Gottfried Richter

Richter, Gottfried

Kunsthistoriker, Pfarrer in der Christengemeinschaft.

*20.03.1901, Pilgramsdorf (Schlesien) (damals Deutschland)

✟08.03.1980, Ulm (Deutschland)

„Freund, so du etwas bist, so bleib ja doch nicht stehn: Man muss aus einem Licht fort, in das andere gehn.‟ Dieser Spruch von Angelus Silesius aus dem „Cherubinischen Wandersmann‟ - ein Motto über der Biografie Gottfried Richters. Er gehörte zu den publizistisch und menschlich über seine Kreise als Pfarrer in der Christengemeinschaft hinaus wirkenden Zeitgenossen.

Gottfried Richter wuchs als ältestes von fünf Kindern in einer evangelischen Pfarrersfamilie auf. Das künstlerische Element hatte im Elternhaus nie eine Rolle gespielt: Die Vorfahren mütterlicherseits waren Apotheker und Lehrer, väterlicherseits waren sie Pastoren und Ziegeleibesitzer. In der „Königlichen Waisen- und Schulanstalt zu Bunzlau‟ begegnet er einem nonkonformistischen, von den Ideen der Reformpädagogik durchdrungenen jungen Lehrer, dessen freiheitliche Ideale ihn nachhaltig begeistern. Aus dem Konfirmandenunterricht bei einem alten Superintendenten bleibt ihm nur eine Sache im Gedächtnis, der Vers Goethes: „Doch solang du das nicht hast, dieses Stirb und Werde, bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde.‟ Diese Worte empfindet Richter wie einen „plötzlichen Anruf von weither, unüberhörbar, unvergesslich‟.

In den Jahren 1919-24 studiert Richter in Breslau, Heidelberg und Jena Kunstgeschichte. In Heidelberg findet die erste Begegnung mit der Anthroposophie statt: Hans Erhard Lauer hielt vor dem sozialistischen Studentenbund, in dem Richter aktives Mitglied war, einen Vortrag über die Dreigliederung des sozialen Organismus. „Wie dann unser Vorsitzender den Redner in der anschließenden Diskussion ,fertigmachte’, fühlte ich mich plötzlich auf der anderen Seite.‟ (Autobiogr. Skizze, unveröffentl.)

Diese Begegnung lässt ihn ebenso wenig los wie die Frage, was hinter der Kunst stehe. Welches sind die großen inspirierenden Ideen dahinter - Als er entdeckt, dass ihm dabei die Anthroposophie zu Antworten verhelfen kann, ist die Sache für ihn klar: Mitten im Staatsexamen bricht er sein Studium ab, um mit dem der Anthroposophie beginnen zu können. Dieser Schritt bedeutet für ihn den Ausschluss aus seiner Familie. Als Hauslehrer in Ostpreußen und auf Rügen, wo er seine spätere Frau kennen lernt, verdient er sich etwas Geld für seinen nächsten Lebensabschnitt: Er geht nach Stuttgart an das Priesterseminar der Christengemeinschaft.

Nach seiner Weihe 1927 wird Richter in die Gemeinde nach Breslau entsandt, wo er mit Johannes Perthel und Rudolf Meyer bis zu seiner Einberufung zum Militär 1939 tätig ist. Während Gottfried Richters künstlerische Fähigkeiten als Dichter, Musiker und Regisseur ganz in eine lebendige Gestaltung des Gemeindelebens einfließen, bereitet seine Frau die Gründung der Waldorfschule in Breslau vor. In dieser Zeit schreibt er sein Buch „Ideen zur Kunstgeschichte‟, das kapitelweise auf hektographierten Bögen publiziert wird. Nicht unproblematisch ist eine zweite Veröffentlichung zu dieser Zeit: „Die Germanen als Wegbahner eines kosmischen Christentums‟. Darin bemüht sich Richter zwar der Blut-und-Boden-Gesinnung des Nationalsozialismus entgegenzutreten und in aller Entschiedenheit die Notwendigkeit einer Erneuerung des Christentums aus dem Geist der Anthroposophie darzustellen, doch liest sich manches heute auch wie der Versuch eines möglichen Dialogs mit den damaligen Machthabern. Richter selbst nahm gegenüber dieser Publikation später eine deutlich distanziert-reservierte Haltung ein.

Die Verbots- und Kriegszeit bedeuten für ihn und seine Familie Trennung, Tod und zugleich die Vorbereitung auf Neues: Seine Tochter kann nicht mehr in die Waldorfschule aufgenommen werden, seine Frau kommt in den letzten Kriegstagen ums Leben und er selbst ist im Anschluss an den Polenfeldzug in Frankreich stationiert. Dort wird er von einem kunstbeflissenen Major immer wieder zu Kirchen- und Kathedralenbesichtigungen angefordert.

Nach dem Kriegsende tritt Richter seine neue Pfarrstelle in Ulm an. Hier entfaltet er eine weit gespannte Tätigkeit: Er baut mit E. Klemp die Gemeinde wieder auf, engagiert sich für die Gründung der Waldorfschule, publiziert - wie schon vor dem Krieg - in der Zeitschrift „Die Christengemeinschaft‟ nicht nur über religiöse, sondern vielfältige Themen zur zeitgenössischen Kunst, gründet nochmals eine Familie und beginnt mit den Kathedralenfahrten nach Frankreich, die er dann immer zur Pfingstzeit bis kurz vor seinem Tode durchführt. Seine Vorträge und Bücher zu kunstgeschichtlichen Themen machen ihn weit über einen regional oder weltanschaulich begrenzten Raum hinaus bekannt.

