aus dem es sich bisher noch nicht erholt hat. Anthroposophie ist aber durch ihn in diesem Land zu einem Faktor geworden, mit dem gerechnet werden muss.

Hans Hasler

Quellen Erwähnungen

G 1994 Nr. 6 Todesanzeige
G 1994 Nr. 29/30 M. Barkhoff
MAVN 1993 Nr. 5, S. 39

Info

Georgischer Präsident.
Seit 1971 Mitglied AAG
Werke: Keine Übersetzungen erschienen.
Literatur: Krischik, J.: „Ein Kulturträger und Kämpfer‟, in: G 1991, Nr. 5; Krischik, J.: „Die ganze georgische Kultur ...‟, Interview mit Swiad Gamsachurdia, in: G 1991, Nr. 16; Ginther, J. M., Schulz, E.: „... für den Anthropos kämpfen‟. Aus einem Gespräch mit Swiad Gamsachurdia, in: DD 1993, Nr. 12; „Zum Tode von Swiad Gamsachurdia‟, NZZ, 6. 1. 1994; Gamsachurdia, K.: Swiad Gamsachurdia. Dissident - Präsident - Märtyrer, Basel 1995.
Abkürzungen: siehe hier
Copyright: Text und Bild sind urheberrechtlich geschützt. Reproduktion in jeglicher Form nur nach schriftlicher Genehmigung der Forschungsstelle Stiftung Kulturimpuls, Heidelberg

Forschungsstelle Kulturimpuls Biografien Dokumentation kulturimpuls.org