Martin Beheim-Schwarzbach

Beheim-Schwarzbach, Martin

Erzähler und Essayist.

*27.04.1900, London (England)

✟07.05.1985, Hamburg (Deutschland)

Martin Beheim-Schwarzbach wurde als Sohn deutscher, aber britisch naturalisierter Eltern - der aus Würzburg stammende Vater Bruno war ein weltreisender Augenarzt - auf einem Schiff im Londoner Hafen geboren. Nach der Scheidung 1904 siedelte die Mutter Carola (geb. Stockmar) nach Hamburg über und heiratete dort den verwitweten hanseatischen Großkaufmann Eduard Hernsheim. Nach dem Tod seiner geliebten Mutter 1907 heiratete der Stiefvater die Tante, sodass insgesamt vier Kinder von drei verschiedenen Müttern und Vätern in einer Familie zusammen aufwuchsen. Der Stiefvater starb 1916. Martins um zehn Jahre älterer Bruder Maximilian (der sich später Hans Stockmar nannte) war beim Vater geblieben bzw. besuchte ein Internat; die beiden Brüder lernten sich erst später richtig kennen.

Das Realgymnasium schloss Martin 1918 mit dem Notabitur ab, weil er trotz britischer Nationalität noch bis Kriegsende zum Militärdienst eingezogen wurde. Da Mittel zum Studium fehlten, machte er eine kaufmännische Lehre in einer Hamburger Holzhandlung und schlug sich als kaufmännischer Angestellter, Imker, Reisevertreter für Rechenmaschinen und schließlich als Redakteur durch. 1924 heiratete er Hedwig Regling, die Schwester seiner Schwägerin.

Bereits mit Anfang 20 begann sich Martin Beheim- Schwarzbach („MBS‟, wie er sich selbst nannte) schriftstellerisch zu betätigen; ab 1934 lebte er mehr schlecht als recht davon. 1924 erschienen ein erster Gedichtband sowie die Erzählung „Kreuzigung‟. Es folgten Novellen und Erzählungen, Romane (u.a. Die Michaelskinder), Gedichte, Nacherzählungen, Lebensbilder (Novalis, Paulus, Knut Hamsun, Christian Morgenstern) und Essays. Daneben war er auch als Übersetzer aus dem Englischen tätig (u.a. Vom Winde verweht von Margaret Mitchell, Hamburg 1937). Aus seiner Leidenschaft für das Schachspiel ging u.a. „Knaurs Schachbuch‟ hervor, sein wohl bekanntestes Buch.

Mitte 1939 ging MBS als Emigrant nach London, in seine Geburtsstadt. Dort arbeitete er anfangs in der Rüstungsindustrie und zuletzt beim Rundfunk für die britische Verteidigungspropaganda. 1946 kehrte er als Offizier der britischen Control Commission nach Deutschland zurück und schrieb als solcher ab 1948 im Feuilleton der Hamburger Zeitung „Die Welt‟. Ab 1950 lebte MBS in Hamburg als freier Schriftsteller, vor allen Dingen von Aufträgen für Rundfunk und Presse und von Übersetzungen.

MBS gehörte zu den 16 Autoren, die sich am 4. Dezember 1951 in Darmstadt zur Gründung des Deutschen PEN-Zentrums (Bundesrepublik) trafen, er war Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt und der Freien Akademie der Künste in Hamburg (1964 Vorsitzender der Literaturklasse) und erhielt 1964 als erster Preisträger den Alexander-Zinn-Literaturpreis vom Hamburger Senat. Er pflegte Kontakte zu verschiedenen Schriftstellern, u.a. zu Hermann Hesse, Thomas Mann, Joachim Maass, Richard Friedenthal und Siegfried Lenz.

Die Anthroposophie lernte MBS Anfang der 20er-Jahre vermutlich durch seinen Bruder Hans Stockmar kennen. 1926 wurde er Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft, später auch der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. In den Jahren 1928 bis 1943 veröffentlichte er verschiedentlich in anthroposophischen Zeitschriften, insbesondere in „Anthroposophie‟ und „Das Goetheanum‟. In Letzterem erschienen auch wieder zwischen 1968 und 1976 kleinere Arbeiten und Gedichte von ihm. Durch Otto Fränkl-Lundborg wurden hier während 44 Jahren die meisten seiner Werke sehr eingehend gewürdigt.