Wesenszüge von Gottfried Richter waren die Treue und die Pflege. Der Gottesdienst bildete stets das Zentrum seines Lebens. Innigkeit und Weite zeichneten ihn aus. Das konnte man zum einen in seiner Liebe zu den Romantikern Eduard Mörike, Novalis, Caspar David Friedrich oder Philipp Otto Runge erleben, zum anderen in seinem großen Interesse für die Moderne. Gegen alles Dogmatische und Enge wehrte er sich - oft mit vehementer Leidenschaftlichkeit.

Zeit seines Lebens blieb Richter ein Forschender, Suchender, Fragender und Lauschender. Ihm sprachen sich die Dinge aus, wenn er sie mit einer geistgemäßen Idee ansah: „Man muss eine Idee haben, wenn man den Gegenstand beschreiben will.‟ (Von Wistinghausen, 1980, S. 168) Dieses Bemühen ist auch zu spüren in seinem Buch über „Faust, ein christliches Mysterium‟ - eine Frucht seiner das ganze Leben andauernden Beschäftigung mit Goethe. „Durch diese Art des Schreibens wie ein ,gesprochenes Wort’ wird eine lebendige Atmosphäre geschaffen. Dabei lässt der Autor den Leser, besser den Hörer, immer frei. Er zwingt ihm nichts auf. Häufig gibt er Gedanken nur im Ansatz, um es der Freiheit des ,lesenden Hörers’ anheim zu stellen, selbst gedanklich weiterzuschreiten, gerne auch über den Autor hinaus oder zu anderen Ergebnissen kommend als er.‟ (Rezension in der „Süddeutschen Presse‟, 19.3.1976)

Richter war aber nicht nur ein Diener des Wortes und schöngeistig-sensibler Meister der Feder, stets war er auch ein Mann der praktischen Tat. Diese Fähigkeiten brauchte es vor allem, als 1965 in Ulm der Kirchenbau für die Christengemeinschaft geplant und durchgeführt wurde. Für ihn bedeutete es einen Höhepunkt seines Schaffens, junge Künstler und Architekten zu finden und anzuregen etwas zu gestalten, „das vielleicht wirklich die rechte Begleitmusik für die Menschenweihehandlung darstellt‟. Mit großem Einsatz bis in die kleinsten Einzelheiten hinein widmete er sich der Aufgabe, die Kunst mit dem Religiösen zu verbinden.

„Für wen baut man eine Kirche? - Für Gott? - Für eine Gemeinde? - Jedenfalls baut man sie nicht für sich. Wohl ist da immer einer, der Bauherr ,spielen’ muss. Einer muss die Rolle übernehmen. Aber wiewohl er alle seine Kräfte einsetzen muss, als ob dies sein eigenes Haus wäre - der eigentliche Bauherr ist ein Unsichtbarer. Eine Kirche bauen ist eine Schicksalsangelegenheit.‟ (Richter in: CH 1969, Nr. 7)

Gottfried Richter, der Schlesier - wie Angelus Silesius - hatte zuerst die Verbindung mit seinem Elternhaus verloren, dann auf tragische Weise seine Frau und war nach dem Krieg zum Flüchtling geworden. Heimat hieß für ihn seitdem Verantwortung für die Welt und er wollte einem Höheren in der Welt Heimat schaffen.

„Schlesisch sein, das heißt wohl: soviel im Grenzenlosen ebenso daheim sein wie im irdischen Tun.‟(F. Bischof)

Tobias Richter

Quellen Erwähnungen

N 1967 S. 67
CH 1961 Nr. 3, S. 98 Zum 60. Geburtstag
CH 1971 Nr. 3 S. 86 Zum 70. Geburtstag
Wistinghausen, D. von. Typoskript

Info

War Pfarrer der Christengemeinschaft in Breslau, Ulm usw. Autor,
Tochter: Beate Schwarz, geb 1929, Aarau. Söhne: Tobias, geb 1948, Hamburg
und Sebastian, geb 1950, Basel
Werke: Die Germanen als Wegbahner eines kosmischen Christentums, Breslau
1935, ²1936; Ideen zur Kunstgeschichte, Stuttgart 1937, 8 1995; Caspar
David Friedrich, Stuttgart 1953; Chartres, Stuttgart 1955, 5 1982;
Romantisches Burgund, Stuttgart 1962, ³1979; Apokalyptische Weihnacht, in:
Nordmeyer, B. (Zusst.): Licht im Aufgang, Stuttgart 1964, ²1985; Kultbauten
in alter und neuer Zeit, o. A.; Faust, ein christliches Mysterium, Stuttgart
1973; Der Isenheimer Altar, Stuttgart 1979, 4 2001; Beiträge in
Sammelwerken; Übersetzung ins Englische erschienen; zahlreiche Beiträge in
CH, weitere in DD, Tch.
Literatur: Hagemann, E.: Bibliographie der Arbeiten der Schüler Dr. Steiners,
o. O. 1970; Wistinghausen, K. v.: Gottfried Richter, in: CH 1980, Nr. 5;
Nordmeyer, B.: Gottfried Richter, in: MaD 1980, Nr. 133.
Abkürzungen: siehe hier
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