Karl Thylmann

Thylmann, Karl

Grafiker, Dichter.

*11.04.1888, Darmstadt (Deutschland)

✟29.08.1916, Groß-Auheim bei Hanau (Deutschland)

Dieses nur 28 Jahre währende Künstlerleben zeigt eine große Kraft des Werdens und Gestaltens - trotz der Farbenblindheit des Künstlers. Er musste sich auf Grafik und Dichtung beschränken.

Karl Thylmann nahm, anders als seine Frau, Joanna Thylmann, die Anthroposophie eher verschwiegen auf, als Ferment.

Karl Thylmanns Vater war Oberlehrer am Gymnasium und am Darmstädter Lehrerinnen-Seminar. Neben dem Gymnasium sind es vor allem die eigenen Studien von großen Kulturen und Religionen, die ihn voranbringen; die wesentliche Förderung war stets autodidaktisch. Die Jugendfreundschaft mit Wilhelm Petersen war bestimmend; von Freunden kam ihm - erst in seinem 16. Jahr - die Erkenntnis seiner Farbenblindheit: als er zwischen roten Mohnblüten im grünen Gras keinen Farbunterschied sehen konnte. Das Traumziel vom Malen musste nun in der Linie und im Schwarz-Weiß gesucht werden.

Schon als 15-Jähriger porträtierte Thylmann treffend, da er aber vielseitig begabt war, sollte er Architektur studieren, wozu er nach dem Abitur nach München ging (1906). Dort trat er in Beziehung zu den Dichtern Karl Wolfskehl und Stefan George, aus deren Bann er sich erst auf seiner großen Italienreise (1910/11) lösen konnte. Durch den Maler Melchior Lechter lernte er 1909 die Theosophie kennen, hielt aber kritische Distanz. Die wichtigste Beziehung in München war und blieb die zu Alexander von Bernus. Bernus bat ihn um die Gestaltung von zwei Gedichtbüchern: „Maria im Rosenhag‟ und „An Caroline Günderode‟. Besonders das Letztere, 1910 beendet, begründete Thylmanns Berühmtheit. Das Günderode-Buch ist durchweg weiß auf schwarz gestaltet und zeigt die durch Freitod aus dem Leben geschiedene Dichterin mit verhülltem Haupt auf einem Thron sitzend, von Ornamentik wie von einem Sternenkosmos umgeben. Auf die Münchener Zeit geht auch Thylmanns bekanntester Bilderzyklus „Gülistan‟ zurück: feinste Tuschezeichnungen von Gärten, Prinzessinnen, Zirkus und Zauber. Er studierte persische Mystik, übersetzte etwas von den Ghaselen des Dschelâl-eddîn-Rumi. Drei Ornamentblätter dazu erschienen.

Der Vater ermöglichte ihm, ein Jahr lang in Italien Studien zu machen. Überaus fruchtbar war dieser Aufenthalt und brachte ihm die künstlerische Selbstständigkeit und das wichtigste Lebensschicksal: Als er im April 1911 in Florenz den Schweizer Dichter Hans Mühlestein porträtierte, erzählte er ihm von einer jungen niederländischen Schauspielerin, Joanna Koops, stets „Jo‟ genannt. Genau ein Jahr später, im April 1912, lernte Thylmann sie kennen. Die Beziehung ermöglichte ihm ein rückhaltloses Sich-öffnen-Können, eine Lösung von seiner sonst ziemlich verschlossenen Art. Sie dagegen reagierte mit einem farbigen Aufblühen ihres Traumlebens, wodurch er in seinem künstlerischen Schaffen innere Anregung und Bestätigung erfuhr. Nach einiger Zeit entdeckte er den Holzschnitt als das für ihn geeignetste Mittel, dem er fortan treu blieb. Ebenfalls entdeckte er Steiner.

Nach seiner Italien-Zeit war Thylmann als Buchillustrator immer bekannter geworden. Der Weimarer Kiepenheuer Verlag bemühte sich um ihn, und Thylmann und Jo heirateten im Juli 1914. Für April 1915 wurde ein Kind erwartet. Aber im Februar 1915 musste Thylmann in die Kaserne, dann in den Krieg, der ihn bis zum Tode festhielt.