MBS’ ganze Liebe galt - neben der zur Sprache - dem Erzählen, „und zwar einem Fabulieren und zweckfreien Erzählen ohne ,Engagement’‟ (Schatzinseln - Zauberberge). „Ich wollte eine seelische Welt hinstellen, die einfühlbar und betretbar und bewohnbar ist‟, in der weder Abstraktionen noch Schlussfolgerungen „als Wegweiser und Warnungstafeln im Raum stehen und die Landschaft stören.‟ (Über die Michaelskinder) In der epischen Dichtkunst sah er einen „gewaltigen Mittler zwischen Geist und Leben‟ (Die Dreieinigkeit der Kunst), Esoterik und Sachlichkeit. Er blieb - auch sich selbst gegenüber - stets unmittelbar, z.T. naiv, gelegentlich ironisch brechend, immer allgemein menschlich. Manches erscheint fantastisch oder skurril; oftmals waltet ein melancholisch-abgründiges Element in seinen Erzählungen. Zum 60. Geburtstag von MBS schrieb sein Schriftstellerkollege und Freund Joachim Maass: „Und ist nicht sein visionäres Gottsuchertum (…) eine Art nicht etwa historisierender, sondern eingeborener Mittelalterlichkeit? Dabei ist so gar nichts Rückwärtsgewandtes in diesem Menschen (…), mit allen ursprünglichen Schauern und Erschütterungen übersinnlichen Erlebens tritt in diesem Mann und seinem Werk etwas Seelisch-Geistiges vor uns hin, wonach in unserer Gottverlassenheit ein heimlicher Durst uns quält.‟ (in der „Zeit‟, April 1960)

Mit solcher Erzählkunst wollte er auch seiner „Lieblingsaufgabe‟ nachkommen: „am Bau der Brücken zwischen hüben und drüben, zwischen Anthroposophie und der großen hafenlosen Geistigkeit mitzuhelfen, denn es mangelt an solchen‟. (Über die Michaelskinder) Diese Mithilfe war für MBS mit Leiderfahrungen verbunden. Bereits in einem im Sommer 1930 in „Anthroposophie‟ erschienen Essay forderte er dazu auf, „der Gefahr der seelischen Abschnürung vom großen Außerhalb zu begegnen‟. Es ist von Mitgliedern der Anthroposophische Gesellschaft die Rede, „die das Verständnis für alles, was außerhalb von ihr vorgeht, immer mehr verlieren, ja die häufig überhaupt nicht mehr die Fähigkeit besitzen, mit Menschen umzugehen, die keine Gesinnungsgenossen sind‟. Die „intime, verstehende, durchschauende Verbindung mit dem großen Reservoir der nicht anthroposophischen Menschheit‟ war für MBS ein „seelisches Postulat‟, dessen „Vernachlässigung sich bitter rächt (…)‟. - Sicherlich waren es auch entsprechende Erlebnisse, die MBS nach dem Zweiten Weltkrieg stärkere Distanz halten ließen. An der anthroposophischen Arbeit nahm er kaum noch teil, pflegte aber noch Kontakte zu einigen führenden anthroposophischen Persönlichkeiten, so zu Hermann Poppelbaum, Friedrich Hiebel oder Johannes Hemleben. Mit Rudolf Steiner beschäftigte er sich wohl auch weiterhin immer wieder. Doch bereitete ihm dessen Sprache zunehmende Schwierigkeiten.

Auch die unkonkrete, sich in Chiffren auflösende Sprache neuerer Dichtungen lehnte er ab. „Die Verdammung und Verwerfung jeglicher Formen, welche bisher, wenn auch unter wechselnden Gesetzen, den Begriff Kunst unlösbar begleiteten, war nur ein harmloser Anfang. Heute ist die Formlosigkeit Vorschrift (...)‟ (Die Gegensätze berühren sich, 1969). Und immer wieder wehrt er sich dagegen, dass der Dichtung oder der Kunst überhaupt „Aufgaben‟ zugewiesen werden, dass sie „Engagement‟ zeigen müsse für oder gegen etwas (z.B. gegen den Vietnam-Krieg).

