Joseph Beuys

Professor Beuys, Joseph

Bildhauer.

*12.05.1921, Kleve/Niederrhein (Deutschland)

✟23.01.1986, Düsseldorf (Deutschland)

Dass das „innere Auge viel entscheidender ist als die dann sowieso entstehenden äußeren Bilder‟, hat Beuys gerne und immer öfter erzählt, denn diese Aussage war dann auch gleich die Brücke hin zu dem, was ihn zeitlebens bewegt hat: „die Denkform, die Form des Denkens, des Vorstellens, des Fühlens‟. Vielleicht ist es das, was den seit der großen Guggenheim-Ausstellung in New York von 1979 zum Weltstar mutierten Künstler so unbequem machte? Filz und Fett, Kupferstäbe und sein röhrendes Ö-Ö haben so manchen Kulturbeflissenen schier zur Verzweiflung gebracht, Linke wie Rechte, hochkarätige Fachkritiker ebenso wie die Oma von nebenan. „Weltruhm für einen Scharlatan?‟, titelte der „Spiegel‟ (Nr. 45/1979) und dass er ein Schamane sei, raunten sich all jene leidenschaftslos zu, die meinten, dem Mysterium oder dem Fall Beuys auf den Grund gegangen oder auf der Spur zu sein. Derweil hantierte Beuys unbeirrt weiter, betitelte die Twintowers mit den Namen arabischer Heiliger, teilte Raum, Zeitung und Filz tagelang mit einem Kojoten unter dem Motto „I like America and America likes me‟, trieb an der documenta 6 Honig durch einige zig Meter Plastikschlauch, der schließlich den Raum der Free International University (FIU) im Fridericianum mit der nötigen Wärme-Energie versorgte, gleichsam als Initiationsimpuls für den „Eintritt in ein Lebenwesen‟, um, wieder am Fußpunkt angekommen, erneut in den Kreislauf einzutreten.

Geboren am 12. Mai 1921 in Kleve am Niederrhein, deutet zunächst nichts darauf hin, dass später einmal die großen Museen der Welt um Ausstellungen oder den Ankauf seiner Werke wetteifern werden oder dass kein anderer deutscher Künstler so nachhaltig die Feuilletons gegeneinander treiben wird wie Joseph Beuys. Aufgewachsen als Sohn eines Mehl- und Futtermittelhändlers am Niederrhein, abseits von all dem Getriebe, wo die großen Fragen der Zeit verhandelt werden, war es vor allem die Natur, die ihn faszinierte und ein naturwissenschaftliches Interesse in ihm weckte, sodass er sich in seinem Elternhaus ein eigenes Labor einrichtete in der Absicht, später einmal Biologie zu studieren. Zwischen Kindheit und Studentenleben stand aber noch etwas anderes, das ihn in mehrfacher Hinsicht prägen und verändern sollte: der Zweite Weltkrieg.

Nur wenige Wochen nach dem Abitur beginnt er bei der Luftnachrichtenkompanie in Posen, weiter dann in Erfurt und Königgrätz eine Ausbildung zum Bordfunker und Flugzeugführer. Bereits in Posen 1941 begegnet er Fritz Rolf Rothenburg, durch den er die Anthroposophie und die Idee der sozialen Dreigliederung kennen lernt. Die enge Verbindung zwischen beiden zeigt sich viele Jahre später in der Erwähnung Oranienburgs im von Beuys verfassten Lebenslauf/Werklauf, die sich auf den Tod des Freundes Fritz Rolf Rothenburg im Konzentrationslager Sachsenhausen bezieht. Die soziale Dreigliederung wird später zu einem zentralen Thema im Leben und Werk von Beuys, verschlüsselt und operationalisiert insbesondere in der von ihm als wesentlichste künstlerische Handlung inaugurierten „Sozialen Plastik‟.