Die Holzschnitte haben Thylmann sicher am bekanntesten gemacht. Es sind über 50 Blätter verschiedener Größe, meist Einzelmotive. Zum beginnenden Weltkrieg gehören die Holzschnitte des kämpfenden Soldaten mit dem toten Kameraden hinter sich, die markigen Stämme, das kahle Apfelbäumchen, der Verwundete und schließlich Michael über den Gräbern. Hatte er früher Gedichte gemacht, die eher an Wolfskehl und George erinnern, so brechen jetzt in dieser Situation tiefe und einfache Empfindungen durch, die von Mensch zu Mensch sprechen und ein tiefspirituelles Christentum ahnen lassen. Seit Herbst 1915 beginnt er zu arbeiten wie besessen, in der Vorahnung des frühen Todes. Im Juli 1916 geht er ins Feld - nach Verdun, zum Massengrab des Ersten Weltkriegs. Am 4. August 1916 war Marschbefehl und Thylmann wurde in der Schlacht gleich von der ersten Granate getroffen. Erlebnis in der Ohnmacht: „Hörst du, horch, Geliebte! / Es singt. / Ein Kind bin ich in Kinderchören [...]‟ Dann Heimtransport zum Lazarett Groß-Auheim bei Hanau, dort entstehen die letzten Gedichte. Eines heißt „Narkose‟ und enthält die Worte: „So ist der Tod! / Die Luft wird Sterngranit / Die Luft ist sternig flimmernder Granit [...]‟ Über dieses Erlebnis hat Steiner im Vortrag vom 15. November 1919 gesprochen. Er hatte die von Joanna Thylmann 1919 herausgegebenen Briefe mit den Lazarett-Gedichten erhalten. Steiner kannte Thylmann, er hatte ihn im November 1913 in Berlin persönlich in die Anthroposophische Gesellschaft aufgenommen. Joanna schließt den Briefband mit den Worten: „Am Morgen des 29. August, nach tagelangen Visionen, starb Karl Thylmann in vollkommener Demut und Gottseligkeit.‟

Siegfried Gehlhaar

Quellen Erwähnungen

N 1928 S. 124
N 1929 S. 179
N 1968 S. 129, 168
MaD 1967 S. 239
G 1967 nNr. 15 F.M.Reuschle
G 1968 Nr. 30
G 1989 Nr. 16 Walter Steffen: Zum 100. Geburtstag
DD 1967 Nr. 1 F.M.Reuschle
DD 1973 Nr. 7/8 H. Schütz
CH 1963 Nr. 10 F.M.Reuschle
CH 1963 Nr. 11 "
CH 1971 Nr. 11 A.E.Krogmann
CH 1973 Nr. 4 F.M.Reuschle

Info

Grafiker uns Dichter. War mit Wilhelm Petersen u. mit dem Kreis von Alexander
von Bernus befreundet. Nach Italienreise studierte 1912 in Berlin. Heirat 1914
mit Jo Koops. Rudolf Steiner kannte ihn.
Werke: Jean Paul „Feldprediger Schmelzle‟ (1912); Ch. M. Wieland „Prinz
Biribinker‟ (Weimar 1914); „Die Nachtwachen des Bonaventura‟ (d. i. F. G.
Wetzel, 1779-1819) [Weimar 1915]; Holzschnitte, Berlin 1917, ²1922; Die
Furt. Gedichte, München 1917, Kassel 4. Auflage 1950; Briefe, Darmstadt
1919, 4. Auflage 1969; E. T. A. Hoffmann „Der goldene Topf‟ (München 1920);
A. v. Arnim „Die Majoratsherren‟ (München 1920); Goethe „Urworte, orphisch‟
(Darmstadt 1921); Chr. D. Grabbe „Scherz, Satire, Ironie ...‟ (München
1923); Gedichte, Stuttgart 1968; Karikaturen, Stuttgart o. J.; Holzschnitte
zur Bibel, Stuttgart 1969; Karikaturen, Stuttgart o. J.; Italienische
Radierungen, Stuttgart 1973; als Illustrationen erschienen: Neunzehn
Abbildungen, in: Thylmann, L.: Der Rosengarten, Freiburg i. Br. 1977, ³1978;
Dreiunddreißig Ornamente, in: Thylmann, L.: Gesänge des tanzenden
Gottesfreundes, Freiburg i. Br. 1978, Darmstadt ²1979; N. Gogol „Der
Zauberer‟ [Stuttgart 1984]; Beiträge R, G, CH.
Nachlass: Seit 1989 verwaltet das „Archiv Darmstädter Künstler‟, Klaus K.
Netuschil, den künstlerischen Nachlass. Von dort herausgegeben ist im
Buchhandel ein Auswahlband über Thylmann erhältlich und auch der
Bildband „Gülistan‟, Darmstadt o.J., Stuttgart 6. Auflage 1988.
Literatur: Bernus, A. v.: In memoriam Karl Thylmann (L), in: R 1918, Nr. 2;
Skerst, H. v.: Karl Thylmanns Sendung, in: CH 1934/35, Nr. 4; Martin, B.
[Hrsg.]: Karl Thylmann, Mensch und Werk, Kassel ca. 1937; Braun, F.: Karl
Thylmann, in: N 1938, Nr. 35; Reuschle, F. M.: Karl Thylmann, in: MaD 1966,
Nr. 78; dies.: Karl Thylmann, in: N 1967, Nr. 15; dies.: Im Zeichen der
Menschlichkeit, Stuttgart 1968, ³1985; Thylmann-von Keyserlingk, L.: Karl
Thylmann, Stuttgart o. J.; Schütz, H.: Fertige Anfänge, in: DD 1972, Nr. 3;
Schroeder, H.-W.: Schicksal im Zeichen der Wiederkunft, in: CH 1988, Nr.
11; Netuschil, C. K.: Gestaltungsdrang und Gedankentiefe, in: G 1988, Nr.
14; Gehlhaar, S.: Kreuzwege zum Geist, Darmstadt 1989.
Abkürzungen: siehe hier
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