Doch auch seine eigene Sprache veränderte sich. Während die frühen Erzählungen oft epische Länge besitzen und eine Vielfalt von Motiven lebendig und fantasievoll miteinander verbinden, werden sie nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich knapper und konzentrierter. Die Sprache ist nun nüchtern und distanziert, häufiger ironisch gebrochen und die Bilder bekommen gelegentlich symbolischen Charakter. Die Texte erscheinen so einerseits gereifter, andererseits aber auch in sich abgeschlossener; der Leser wird nicht mehr so unmittelbar in sie hineingezogen. Es überwiegt der sachlich-kühle und letztlich pessimistische Blick.

MBS war ein echtes Kind des 20. Jahrhunderts, mit dem er, im Jahre 1900 geboren, buchstäblich groß geworden ist. Aus einer kindlichen Hinwendung an die Nachtseite des Lebens, aus dem frühen Blick „in die Abgründe der Welt‟, aus dem fantasievollen Umgang mit innerer Einsamkeit und Furcht, dem „zweiten Gesicht des Kindes‟, schöpfte er Mut, Glaube und Zuversicht. Das Weltgeschehen in den 30er- und 40er-Jahren hinterließ seine Spuren. Das im guten Sinne Alte, das bis dahin noch mehr oder weniger trug, war zerstört. Die in seinem Rahmen errungenen Aufbruchkräfte hatten noch keine ausreichende Kraft gewonnen, dem furchtbaren Geschehen etwas entgegenzusetzen. MBS war genügend Realist, dies wahrzunehmen und wich diesem neuen Lebensgefühl, das nun auch seine eigene Kunst prägte, nicht aus. Es bot nicht mehr unmittelbar eine „humane Heimat‟ für die Seele; der Zusammenhalt zwischen sinnlicher, seelischer und geistiger Existenz trug nicht mehr. Doch konnte er die bewährten Formen, in die sich ursprünglich sein neues Streben noch ergossen hatte, nicht verlassen, wollte das Zerbrechen dieser Formen nicht mit vollziehen. Was ihn in dieser Resignation bis zum Schluss trug, war sein Humor, der ihn nie verließ.

Stephan Stockmar

Quellen Erwähnungen

N 1933 S. 36
N 1935 S. 84, 94
N 1939 S. 164
N 1965 S. 74
N 1969 S. 112
G 1968 Nr. 3 Nach langer Pause
G 1969 Nr. 27 Dichterlesung am Goetheanum
G 1969 Nr. 36 Rezension der Basler Nachr.
Wistinghause, D. von: Typoskript
Wilpert, G.von (Hrsg.): Lexikon der Weltliteratur
Stuttgart: Kröner bzw. München:dtv 1997

