Peter von Siemens

Dr. rer. pol. von Siemens, Peter

Industrieller.

*29.01.1911, Charlottenburg (Deutschland)

✟23.05.1986, München (Deutschland)

Peter von Siemens war ein Urenkel von Werner von Siemens, dem Gründer des heutigen Weltunternehmens Siemens. Nach dem Abitur und einem mit der Promotion abgeschlossenen Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Rostock begann er seine industrielle berufliche Laufbahn im Hause Siemens 1934 in Berlin. 1935 ging er die Ehe mit Julia Lienau ein. Aus dieser Verbindung stammen ein Sohn und eine Tochter. Er war glücklicher Großvater von sieben Enkelkindern und konnte im Dezember 1985 noch mit seiner Frau das Fest der Goldenen Hochzeit feiern. 1937 übernahm er Aufgaben seines Unternehmens in Südamerika. Wegen des Krieges konnte er erst 1948 nach Deutschland zurückkehren.

Was seine geistige Entwicklung und seine Interessen betraf, so hat er sich in seinem dritten Lebensjahrzehnt „weltanschaulich tastend mit vielen Fragen befasst‟. Dann aber bezeichnet er die Quellen konkreter: „Meine inneren Lehrmeister waren hierbei: Goethe, mit dem ich mich stets intensiv beschäftigt habe, die großen klassischen Musiker mit ihrer tönenden Philosophie (er hatte sich musikalisch sehr weit durchgebildet, beherrschte das Partitur-Lesen und dirigierte in früheren Jahren Orchester) und Meister Eckart, wohl der bedeutendste deutsche Mystiker, den man auch als einen der großen christlichen Lehrer des menschlichen Ich bezeichnen kann‟.

Damit aber konnte das immer mehr aufkeimende Suchen von Peter von Siemens noch nicht befriedigt sein. Nachdem er in Brasilien Meister Eckart tiefergehend aufgenommen hatte, begegnete er 1943 - in seinem 33. Lebensjahr - in Buenos Aires Carl Albert Friedenreich, der in den Gründerjahren der ersten Waldorfschule in Stuttgart - von Rudolf Steiner berufen - als Musiklehrer tätig wurde und später nach Argentinien ausgewandert war.

Zu Carl Albert Friedenreich entwickelte sich eine tiefe geistige Freundschaft, die den weiteren inneren Weg von Peter von Siemens entscheidend beeinflusste. „Im Zeichen unserer eng und vertrauensvoll gewordenen Freundschaft‟ - so äußerte er sich hierzu - „vermittelte mir Friedenreich tiefe Einblicke in das Wesen der Anthroposophie und ihres Schöpfers ... er wies mir den Weg in eine ‚aktuelle Zeitlosigkeit‘, worin Alltag und Ewigkeit eine Kommunion eingingen und den tieferen Sinn des Daseins offenbarten, zugleich wurde mir mit dem Studium der ‚Geheimwissenschaft im Umriss‘ Sinn und Zweck der Menschheitsentwicklung klar, und der Weltenplan tat sich in seiner Größe vor mir auf. Hierbei wurde der Blick für die Aufgaben einer jeden Epoche geschärft und die Einsicht fundiert, dass nichts zu früh, aber auch nichts zu spät geschehen darf, wenn das Ganze nicht Schaden erleiden soll; und dass wir durch die Einwirkung der Widersachermächte ständig eine Gratwanderung zwischen widersprüchlichen Extremen zu vollziehen haben.‟

Ein weiterer Schwerpunkt im Entwicklungsgang von Peter von Siemens betrifft die Beschäftigung mit den erkenntnistheoretischen Fragen. Ein solches Studium diente nicht nur einer grundlegenden erkenntnistheoretischen Orientierung im Hinblick auf Ansatz und neue vertretbare Forschungsergebnisse einer zukunftsorientierten Geisteswissenschaft (Anthroposophie), sondern eine solche Erarbeitung sollte vor allem durch die Strenge und Objektivität in der Handhabung denkerischer Prozesse zu einer spirituellen Disziplinierung führen, um somit in einer überschaubaren, lebensvollen und ausgewogenen Ich-Verantwortlichkeit in den Welten zu stehen. Carl Albert Friedenreich hat auf diesem Gebiet intensiv gearbeitet und entsprechende Hinweise gegeben, die von Peter von Siemens aufgegriffen und immer wieder praktiziert wurden. Dies führte ihn zu den wertvollen Eigenschaften des sogenannten „Augenmaßes‟ und einer Ausgewogenheit, die ihm im beruflichen Wirken sehr hilfreich werden sollten.

