Augustus Mann

Mann, Augustus William

Landwirt, Waldorflehrer, Vortragender.

*06.06.1900, Solotwina (damals Österreich-Ungarn)

✟01.12.1986, East Grinstead (UK)

William Mann (von Kaufmann) war ein Europäer im wahrsten Sinne des Wortes. Er verbrachte seine Kindheit in Galizien, einem Teil des damaligen kaiserlichen Österreich, im Herzen Europas zwischen Russland und Österreich, das heute wieder zu Polen gehört. Solotwina liegt am Fuße der Karpaten. Neben den Polen waren es Ruthenen, Juden und Deutsche, die dort friedlich zusammenlebten. William lernte schon als Kind Polnisch zu sprechen neben Deutsch und Englisch, was in der Familie gesprochen wurde.

Sein Vater, Georg von Kaufmann, entstammte einer ursprünglich hannoveranischen Familie, die seit langem eine Beziehung zu England pflegte. Er hatte einen englischen Pass, nahm eine Engländerin zur Frau und gründete eine Firma, die in Solotwina in Galizien Öl bohrte. Dort wurden seine Kinder geboren. Nach der Scheidung von seiner Frau ließ er eine hannoveranische Pfarrerstochter als Pflegerin für seine beiden Kinder, Kate und George (George Adams Kaufmann), aus Deutschland kommen. Er heiratete sie bald und sie wurde die Mutter von Augustus William, dem von allen geliebten Jüngsten.

Nach einer glücklichen Kindheit in der ländlichen Gegend um Solotwina wurde William, der Familientradition entsprechend, nach England in eine Internatsschule geschickt. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wohnte die Familie aus Sicherheitsgründen in München bei Verwandten, sodass William seine Schulbildung am Ammersee in einem bekannten Landerziehungsheim vollenden konnte. Die Familie musste durch den Krieg die englische Staatsangehörigkeit aufgeben und William wurde nach der Schule kurz zum Militär eingezogen und erlebte als Soldat die Revolutionszeit am Ende des Krieges in München. Nach einer Praktikantenzeit auf verschiedenen Höfen studierte er Landwirtschaft an der Universität München. Dem Beruf des Vaters folgend, arbeitete er auch auf einem Ölfeld in Texas.

Inzwischen war sein Bruder George ein Schüler Rudolf Steiners geworden. Es verband die Brüder eine schöne Freundschaft, obwohl George und Kate in England lebten und er nicht lange mit den älteren Geschwistern zusammen aufgewachsen war. George erzählte dem interessierten Bruder begeistert von Rudolf Steiner und nahm ihn in München während seiner Studienzeit mit in einen Vortrag. George Adams Kaufmann übersetzte meistens die Vorträge Steiners in England. Er hatte eine glänzende Laufbahn als Mathematiker in Cambridge zugunsten der anthroposophischen Arbeit aufgegeben. Der Vater war unglücklich darüber, dass die Brüder sich mit der Anthroposophie verbunden hatten, und veranlasste, alle Schriften der Gegner der Anthroposophie zu sammeln und William zukommen zu lassen, womit er hoffte, wenigstens den Jüngeren von der Anthroposophie abzubringen. Ohne Erfolg. Als der Sohn 1926 einem Ruf als Deutschlehrer an die neu gegründete Londoner Rudolf Steiner-Schule folgte, anstatt ein Gut in der Nähe Solotwinas zu bewirtschaften, das der Vater für ihn kaufen wollte, war dies eine tiefe Enttäuschung für den autoritären Herrn. William blieb über 50 Jahre eine der tragenden Kräfte dieser Schule.

Sie war 1925 im Anschluss an Vorträge Rudolf Steiners in England gegründet worden - von vier begeisterten Frauen, Dorothy Martin, Helen Fox, E. Grace Wilson und der späteren Mrs. Harwood, zu denen Cecil Harwood auf Verlangen Rudolf Steiners als zunächst einziger Mann stieß. Bald erweiterte sich das Kollegium um bedeutende Lehrerpersönlichkeiten. Cecil Harwood, der mit Clive Staples Lewis und Owen Barfield befreundet war, brachte die Verbindung zu den gebildeten englischen Kulturkreisen; Francis Edmunds verbreitete die Waldorfpädagogik in der Englisch sprechenden Welt, vor allem in Nordamerika, wohin er später regelmäßig reiste, nachdem er das Emerson College gegründet hatte; Arthur Sheen, Jesse Darrell, die Schwestern Russel und viele andere legten die Grundlage für die praktische pädagogische Arbeit nach der anthroposophischen Menschenkunde in England.

Ein Organismus wie eine Schule wird in ihrem Wesen vor allem durch die Menschen geprägt, die sie gründen und ihre Anfangszeiten gestalten - so auch Michael Hall School, wie die Schule in Streatham bald genannt wurde. William von Kaufmann war vor allem der Praktiker und Künstler in diesem Kreis mit seiner Liebe für das Schöne, vor allem Architektur und Malerei, aber auch Musik, die er selbst ausübte, und seinem hohen Anspruch an Perfektion. So unterrichtete er bald neben Deutsch künstlerische und handwerkliche Fächer. Nach Anfrage bei Herbert Hahn wurde er der Initiator des freichristlichen Religionsunterrichtes an dieser Schule.

