Willy Storrer
Storrer, Willy

Publizist.

*14.10.1895 Töss bei Winterthur (Schweiz)
.03.05.1930 Gempen bei Dornach (Schweiz)







Willy Storrer galt als charismatische und eigenständige Persönlichkeit. Er war Mitinitiator der Schweizer Rudolf Steiner-Schulbewegung, Mitbegründer der Anthroposophischen Gesellschaft in der Schweiz, erster Administrator der Wochenschrift „Das Goetheanum‟ und Gründer der Kulturzeitschrift „Individualität‟.

Sein Vater war Modellschreiner und wechselte oft den Arbeitsplatz, sodass Willy Storrer an verschiedenen Orten der Ost- und Nordwestschweiz aufwuchs. In Basel beendete er seine Schulzeit und begann eine Kaufmannslehre. Sein in der Universitätsbibliothek gestillter Bildungshunger führte aber zur vorzeitigen Entlassung.

Auf einer siebenjährigen Wanderzeit durch die Schweiz und Deutschland sammelte er in fünf Zeitungsredaktionen Erfahrungen - u. a. als verantwortlicher Schriftleiter beim „Stuttgarter Neuen Tagblatt‟ -, in drei Fabriken lernte er Buchhaltung und Werbung kennen und auf einer Handelsschule qualifizierte er sich zum Stenografielehrer. Im Oktober 1917 wurde er Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft. Er verkehrte in Stuttgarter Künstlerkreisen und lernte Oskar Schlemmer, Willi Baumeister und seine zweite Frau Nora Berg kennen. Mit ihr kam er 1920 als Sekretär von Roman Boos nach Dornach.

Unter der Leitung von Boos kümmerte er sich um die Organisation der ersten Hochschulkurse am Goetheanum und stenografierte mehrere Vorträge mit, die er in Form von Referaten publizierte. Steiner schätzte Storrers Initiativkraft, zumal er ihm bereits im November 1919 eine Einladung des Erziehungsdepartements des Kantons Basel-Stadt zu einem Vortrag (s. GA 297) vor versammelter Lehrerschaft zu verdanken hatte, die für den Beginn der anthroposophischen Schulbewegung in der Schweiz von Bedeutung war.

Als Boos schwer erkrankte, übernahm Storrer interimistisch ab Juni 1921 einen Großteil seiner Aufgaben - die Leitung des Schweizer Bundes für Dreigliederung, das Sekretariat am Goetheanum und der Anthroposophischen Gesellschaft in der Schweiz, an deren Gründung er am 31. Oktober 1920 beteiligt gewesen ist. Neben der fortlaufenden Verwaltungsarbeit engagierte er sich maßgeblich bei der Gründung der von ihm angeregten Wochenschrift „Das Goetheanum‟, die unter der Leitung von Albert Steffen ab August 1921 erschien. Im Zusammenhang damit wurde auch der „Verlag am Goetheanum‟ begründet, dessen Geschäftsführung Storrer übernahm.

Auf seine Anregung gab Steiner im Oktober 1921 vor 58 Teilnehmern einen Orientierungskurs für Redner der Dreigliederung (GA 339), worauf in der Schweiz eine rege Vortragstätigkeit stattfand, an der sich Storrer aktiv beteiligte. Nach einer Unterredung mit Steiner rief er im Januar 1922 den Schulverein der heutigen Rudolf Steiner-Schule Basel ins Leben. Im März 1922 wurde er in den Verwaltungsrat der „Futurum AG‟ gewählt, nachdem er mit Karl Day die finanzielle Krise der Aktien-Gesellschaft aufgedeckt hatte. Die Sanierungsversuche schlugen fehl und fielen zudem in die Zeit der Umgestaltung der Anthroposophischen Gesellschaft 1922/23. Storrer gab mit Ausnahme seiner Tätigkeit für die Wochenschrift „Das Goetheanum‟ alle Verpflichtungen bis Ende 1923 ab.

1922 gründete er mit Willy Stokar für die anthroposophische Jugend in Dornach den Zweig „Neue Generation‟ und lancierte 1923 den eigenen „Verlag für freies Geistesleben‟, in dem er vorwiegend Bücher junger anthroposophischer Autoren herausgab.