Im Frühjahr 1944 wird das Flugzeug, in dem sich Beuys als Bordfunker und Bordschütze befindet, über der Halbinsel Krim von russischen Flakgeschossen getroffen. Dem Piloten gelang es noch, die Maschine hinter die deutschen Linien zu bringen, er konnte aber nicht verhindern, dass infolge eines einsetzenden Schneesturmes das Flugzeug manövrierunfähig wurde, bei der Notlandung hart auf dem Boden aufprallte und Beuys herausgeschleudert wurde. „Tataren entdeckten mich [...] und pflegten mich, bis ein deutsches Suchkommando die Überführung in ein Militärlazarett veranlasste.‟ (Adriani ²1984, S. 17) Ein Jahr zuvor muss Beuys den Entschluss gefasst haben, Bildhauer zu werden, denn er bewirbt sich per Feldpost an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin um einen Studienplatz.

Acht Monate nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft beginnt Beuys am 1. April 1946 sein Bildhauerstudium an der Kunstakademie in Düsseldorf bei dem Rodin-Schüler Joseph Enseling, das er dann 1947 bei Ewald Mataré fortsetzt. 1951 beendet er als dessen Meisterschüler sein Studium und erhält zusammen mit Erwin Heerich ein Atelier unter dem Dach der Akademie, in dem er bis 1954 arbeitet. Im selben Jahr erwerben die Brüder Hans und Franz Joseph van der Grinten erste Arbeiten von Beuys und legen damit den Grundstein zu einer einzigartigen Sammlung, die seit einigen Jahren im Schloss Moyland bei Kalkar am Niederrhein der Öffentlichkeit zugänglich ist. Ebenfalls ins Jahr 1951 fällt Beuys’ erste Reise nach Dornach zusammen mit seinem Studienfreund Günther Mancke und dessen Frau Irmgard, später Gründungslehrerin der Waldorfschulen in Dortmund und Trier.

Zehn Jahre später wird, auf einstimmigen Beschluss des Akademiekollegiums hin, Joseph Beuys an den Lehrstuhl für monumentale Bildhauerei der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf berufen. „Beuys ging im Unterricht immer ganz persönlich auf seine Studenten ein‟, erinnert sich Günther Mancke (Bind 1994), womit die kommenden Konflikte mit der staatlichen Oberaufsicht im Grunde genommen schon vorprogrammiert waren, da die Studienordnungen einen solchen persönlichen Einsatz nicht vorsahen. So hat Beuys mit der Gründung der Studentenpartei im Jahre 1967 und der Gründung der „Organisation für direkte Demokratie‟ 1971 die Toleranzgrenze seitens der staatlichen Aufsichtsbehörden eigentlich schon überschritten. Seine Weigerung schließlich, sich den üblichen Studenten-Auswahlverfahren zu beugen, und die damit im Zusammenhang stehende Besetzung des Sekretariats der Akademie durch Beuys und seine Studenten führte am 10. Oktober 1972 zu seiner sofortigen Entlassung durch den nordrhein-westfälischen Minister für Wissenschaft und Forschung, Johannes Rau.

Kunst und Diskurs waren in der Beuys-Klasse parallel veranlagte Vorgänge. Dabei ging es um das Erlebnis des Freiheitsbegriffs ebenso wie um tagespolitische Ereignisse (z. B. Sechstagekrieg) oder die Frage nach dem Wesen des Geldes (Kunst = Kapital). Zum Zeitpunkt seiner Entlassung war Beuys bereits ein weithin bekannter Künstler. Zahlreiche Ausstellungen, Rauminstallationen und Aktionen wie „Celtic+‟ (Basel), „Ausfegen‟ (Berlin, Alexanderplatz), vor allem aber seine Teilnahme an der documenta 3 (1964), 4 (1968) und 5 (1972) hatten neue Sichtweisen aufgetan und den Kunstbetrieb neu in Bewegung gebracht. Die documenta 6 (1977) mit dem Beuys-Beitrag „Honigpumpe am Arbeitsplatz‟ sowie die documenta 7 (1982) mit seinem Projekt „7000 Eichen‟ sowie weitere zahlreiche Ausstellungen und Aktionen weltweit haben die Fachwelt nach und nach zu Superlativen in der Einschätzung seiner Arbeit hingerissen, obgleich der tiefere Sinn seines Tuns den meisten verborgen blieb.