Nachdem Peter von Siemens 1948 nach Deutschland zurückkehren konnte, verband er sich stärker und immer vielseitiger mit den Impulsen der anthroposophischen Bewegung. Eine wichtige Stufe stellt die Begegnung mit Ernst Lehrs dar, vor allem die Bekanntschaft mit dessen Buch „Mensch und Materie‟, von dessen Lektüre er bemerkte, dass er der Arbeit von Lehrs „erkenntnismäßig außerordentlich viel verdanke‟. - Was Carl Albert Friedenreich betrifft, so konnte dieser im Winter 1964/65 nach Deutschland zurückkehren. In großer Lebens- und Schicksalstreue schaffte Peter von Siemens seinem Freunde hier die erforderlichen Voraussetzungen, die es Friedenreich ermöglichten, materiell gesichert zu leben und auf dieser Grundlage noch bis zu seinem Tode im Jahre 1969 durch Vortragsreihen und Buchveröffentlichungen zu wirken.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Peter von Siemens durch seine ausgeprägten Goethe-Studien, durch die immer wiederholte Durcharbeitung der erkenntnistheoretischen Schriften Rudolf Steiners und durch die tiefen Anregungen der oben erwähnten Persönlichkeiten ein klares Verhältnis zu der epochalen Bedeutung naturwissenschaftlichen Denkens und dessen vielfältigen und z. T. atemberaubenden technischen Auswirkungen fand. Dies gab ihm u. a. die notwendige Orientierung und Kraft, sich als Nicht-Techniker in einem beruflich hochtechnischen Umfeld nicht nur mit allem Wesentlichen vertraut zu machen und sich gegenüber Ingenieuren und Naturwissenschaftlern Respekt zu verschaffen, sondern er sah sich darüber hinaus in der Lage, seine lebendig weiterentwickelten Auffassungen auf diesem Gebiet in anthroposophischen Zusammenhängen klar und eindeutig zu vertreten. Den Widersachermächten ins Auge zu schauen, sie im Weltengefüge zu bejahen, um einstmals im Kampf um die christliche Mitte zu obsiegen: dies war hierbei sein Leitgedanke.

Im Oktober 1971 übernahm Peter von Siemens, bereits 60-jährig, das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden der Siemens AG. Er hat diese Funktion mit Umsicht und mit der schonungslosen Hingabe aller seiner physischen und geistigen Kräfte fast ein volles Jahrzehnt wahrgenommen. Mit seinem Rücktritt als Vorsitzender des Aufsichtsrats anlässlich seines 70. Geburtstages war es aber keineswegs so, dass sein berufliches Wirken beendet gewesen wäre. Viele Funktionen nahm er immer noch wahr - in nationalen und internationalen Bereichen. Auch entfaltete er weiter eine lebhafte Vortragstätigkeit, die sich immer wieder mit Problemen der technischen Zivilisation befasste. In einem Nachruf der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. Mai 1986 fand sich hierzu die zusammenfassende Würdigung: „Er war ein Mensch, der über das eigene Unternehmen hinausschaute, prädestiniert für die Rolle eines Botschafters nach drinnen und draußen, auch für die gesamte deutsche Wirtschaft.‟

Sein Leben war gekennzeichnet durch eine große Spannweite geistiger Interessen. Beispielhaft muß noch sein über Jahrzehnte währendes Engagement für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise erwähnt werden, wobei in diesem Zusammenhang als Besonderheit zu vermerken ist, dass er noch vor einigen Jahren, zusammen mit Hellmut Finsterlin, die Herausgabe ausgewählter Teile des Nachlasses von Hugo Erbe besorgte, der sich u. a. mit der weiteren Entwicklung biologisch-dynamischer Präparate befasst hatte. Die Kunst der Eurythmie fand stets seine hohe Wertschätzung und Freude; vor allem war er mit den von Rudolf Steiner gegebenen Eurythmie-Formen zu den Wochensprüchen des Seelenkalenders immer wieder befasst.

Weiter lebte er mit den kosmischen Siegeln, deren Bedeutung er immer wieder zu ergründen suchte. Mit dem Kultus der Christengemeinschaft und einer diesbezüglich ausgewählten Literatur war er innerlichst verbunden. Im Rahmen des Heidenheimer Arbeitskreises arbeitete er an dem Verständnis und der weiteren begrifflichen Ausgestaltung einer Dreigliederung des sozialen Organismus mit. Auf diesem Feld ging es ihm besonders um „Augenmaß‟ und eine realistische Einschätzung der Gegebenheiten. Nach vielen Diskussionen über eine „Gliederung‟ (des sozialen Organismus) stellte er vielmehr den „Zusammenklang‟ (der doch bestehenden Glieder) heraus, den es zu verbessern und zu stärken gelte.

