Jules Sauerwein

Dr.; Lic. à lettres Sauerwein, Jules

Journalist.

*20.01.1880, Marseille (Frankreich)

✟30.06.1967, St. Cloud (Frankreich)

Jules Sauerwein, einer der bekanntesten Journalisten Frankreichs zwischen den zwei Weltkriegen, hat - trotz seines ausgefüllten und intensiven Arbeitslebens - jahrzehntelang bewusst die Beziehung zu Rudolf Steiner gepflegt. Sein Lebensziel galt dem Vermitteln: zwischen Rudolf Steiner und der Weltpolitik, zwischen deutscher und französischer Kultur, Politik und Sprache. Er übersetzte mehrere Werke ins Französische (u.a. 1909 „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‟ und 1914 „Die Geheimwissenschaft im Umriss‟ und die meisten mündlichen Vorträge, die Steiner für ein französisches Publikum gehalten hat.

Jules Sauerwein wird als vorletztes Kind einer achtköpfigen Kinderschar und als der jüngere Bruder von Alice Sauerwein geboren. Der Vater, Christian Philippe Sauerwein, dessen Ahnen von Österreich ins Rheinland gewandert waren, lebte seit 1848 in Frankreich. Die Mutter, Florentine Henriette Roux, war die Tochter eines Handelsflottenbesitzers aus Nantes (Bretagne) und seiner holländischen Frau.

Dem bunten Treiben des Mittelmeerhafens Marseille, einem Schnittpunkt verschiedener Länder und Nationen, entspricht die Vermischung verschiedener Kultur- und Volksströme im Kindheitsleben der Geschwister Sauerwein, was sie über die sonst übliche Dominanz eines einzigen erhebt: das Mitteleuropäisch-Deutsche durch den Vater trifft mit einem Nord-Westeuropäischen durch die Mutter und einem südfranzösischen Klima in der Tradition der Mittelmeerländer zusammen. Dies bereitet besonders Jules Sauerwein auf seine Lebensaufgabe vor. Und verinnerlicht wird diese Fülle durch einen streng ausgeübten Protestantismus in der Familie, der mit einem eifrigen Bibelstudium einhergeht, was nachhaltig die Fantasie des künstlerisch begabten Kindes geprägt hat. - Frühzeitig lernt Jules Sauerwein das Klavierspiel; seine Virtuosität auf diesem Instrument - er kann selbst bei schwierigen Stücken auf Notenblätter verzichten - und seine Liebe zur Musik, in der er die besonderen Aufgaben des deutschen Wesens wiederfindet, begleiten ihn sein ganzes Leben, und zwar so, dass man sich fragen kann, welche seiner Begabungen denn nun die größere gewesen ist: die des Journalisten oder die des Pianisten.

Mit 17 Jahren tauscht Jules Sauerwein Marseille gegen Paris, lernt auf dem berühmten Gymnasium Henri IV den Philosophen Henri Bergson kennen und geht 1904 für eine Lehre als Bankkaufmann nach Wien. Sein einnehmendes, offenes und interessantes Wesen lässt ihn bald mit allen Größen dieser Stadt bekannt werden - eine für das Leben Jules Sauerweins typische Erscheinung - wie z. B. mit Friedrich Eckstein, der ihn an Rudolf Steiner weiterweist. So kommt es 1906 zur ersten Begegnung mit Steiner in Wien: Jules Sauerwein, der noch nicht Mitglied der Theosophischen Gesellschaft ist, erhält im Februar 1907 von Rudolf Steiner persönlich die Erlaubnis, an einem Vortrag teilzunehmen. Jules Sauerwein ist tief beeindruckt - er beginnt einen Schulungsweg, der ihn auf seine Berufslaufbahn vorbereitet: das Erlernen eines wachen Betrachtens der Vorgänge unter Zurückhaltung jedes voreiligen Urteils, ein „wachsames Vagabundensein‟, wie Jules Sauerwein es nennt.