Seine tiefe Beziehung zur Anthroposophie ist vielen seiner Kritiker eher suspekt, ist eine leider nicht ganz zu übersehende Nebenerscheinung. Zweifellos, Beuys hat insbesondere in seiner ihm eigenen künstlerischen Arbeit nie oder nur ganz selten auf diesen Zusammenhang verwiesen, denn, so seine Auffassung, man hätte es ohnehin nicht verstanden oder nur missverstanden. Aber wohl kein anderer, der ein solch großes öffentliches Interesse auf sich zog, hat mit einer solchen Intensität, mit einer solchen Akribie Steiner’sches Gedankengut in sich verarbeitet und nach seinem Willen geformt wie Joseph Beuys. Geschult schon während seiner Studienzeit in zahlreichen „Belehrungsstunden‟ durch den Düsseldorfer Zweigleiter Max Benirschke und später durch das intensive Studium Steiner’scher Vorträge immer wieder neu inspiriert, schuf er unzählige Arbeiten, in denen seine substanzielle innere (anthroposophische) Erfahrung ihren eigenen Ausdruck findet. Begriffe wie „plastisch-elastisch‟, „Richtkräfte‟, Werkbezeichnungen wie „SaFG-SaUG‟, „Golgatha‟ oder Installationen wie die „Honigpumpe am Arbeitsplatz‟ sind nur einige Beispiele hierfür.

Seine Beziehung zur Anthroposophie führt im Zusammenhang mit den Achberger Dreigliederern auch zur Verbindung mit der Anthroposophischen Gesellschaft, deren Mitglied er 1973 wird. Mit Ausnahme einiger Aktionen/Vorträge an Waldorfschulen im Ruhrgebiet und engen Beziehungen zu einzelnen Anthroposophen ist er jedoch innerhalb der anthroposophischen Bewegung nicht in Erscheinung getreten. Dies mag vielleicht auch mit einem Schlüsselerlebnis (mal als Vierjähriger, mal als Siebenjähriger) zu tun haben, von dem er verschiedentlich erzählt. „Ich laufe über eine Wiese, in Kleve, ein Bild, und da fährt ein Zug [...]. Der Zug hält an, es steigt ein Herr aus, ganz schwarz gekleidet, mit einem Zylinder auf, kommt auf mich zu - und sagt: ich habe es versucht mit meinen Mitteln, versuche du es - nur! - aus deinen Mitteln (lacht). Das war alles.‟ („Kunst-Nachrichten‟, Heft 3/1977, Luzern) - Worum es sich hier handelt, darüber gibt ein Brief Auskunft, den Beuys am 21. Oktober 1971 an einem Freiburger Rundfunkregisseur und Anthroposophen geschrieben hat. Dort heißt es: „Nehmen Sie aber bitte entgegen: Ihre Worte haben mich tief berührt, weil Sie mir damit den Namen Rudolf Steiners zuriefen, über den ich seit meiner Kindheit immer wieder nachdenken muss, weil ich weiß, [dass] gerade von ihm ein Auftrag an mich erging, auf meine Weise den Menschen die Entfremdung und das Misstrauen gegenüber dem Übersinnlichen nach und nach wegzuräumen.‟ (G Nr. 27 1994)

Walter Kugler

Quellen Erwähnungen

N 1999 Nr. 27, S. 16
N 2000 Nr. 36, S. 15
MaD 1985 Nr. 153, S. 243
G 1987 Nr. vom 1.3. Walter Steffen
DD 1986 Nr. 3, S. 200-208
DD 1987 Nr. 6, S. 446-459
DD 1988 Nr. 7/8, S. 603-626
DD 1994 Nr. Mai
MAVN 1986 Nr. 4, S. 102
MAVN 1987 Nr. 9, S. 258
Sam, M.M.: Eurythmie, Dornach 2014, S. 62