Info

Jugend in Hamburg. 1918 Soldat, dann Kaufmann, Filmjournalist, Schriftsteller,
Dichter in Hamburg, 1939-46 Fabrikarbeit u. Rundfunktätigkeit in London, nachher
Journalist und Redakteur in Hamburg.
Werke: Gedichte, Romane, Erzählungen, Nacherzählungen:
Die Runen Gottes (E), Leipzig 1927; Die Michaelskinder (R), Leipzig 1930,
Hamburg ³1952; Die Herren der Erde (R), Leipzig 1931; Der Gläubiger (R),
Leipzig 1934; Die Krypta (L), Hamburg 1935, 1973 (4. Aufl.); Die
Todestrommel (E), Leipzig 1935, Frankfurt/M. ²1967; Die Verstoßene (R),
Hamburg 1938, ²1947; Der magische Kreis (E), Stockholm 1940; Ich und das
Jahrhundert, Hamburg 1947; Die diebischen Freuden des Herrn von
Bißwange-Haschezeck. Ein Schelmenroman (1. Aufl.: Der Unheilige),
Hamburg 1948, Sigmaringen 1985 (4. Aufl.); Die Geschichten der Bibel,
Hamburg 1952; Die Insel Matupi. Geschichte einer Kindheit, München 1955,
Sigmaringen ²1985; Die Sagen der Griechen. Nacherzählungen, Hamburg
1957; Das kleine Fabulatorium. 50 Geschichten, Hamburg 1959; Schirasades
Nächte, München 1960, ²1966; Der Mitwisser. Chronik eines Spitzels (R),
Hamburg 1961, gleichzeitig auch Abdruck im „Vorwärts‟, Sigmaringen ²1985,
Übersetzungen ins Französische, Tschechische und Niederländische; Der
Stern von Burgund. Roman der Nibelungen, Hamburg 1961, Sigmaringen
²1985; Schatzinseln - Zauberberge. Geschichten vom Dichten (E), Stuttgart
1970; Die Fußspur, Stuttgart 1971; Der Liebestrank (L), Hamburg 1975; Das
Mirakel (E), Hamburg 1980; Die Goldmacher. Phantastische Erzählungen,
Frankfurt/M. 1990; Der Paradiesvogel. Märchen, Legenden und Phantastische
Geschichten, Sigmaringen 1991.
Aufsätze in CH
Lebensbilder: Novalis, Stuttgart 1939, ³1948; Paulus. Der Weg des Apostels, Berlin 1940, Dornach 2000 (4. Aufl.); Knut Hamsun, Hamburg 1958 und Reinbek weitere Auflagen; Christian Morgenstern, Reinbek 1964 und weitere Auflagen.
Sachbücher: Das Buch vom Schach. Eine Darstellung und Anweisung für die Freunde des Spiels, Leipzig 1934, Hamburg 1949; 39/45. Eine Chronik, Stuttgart 1948; Knaurs Schachbuch. Ein Jahrhundert Schach in Meisterpartien, München 1953 und weitere Auflagen (Übersetzungen ins Englische und Holländische); Bergedorfer Offensive, Hamburg 1966.
Essays und Betrachtungen (Auswahl): mit Joachim Maass: Wesen und Aufgabe der Dichtung, Hamburg 1934; Vom leibhaftigen Schmerz, Hamburg 1946, Gütersloh 1953; Über die Michaelskinder, in: A 1930, Nr. 39; Die Dreieinigkeit der Kunst, in: A 1931, Nr. 17; Vom Fürchten und Zaubern, in: G 1934, Nr. 4; Ansprache eines älteren Herrn bei Entgegennahme einer Ehrung im Rathaus. Vortrag anlässlich der Entgegennahme des Alexander Zinn-Literaturpreises im Hamburger Rathaus am 24.8.1964 und Schatzinsel oder Zauberberg, in: Freie Akademie der Künste in Hamburg [Hrg.]: Hamburger Bibliographien, Bd. 2: Martin BeheimSchwarzbach, Hamburg 1969; Zur Situation der Lyrik, in: G 1969, Nr. 10; Die Gegensätze berühren sich, in: G 1969, Nr. 19.
Literatur: Maass, J.: … voll Milde und Schroffheiten. Martin BeheimSchwarzbach zum 60. Geburtstag, in: Die Zeit 1960, April, Wiederabdruck in Hamburger Bibliographie, Bd. 2, a.a.O., darin auch eine Bibliographie bis 1968; Götte, F.: „Die‟ Anthroposophen, in: DD 1965, Nr. 1; Munzinger-Archiv: Martin Beheim-Schwarzbach. Deutscher Schriftsteller 1982; Steppuhn, G. W.: Martin Beheim-Schwarzbach, in: CH 1985, Nr. 11; Brockhaus Enzyklopädie, Bd. III, Mannheim 1987 (19. Aufl.); Michels, V.: Metaphysik der Entzauberung. Die phantastische Fabulierkunst des Martin Beheim-Schwarzbach, mit Zeittafel, in: Die Goldmacher, Frankfurt 199; Stockmar, S: Martin Beheim-Schwarzbach. Ein Porträt, in: DD 2003, Nr. 12.
Abkürzungen: siehe hier
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