1909 beginnt er eine Journalistenlaufbahn, die ihn in das Rampenlicht der Geschichtsbühne des 20. Jahrhunderts rückt, auf der er nicht nur Zuschauer bleiben sollte, sondern oft genug auch zum Akteur wird. Er tritt in den Redaktionsdienst des „Le Matin‟ ein, eines der vier größten Pariser Tagesblätter. Gleich nach Ende des Ersten Weltkriegs sucht Jules Sauerwein wiederholt das Gespräch mit Rudolf Steiner über die Weltlage. Höhepunkt dieser Suche nach den Hintergründen des Geschehens ist die Veröffentlichung eines Interviews mit Rudolf Steiner auf der ersten Seite von „Le Matin‟ im Oktober 1921 unter dem Titel: „Ein Licht auf die Ursachen des Krieges. Die unveröffentlichten und in Deutschland verbotenen Memoiren des Generalstabschefs von Moltke betreffend‟. Mit dieser bemerkenswerten und außerordentlich mutigen Tat, die Jules Sauerwein auf dem Höhepunkt seiner Journalistenlaufbahn vollbrachte, stellt er sich den damals äußerst chauvinistischen Empfindungen der Völker entgegen. Gleichzeitig ist es dieser Artikel im französischsprachigen „Le Matin‟, in dem zum ersten Mal in der Weltgeschichte etwas von den eigentlichen Ursachen des Kriegsausbruchs bekannt wird. -

Während der Französischen Woche in Dornach im September 1922 übersetzt Jules Sauerwein alle Vorträge Steiners. Die auf Steiners Tod folgenden Konflikte beobachtet er mit Abstand; seinem weltoffenen Wesen widerspricht es, an den Kämpfen von Splittergruppen teilzunehmen. Und so gehen seine Beziehungen zu Dornach zunehmend zurück. Mit Ita Wegman blieb er verbunden. Nach dem Tod seiner Schwester Alice Sauerwein im Februar 1932 kommt es auch im Leben Jules Sauerweins zu einer Lebenskrise; er veröffentlicht seine Memoiren, in denen er u. a. von Rudolf Steiner erzählt, in den Basler Nachrichten. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs findet sein aktives Journalistenleben, das dem Ringen um eine deutsch-französische Verständigung galt, einen Abschluss. 1940 verlässt er „Le Matin‟ und zieht sich nach Portugal zurück. Er stirbt 87-jährig, in St.-Cloud, unweit von Paris.

Irene Diet

Quellen Erwähnungen

N 1947 S. 168
N 1970 S. 74
MaD 1994 Nr. 188, S. 141 ff I.Diet
MaD 1994 Nr. 189, S. 243 ff I.Diet
MaD 1994 Nr. 190, S. 334 ff I.Diet
GA 24 S. 235, 238f, 485, 619f
GA 262 Personenregister
LaM 1978 Nr. 2, S. VII

Info

Er verbrachte seine Jugend in Marseille
Werke: Memoiren, in Fortsetzungen, in: Basler Nachrichten, Feb./März 1932; 30
ans sur la Une, mit einem Vorwort von Pierre Lazareff, Paris 1962; 3 Aufsätze in
G, weitere in C, PA und Tom.
Literatur : Weidmann, E.: Zum Erscheinen des „Französischen Kurses‟, in: BGA
1962, Nr. 8; Blume, H.: Zum Erscheinen der „Aufsätze über die Dreigliederung ...‟,
in: BGA 1965, Nr. 13; Wiesberger, H.: Das Jahr 1917, in: BGA 1966, Nr. 15; GA
260a, ²1987; Schöffler 1987; Deimann 1987; Lindenberg, Chronik 1988; Diet, I.:
Alice und Jules Sauerwein und der Beginn der anthroposophischen Bewegung
in Frankreich, in: MaD 1994, Nr. 188, 189 und 190; Diet, I.: Alice und Jules
Sauerwein und der Kampf der Anthroposophie in Frankreich, Zeist 1998.
Abkürzungen: siehe hier
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