Info

Er lernte die Anthroposophie durch Max Benirschke kennen.
Werke: Jeder Mensch ein Künstler, Frankfurt/M. 1975; Aufruf zur Alternative,
Achberg 1980; mit Bartsch, G. u. a.: Abschied vom Wachstumswahn, Achberg
1981; Reden über das eigene Land, München 1985, Wangen ²1995; Ein kurzes
erstes Bild von dem konkreten Wirkungsfelde der Sozialen Kunst, Wangen
1987, ²1989; Aktive Neutralität, Wangen 1987, 4. Aufl. 1994 ; Auch wenn ich
meinen Namen schreibe, zeichne ich, Köln 1989; mit Michael Ende: Kunst und
Politik. Ein Gespräch, Wangen 1989; Das Kapital, Göttingen 1990; Das
Wirtschaftswertprinzip, Göttingen 1990; Was ist Geld? Eine
Podiumsdiskussion, Wangen 1991; Kunst = Kapital. Achberger Vorträge,
Wangen 1992; Manresa. Eine Fluxus-Demonstration, Frankfurt/M. 1992.
Literatur: Harlan, V. u. a.: Soziale Plastik, Achberg 1976, ³1984; Adriani, G.
u. a.: Joseph Beuys, Leben und Werk, Köln 1981, ²1984; Zweite, A.: Joseph
Beuys. Arbeiten aus Münchner Sammlungen, München 1981; Stüttgen, J. u.
a.: Joseph Beuys - Halbzeit, Krefeld 1984; Büttner, G.: Joseph Beuys, in:
CH 1986, Nr. 3; Harlan, V.: Was ist Kunst? Werkstattgespräch, Stuttgart
1986, 5. Aufl. 1996; Thönges-Stringaris, R.: Letzter Raum, Stuttgart 1986;
Göbel, F., Schmundt, W.: Begegnungen mit Joseph Beuys, in: MaD 1986, Nr.
157; Meyer, F.: Über die Erkenntnisvoraussetzungen der „sozialen Kunst‟,
in: DD 1987, Nr. 10; Staeck, K., Steidl, G.: Beuys in Amerika, Göttingen
1987; Bastian, H. v.: Joseph Beuys. Skulpturen und Objekte, München 1988;
Stüttgen, J.: Zeitstau, Stuttgart 1988; Mennekes, F.: Beuys zu Christus.
Beuys on Christ, Stuttgart 1989, 4. Aufl. 1994; Raz, B.: Künstlergespräche,
in: G 1990, Nr. 46; Koepplin, D.: Wie sich Beuys nähern?, in: DD 1991, Nr. 5;
Kerler, R.: Von der Kunst, das Geld zu zähmen, in: DD 1992, Nr. 10; Schade,
W.: Joseph Beuys. Frühe Zeichnungen, München 1992; Bind, R.: Günther
Mancke erzählt von Beuys, Römer-Liechti, V.: Zur ersten Schweizer Reise
von Beuys, Brügge, P. u. a.: Von Beuys’ Verhältnis zu Rudolf Steiner,
Barkhoff, M.: Anthroposophisches in Beuys’ Werken, Staiger, A.:
Metamorphosen von Goethe bis Beuys, Bind, R.: Beuys und Rudolf Steiner,
Krüger, M.: L’Art pour l’Arbre!, in: G 1994, Nr. 27; Briggs, M. et al.: Joseph
Beuys. His Art and Rudolf Steiner, West Hoastly 1995; Zumdick, W.: Über
das Denken bei Joseph Beuys und Rudolf Steiner, Basel [1995]; Oellers, A.
C. u. a.: Kreuzzeichen. Religiöse Grundlagen Joseph Beuys’, Aachen 1985;
Bockemühl, M. u. a.: Joseph Beuys Symposium, Kranenburg 1995, Basel
1996; Tritschler, K.-H.: Joseph Beuys - aphoristische Skizzen, in: MaD 2000,
Nr. 211.
Abkürzungen: siehe hier
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