Thomas Weihs

Dr. med. Weihs, Thomas Johannes

Arzt und Heilpädagoge.

*30.04.1914, Wien (damals Österreich-Ungarn)

✟19.06.1983, Aberdeen (UK)

Thomas Johannes Weihs gehört zu den bedeutendsten Mitarbeitern Karl Königs im Aufbau der Camphill-Bewegung, an dem er gleichermaßen als Arzt wie als Sozialgestalter maßgeblich beteiligt war.

Thomas Weihs entstammte einer wohlhabenden Familie aus Wien. Sein Vater kam aus der Ukraine und war Direktor eines Industrieunternehmens. Die Familie der Mutter stammte aus Spanien. Thomas Weihs wuchs zusammen mit seinem Bruder und seiner jüngeren Schwester in einer behüteten Umgebung auf. Schon während seiner Kindheitsjahre wurde ihm bewusst, wie groß die moralischen und sozialen Probleme der Menschen waren. Er hatte sich bereits früh für den Beruf des Arztes entschieden und studierte Medizin an der Universität Wien, wo er Peter Roth, damals ebenfalls Medizinstudent, traf. Während des Studiums lernte er die Anthroposophie kennen und kam in die Gruppe um Karl König, der damals in Wien eine umfangreiche ärztliche Praxis führte und große Anziehungskraft auf junge Menschen ausübte. Diese Gruppe junger Menschen wurde die Kerngruppe für die Begründung der Camphill-Bewegung.

Aufgrund seiner jüdischen Herkunft war Weihs nach der Annexion von Österreich durch das nationalsozialistische Deutschland hoch gefährdet. Er setzte daher sein Studium in Basel fort. Dort lernte er das Goetheanum kennen und begegnete Ita Wegman. Zusammen mit seiner Familie - er hatte 1936 Helene Stoll geheiratet - übersiedelte er unmittelbar bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf Einladung Karl Königs nach Schottland, um sich der Gruppe aus Wien, die sich dort erneut zusammengefunden hatte, wieder anzuschließen und eine heilpädagogische Arbeit aufzubauen.

Auf einem Gut in der Nähe von Aberdeen wurde der Gruppe um Karl König die Möglichkeit gegeben, einige Kinder mit heilpädagogischem Förderbedarf aufzunehmen. Allerdings wurden die männlichen Mitarbeiter angesichts des Kriegszustandes zunächst als feindliche Ausländer auf der Isle of Man interniert. Auch einige andere Anthroposophen wie Ernst Lehrs und Willi Sucher befanden sich dort und mit ihnen gemeinsam begründeten sie eine anthroposophische Studienarbeit.

Nach der Beendigung der Internierung arbeitete Thomas Weihs zunächst nicht als Arzt, sondern als Betreuer, als Mann für praktische Aufgaben und als Landwirt. Später, 1945, übernahm er sogar eine große Farm, die er zusammen mit einer Gruppe von straffällig gewordenen Jugendlichen bewirtschaftete. Erst Jahre danach wurde die Landwirtschaft von einem gelernten Landwirt übernommen und Thomas Weihs begann in seinem eigentlichen Beruf zu arbeiten. Nach der Scheidung von seiner ersten Frau heiratete Thomas Weihs 1951 Anke Nederhoed ( Anke Weihs).

Inzwischen war die heilpädagogische Arbeit gewachsen und verteilte sich auf mehrere Orte um Aberdeen. Thomas Weihs übernahm nach einer schweren Erkrankung Karl Königs dessen Stellvertretung in der Leitung der heilpädagogischen Arbeit und der Geschäftsführung. Durch die Ausweitung der Camphill-Bewegung auf andere Länder und den damit verbundenen Wegzug von tragenden Mitarbeitern, aber auch durch die zunehmenden internationalen Verpflichtungen Karl Königs wurde Weihs als Deputy Superintendent, später als Superintendent der Camphill Rudolf Steiner Schools der Leiter der dortigen heilpädagogischen Arbeit. Neben Karl König war er für die in den Nachkriegsjahren nach Camphill strebenden jüngeren Ärzte eine Leitfigur, die besonders durch seine wissenschaftliche Denkweise und sein tief lotendes Wissen überzeugte.

Weihs verfügte über eine profunde menschenkundliche Erkenntnisfähigkeit, über die Möglichkeit, sich intensiv in die Situation von Kindern mit Behinderungen einzufühlen und therapeutische Wege mit ihnen zu gehen. So wurde er zunehmend auch außerhalb der Camphill-Schulen in Schottland als heilpädagogischer Arzt konsultiert. Er versorgte zudem einen großen Teil der Praxis, die Karl König in London führte, und wurde - vor allem in späteren Jahren - an vielen Einrichtungen der Camphill-Bewegung konsultativ in Anspruch genommen. Es heißt, er habe über 30 Jahre lang jährlich 500 Kinder gesehen, ihre Angehörigen und Fachpersonen beraten.

Bis 1972 war Thomas Weihs Leiter der Camphill-Einrichtungen in Schottland, danach war er bis zu seinem Tod als Consultant für alle Camphill-Einrichtungen in Großbritannien zuständig.