In dem kleinen Schulheim für Kinder, deren Eltern zu weit entfernt lebten, erschien eines Tages Lieselotte Ehlen, eine junge frühere Waldorfschülerin aus Stuttgart als Hilfe. William wurde gebeten, ihr ein wenig London zu zeigen, und bald wusste er, dass sie seine Frau werden sollte. Obwohl Lieselotte eigentlich Eurythmie studieren wollte und schon von Marie Steiner nach Dornach eingeladen worden war, gelang es ihm, sie davon zu überzeugen, dass ihr Schicksal nun die Familiengründung sei, und so heirateten sie am ersten Advent 1929. Die Kinder Christopher und Roswitha wurden 1930 und 1935 geboren.

1939, zu Anfang des Zweiten Weltkriegs, wurde die Schule nach Minehead, einem kleinen Dorf am Meer in Somerset, verlagert. Dort wurde der Unterricht in intimer Weise in primitiven Verhältnissen mit den Kindern, die in verschiedenen Familien untergebracht waren, fortgesetzt. William war in seinem Element, als es galt, vorhandene Gebäude herzurichten, ein alter Pferdestall wurde ein Saal mit Bühne und Beleuchtung, wobei fast alles selbst gemacht werden musste, damit Eurythmieaufführungen von Lieselotte sowie die Vorführungen der Kinder stattfinden konnten. Bei Ausbruch des Krieges hatten die Geschwister von Kaufmann ihren allzu deutsch klingenden Namen aufgegeben, damals nahm George den Namen Adams an und William schnitt einfach die erste Silbe ab. Sein Motiv war vor allem, seinen Kindern Unannehmlichkeiten zu ersparen.

1945, nach Ende des Krieges, von dem in Minehead nur wenig bemerkt worden war, wurde der Entschluss gefasst, nicht mehr in die Stadt zurückzugehen, aber in der Nähe von London Fuß zu fassen. Kidbrooke Park, ein schöner Besitz mit Herrenhaus, 30 Meilen südlich von London, wurde erworben. Dort konnte die Schule in vorhandenen Baracken gleich anfangen, weiter wachsen und sich entwickeln. In diesen Entscheidungen spielte William Mann eine wichtige Rolle. Wieder musste gebaut werden und vorhandene Gebäude mussten bestmöglich genutzt werden, was zu seinem Verantwortungsbereich gehörte.

Seine Liebe zur Kunst veranlasste ihn, bald nach dem Krieg Reisen zu den Stätten der alten Kulturen in Italien, Griechenland und Ägypten zu unternehmen. Da er begonnen hatte, in der Oberstufe Kunstgeschichte zu unterrichten, verschaffte er sich auf diesen Reisen selbst das Anschauungsmaterial in Form von Tausenden von Dias. Er erarbeitete Vorträge, in denen er die Menschheitsgeschichte, wie er sie durch die Anthroposophie kennen gelernt hatte, anhand der Kunstgeschichte seinen Zuhörern in überzeugender Weise vermitteln konnte. Bald wurde er zu Vortragsreisen nach Amerika eingeladen, wo einmal der von ihm verehrte Bruno Walter im Publikum saß. Später wurden seine kunstgeschichtlichen Kurse für Jahre ein fester Bestandteil des Grundjahres am Emerson College. Leider hat er diese Inhalte selten zu Papier gebracht.

1973 - mit 73 Jahren - zog er sich ganz von der Tätigkeit in Michael Hall zurück, setzte jedoch seine Kurse und engen Beziehungen zu den Studenten am Emerson College bis zu seinem Tod fort.

William Mann war ein Mensch mit großer Durchhaltekraft und Treue. Er war vielen Menschen Freund und die Anthroposophie in England verdankt ihm viel. Seine Gesundheit war immer empfindlich gewesen, jedoch hatte er gelernt, damit umzugehen. Er wusste schon länger, dass er in der Magengegend ein Aneurysma hatte, was eines Tages platzen würde. Am ersten Advent 1986 starb er plötzlich mit 86 Jahren.

Martina Mann

Quellen Erwähnungen

N 1956 S. 102
N 1965 S. 149
N 1969 S. 43
AM 1951 Nr. 7-8, S. 7
AM 1957 Nr. 7, S. 1
AM 1962 Nr. 6, S. 2
AM 1969 Nr. 4, S. 3
AM 1974 Nr. 8, S. 8
NAA 1965 Nr. 5, S. 5f

Info

Mitgied der AG in UK, gab Plastizier- und Kunstgeschichtskurse, machte
Farbfotos und Filme. Vortragender. War Geschichtslehrer in der Michael
Hall-Schule in Forest Row, auch in Brighton tätig.
Werke: The Value of Art for the Adolescent, in: Pusch, R. [Ed.]: Waldorf
Schools, Bd. II, Spring Valley 1993; Woodwork. Modelling. The History of Art
as a Necessary Subject; Religion in the Teaching of Art, in: Jarman, R. A. [Ed.]:
Child and Man Extracts, Forest Row o.J.; Beiträge in CaM.
Literatur: Spence, R., Edmunds, F.: William Mann, in: ANS 1987, Nr. 1.
Abkürzungen: siehe hier
Copyright: Text und Bild sind urheberrechtlich geschützt. Reproduktion in jeglicher Form nur nach schriftlicher Genehmigung der Forschungsstelle Stiftung Kulturimpuls, Heidelberg

Forschungsstelle Kulturimpuls Biografien Dokumentation kulturimpuls.org