In den 50er-Jahren lebten in Nürnberg Anny von Lange und Maria Führmann. Peter von Siemens, der seinerzeit in dem nahe gelegenen Erlangen tätig war, unterstützte die beiden Damen, so dass sie sich - nach Überwindung der ärgsten Bedrängnisse - voll ihren musikalischen und gesangspädagogischen Arbeiten widmen konnten. Die Früchte blieben nicht aus: Anny von Lange vollendete ihr zweibändiges Werk „Mensch, Musik und Kosmos‟, und Maria Führmann legte ihre Erfahrungen und Erkenntnisse aus ihrer gesangspädagogischen Arbeit in ihrem Buch „Die Praxis des Gesanges‟ nieder. Ohne die Freundeshilfe von Peter von Siemens wären die Arbeiten kaum zur Veröffentlichung gekommen.

Die Vielfalt seiner geistigen Interessen, die ihn zeitlebens zum Sucher bestimmten, sowie der dauernde Druck, der aus seinen ebenfalls sehr vielfältigen und zugleich .verantwortungsvollen beruflichen Aufgaben resultierte, erzwangen von ihm häufig das Äußerste an Anspannung und Leistung. Hinzu kam die Vielseitigkeit seiner Natur: er war künstlerisch ebenso wie wissenschaftlich orientiert und befähigt. Auch seine religiöse Natur war ein starkes Faktum. Er wollte dementsprechend stets unterschiedlichsten Gesichtspunkten gerecht werden - mit ständig schweren Auflagen für sich selbst, deren Erfüllung er übte und denen er in bestmöglicher Weise zu entsprechen suchte.

Eine spirituelle Reife war die Frucht seines unermüdlichen Ringens. Mit ihm verließ in den Morgenstunden des 23. Mai 1986 im 76. Lebensjahr eine wahrhaft dienende und kosmopolitisch orientierte Persönlichkeit die Erde. Er war nicht nur ein Botschafter der Wirtschaft in allen Ländern der Welt; er war ein Weltbürger des Geistes, dem man in aller Welt hohe Wertschätzung entgegenbrachte.

Rüdiger von Canal

Quellen Erwähnungen

N 1957 S. 120
N 1959 S. 63, 76
N 1965 S. 77
N 1966 S. 128
N 1967 S. 31, 65
N 1968 S. 118, 158, 170
ANS 1981 Nr. 1, S. 5
Wistinghausen, D. von: Typoskript

Info

Eltern: Werner Ferdinand, Berlin 7.2.1885-Berlin 27.7.1937
Katrin, geb. Heck " 25.6.1889- Reichenhall 24.8.1919
Geheiratet 18/19.4.1910, geschieden 20.12.1915
Heirat in Berlin,18.12.1935 mit Maria Julia Lienau, geb. Monevideo 3.5.1916
Kinder: Peter Carl, geb. Rio de Janeiro 10.8.1937, lebt in München
Katharina Margarete Julia, geb. Berlin 24.12.1938
verheiratet seit 1959 mit Kraft zu Hohenlohe-Langenburg
lebt in Schloss Neuenstein/Öhringen
Werke: Carl Albert Friedenreich, in: Husemann, G., Tautz, J.[Hrsg.]: Der
Lehrerkreis um Rudolf Steiner, Stuttgart 1977; mit anderen:
Industrieforschung und ihre Relevanz für Hochschulen, Essen 1984, Beiträge in
MaK.
Literatur: Fuld, E., Hornemann, D.: Durch Kernenergie zu
Verantwortungsbewußtsein und Selbstlosigkeit? Interview mit dem
Industriellen Peter von Siemens, in: Brüll, R.[Hrsg.]: „Abenteuer des Lebens‟,
Frankfurt/M. o. J.; Unger, G.: Peter von Siemens, in: N 1986, Nr. 24; von
Canal, R.: Peter von Siemens, in: MaD 1986, Nr. 157; Finsterlin, H.: Zum
Gedenken. Dr. Peter von Siemens, in: Er 1986, Nr. 3; Koepf, H., von Plato,
B.: Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise im 20. Jahrhundert, Dornach
2001.
Abkürzungen: siehe hier
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