Thomas Weihs verfügte über eine große Öffentlichkeitswirksamkeit. Er wurde in Fragen der Heilpädagogik in Fachkreise eingeladen und trat im Fernsehen (In defence of the stork) auf. Seine Vortrags- und Konsultationsreisen führten ihn in viele Länder. Die Themen der Vorträge - von denen manche als Typoskripte vorliegen - zeigen ein breites Spektrum.

1971 erschien in London sein Buch „Children in Need of Special Care‟ , das längst zu den Klassikern der heilpädagogischen Literatur gehört und in mehr als zehn Sprachen übersetzt worden ist. Weihs verstand es, in einer Sprache zu schreiben, die Fachleute wie Eltern gleichermaßen erreicht. Er besaß eine starke persönliche Ausstrahlungskraft, die nicht zuletzt seiner zurückhaltenden, etwas distanzierten Art zu verdanken war. Diese ließ ihn die Dinge mit Abstand sehen und trotzdem war er den Geschehnissen mit tiefer innerer Wärme verbunden, was dazu führte, dass viele, vor allem auch junge Menschen, ihn als Vorbild erlebten und als Berater schätzten.

Weihs hatte großes Interesse an der Bildhauerei. Über die Jahre entstand eine Reihe von Werken in verschiedenen Materialien. Seine künstlerische Arbeit hatte in der Auseinandersetzung mit wichtigen Themen und Ereignissen eine nahe Beziehung zum Leben der Camphill-Gemeinschaft. Als z. B. ein Kind im nahen Fluss ertrank, stellte er an der Grenze des Geländes eine Skulptur auf.

Sein ärztliches und administratives Engagement für die Heilpädagogik wäre nicht ohne eine tiefe Verbindung zum religiösen Leben, zu den Bibelabenden und den Sonntagsfeiern des Freien Christlichen Religionsunterrichts und den Sakramenten der Christengemeinschaft, denkbar gewesen.

Die sozial-kulturelle Arbeit Camphills sah er nicht auf die unmittelbare Arbeit vor Ort begrenzt, sondern als einen Beitrag zu aktuellen Problemen und Nöten der Zeit, als Beispiel sozialer Gestaltung, das Bedeutung über die unmittelbar Beteiligten hinaus hat.

In den letzten Lebensjahren arbeitete Thomas Weihs intensiv an Fragen der Embryologie. Daraus entstand das Buch „Embryogenesis in Myth and Legend‟.

Die Arbeit an diesem Buch stand schon unter dem Zeichen seiner schweren Erkrankung. Noch vier Wochen vor seinem Tod machte er eine Reise nach Russland und beendete - schon bettlägerig - die Arbeit an seinem Buch, bevor er am 19. Juni 1983 im Alter von 69 Jahren starb.

Rüdiger Grimm

Quellen Erwähnungen

N 1961 S. 15
N 1969 S. 124, 148, 160, 162, 194
MaD 1969 Nr. 90, S. 316
MaD 1974 Nr. 108, S. 176
BA 1992 Nr. 11, S. 11
AM 1967 Nr. 5, S. 1
AM 1974 Nr. 8, S. 10
ANS 1980 Nr. 6, S. 10
ANS 1983 Nr. 3, S. 5
CaC 1975 Nr. Mar, S. 8, Nr. May, S. 4, June, S. 4; Nr. Aug, S. 12

Info

Lernte Anthroposophie kennen bei Karl König in Wien. Emigrierte nach England
War Camphill-Mitarbeiter in Schottland seit 1939. Lehrer dort, Autor,
Vortragender. Mitglied der UK-Landesges.
Werke:The Farm as an Individuality, Newton Dee 1965; Differential
Diagnosis of Backward Children, Psychotic Children, in: Pietzner, C. [Ed.]:
Aspects of Curative Education, Aberdeen 1966; Children in Need of Special
Care, London 1971,(4)1980; Das entwicklungsgestörte Kind.
Heilpädagogische Erfahrungen in der therapeutischen Gemeinschaft,
Stuttgart 1974, ³1991; Embryonalgenesis in Myth and Legend, Edinburgh
1986; Towards Easter; Contunuation Course; Beiträge in Sammelwerken;
Übersetzungen ins Deutsche, Französische, Italienische, Spanische,
Portugiesische, Rumänische, Russische und Japanische erschienen; Beiträge
in CaC, SHS.
Literatur: Taco, B.: Thomas J. Weihs. Aus der Bestattungsansprache, in: N
1983, Nr. 46; ders.: Thomas J. Weihs, in: SHS 1983, Nr. 3, auch in: Selg, P.
[Hrsg.]: Anthroposophische Ärzte, Dornach 2000; Weihs, A.: Thomas
Johannes Weihs, in: NGB 1983, Nr. 4; dies.: Thomas Weihs, in: BeH 1984,
Nr. 1; Roth, P. u.a.: In Memory of Thomas Weihs, in: CaC 1987, Nr.
Nov./Dec.; Müller-Wiedemann, H.: Karl König. Eine mitteleuropäische
Biografie, Stuttgart 1992; Suhrkamp, J.: Thomas J. Weihs, Whitby 1999
(mit vollständiger Bibliografie).
Abkürzungen: siehe hier
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