Um den Blick nach Steiners Tod wieder auf die Öffentlichkeit zu lenken, gaben er und Hans Reinhart ab 1926 - redigiert mit Willy Stokar und Hans Wilhelm Keller - eine der aus heutiger Sicht interessantesten anthroposophischen Kulturzeitschriften heraus, u. a. mit Erstveröffentlichungen von Hermann Hesse und Robert Walser. Um die „Individualität‟ suchte er einen internationalen Mitarbeiterkreis aus Vertretern der Anthroposophie und des allgemeinen Kulturlebens zu bilden. Kontakte zu Max Bill, Jakob Bührer, Otto Flake, Walter Muschg, Jakob Schaffner, Oskar Schlemmer und Herwarth Walden waren schon geknüpft. Der Versuch gelang nur bedingt. In seinen eigenen programmatischen Artikeln hielt er der „Entmenschlichung des Lebens‟ einen aus Stirner und Steiner gespeisten Individualismus entgegen.

1928 wurde er in den Schweizerischen Schriftstellerverein aufgenommen. Im selben Jahr starb seine Frau. Er heiratete die dänische Schriftstellertochter Florianna Madelung, die ihm einen Sohn schenkte.

1930 sah er sich durch den Jesuit Friedrich Muckermann und den Anthroposophen Jürgen von Grone heftiger Kritik ausgesetzt. Die Entgegnung von Storrer in der nunmehr mit Hanns Martin Elsters Berliner Zeitschrift „Die Horen‟ vereinigten „Individualität‟ war der letzte von ihm verfasste Aufsatz. Am 3. Mai 1930 verunglückte er tödlich mit seinem Sportflugzeug beim Tiefflug über der Gempenplatte bei Dornach.

Ralf Lienhard


Werke: Grenzen der Naturerkenntnis, Referat über 6 Vorträge von Rudolf Steiner, Basel 1920, Romanshorn 1920; Rudolf Steiners Werk. Referat über 6 Vorträge von Dr. Carl Unger, Zürich 1921; als Herausgeber: In memoriam Max Stirner, in: Stirner, M.: Das unwahre Prinzip unserer Erziehung oder Der Humanismus und Realismus, Basel 1926, Dornach 1997; Beiträge in I, weitere in WdN. Mit Ausnahme des letzten Jahrgangs erschien die „Individualität‟ 1973 als Reprint; Bibliografie und eine Auswahl seiner Briefe in: Lienhard, R. [Hrsg.]: Der Kreis der „Individualität‟. Willy Storrer im Briefwechsel mit Oskar Schlemmer, Hermann Hesse, Robert Walser und anderen, Bern 2003.
Literatur: Muckermann, F.: Abschluss und Fortgang der „Horen‟, in: Gral 1930, Nr. 2; Grone, J. v.: Literarischer Ichismus, in: A 1930, Nr. 10; Lauer, H. E.: Bemerkungen zu von Grones Aufsatz „Literarischer Ichismus‟, in: A 1930, Nr. 13; Ballmer, K.: Willy Storrer, in: N 1930, Nr. 20; Kistler, P.: Das Begräbnis Willy Storrers [inkl. Grabreden von Steffen, A. und Dietschi, E.], in: National-Zeitung 1930, Nr. 203; Bernoulli, C. A.: Willy Storrers Individualität, in: Basler Nachrichten 1930, Nr. 122; Marti, H.: Willy Storrer, in: Der Bund 1930, Nr. 205; Elster, H. M.: Willy Storrer, in: Horen 1930, Nr. 5/6; Bühler, P.: Mein Weg zur Anthroposophie, Dornach 1967; Reinacher, E.: Am Abgrund hin, Weinheim 1972; GA 260a, ²1987; Deimann 1987; GA 259, 1991; Lienhard, R.: Robert Walser und „Die anthroposophische Bewegung‟, in: G 1996, Nr. 46; Flake, O.: Es wird Abend, Frankfurt/M. 1980; Zimmermann, H. D.: Der babylonische Dolmetscher, Frankfurt/M. 1985; GA 301, 4. Auflage 1991; Mächler, R.: Das Leben Robert Walsers, Frankfurt/M. 3. Auflage 1992; GA 337b, 1999; Lienhard, R.: Publizist, Unternehmer und Abenteurer. Willy Storrer und „Das Goetheanum‟, in: G 2001, Nr. 34/35.




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