Hermann Beckh

Prof. Dr. jur. et Dr. phil. Beckh, Hermann

Orientalist, Hochschullehrer, Mitbegründer der Christengemeinschaft.

*04.05.1875, Nürnberg (Deutschland)

✟01.03.1937, Stuttgart (Deutschland)

Hermann Beckh gehört als Kulturwissenschaftler, Publizist und Vortragsredner zu den herausragenden Gestalten der anthroposophischen Bewegung vor dem Zweiten Weltkrieg.

Er wurde als Sohn des Eugen Beckh, Mitinhaber einer Fabrik für Metallfädenwaren, und seiner Frau Marie, geb. Seiler, geboren und hatte eine zwölf Jahre jüngere Schwester, mit der er eng verbunden war - sie starb bereits 1929. Beckh wuchs in wohlhabenden und behüteten Verhältnissen auf. Er war ein hoch begabtes, aber sensibles Kind, das für Farben, Töne und Naturstimmungen ein feines Unterscheidungsvermögen besaß. Mit fünf Jahren machte er im Hochgebirge, dem zeitlebens seine große Liebe gehörte, die Erfahrung eines leibfreien Zustandes, die ihm die Gewissheit gab, dass der Mensch ein vorgeburtliches Dasein in der übersinnlichen Welt durchläuft.

In der Schule zeigte sich, dass er über ein außergewöhnliches Gedächtnis verfügte. Aber der Unterricht verleidete ihm fast alle Fächer, sodass er sich nicht entschließen konnte, eines davon zu seinem Beruf zu machen. Trotzdem verschaffte ihm ein glänzendes Abitur einen Freiplatz im Münchner Maximilianeum, wo vor allem die künftigen Staatsbeamten studierten. Ursprünglich hatte er die Absicht, Nationalökonomie zu studieren, weil er hoffte, auf diesem Gebiet für den sozialen Fortschritt der Menschheit wirken zu können. Durch die Mitstudenten wurde er jedoch immer mehr zum Jurastudium angeregt - er wurde „Zufalls-Jurist‟, der ohne einen echten Willensentschluss in diese Fachrichtung hineingekommen war, wie er selbst zum Ausdruck brachte. Er schloss das Studium zwar mit einer preisgekrönten Schrift über „Die Beweislast nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch‟ ab, sah aber in der richterlichen Praxis bald, dass es ihm unmöglich sein würde, ein Leben lang zu verurteilen, wo eigentlich Hilfe Not täte. So brach er seine Berufslaufbahn in dem Augenblick ab, als er unmittelbar vor der Anstellung im Staatsdienst stand, und fing noch einmal ganz von vorne an. Er begann indische und tibetische Philologie zu studieren, promovierte 1907 in Berlin mit einer Arbeit über Kalidasas „Meghaduta‟(Der Wolkenbote), habilitierte sich im folgenden Jahr mit einer weiteren Arbeit über diese Schrift und hatte sich damit zu einem der wenigen Kenner der tibetischen Sprache gemacht, der an der Berliner Universität als Privatdozent lehrte und die tibetischen Handschriften in der Königlichen Bibliothek bearbeitete.

Am 14. Dezember 1911 hörte Beckh erstmals einen öffentlichen Vortrag Rudolf Steiners (über den Propheten Elias). Von da an beschäftigte er sich intensiv mit Rudolf Steiners Grundschriften und nach einem persönlichen Gespräch mit ihm wurde er zu Weihnachten 1912 Mitglied in der Anthroposophischen Gesellschaft. Wenige Wochen danach nahm Rudolf Steiner ihn in die Esoterische Schule auf. Im Laufe des Jahres 1913 konnte er entscheidende Höhepunkte in Rudolf Steiners Wirken miterleben: im Februar die erste Generalversammlung der neu gegründeten Anthroposophischen Gesellschaft, im August die Münchner Sommerveranstaltung mit dem dritten und vierten Mysteriendrama Rudolf Steiners, der allerersten Eurythmie-Aufführung und Rudolf Steiners Vorträgen sowie zu Weihnachten den Vortragszyklus in Leipzig über „Christus und die geistige Welt‟ (GA 149), durch den er wichtige Impulse für die Entwicklung einer erneuerten Sternenkunde empfing. Zu Ostern 1915 konnte er trotz des Krieges einige Tage in Dornach sein und dort den werdenden Goetheanum-Bau wahrnehmen.

1916 wurde Beckh zum Kriegsdienst eingezogen. Kurz zuvor waren die beiden Bändchen „Buddha und seine Lehre‟ in der Sammlung Göschen herausgekommen - Höhepunkt und in gewissem Sinn auch Abschluss seiner akademischen Tätigkeit. Zunächst war er auf dem Balkan eingesetzt, danach wurde er an das Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft in Kiel berufen, wo er die Wirtschaftsberichte in den skandinavischen Zeitungen auszuwerten hatte. Dazu musste er die nordischen Sprachen lernen, sodass er nun Englisch, Französisch, Italienisch samt den skandinavischen Sprachen und Griechisch, Lateinisch, Hebräisch, Ägyptisch, Syrisch, Sanskrit, Tibetisch und Altpersisch (Avestisch) beherrschte. Die Dienstverpflichtung - ab August 1918 im Berliner Außenhandelsamt - dauerte bis in die Nachkriegszeit.

Daneben begann er wieder Vorlesungen an der Universität zu halten, aber er sah seine berufliche Zukunft nicht mehr auf diesem Gebiet, sondern suchte nach einer Möglichkeit, für die Zukunft der Menschheitsentwicklung zu wirken. Er lehnte einen Lehrauftrag für Tibetische Philologie ab, ließ sich von der Universität beurlauben. Als eine Verlängerung der Beurlaubung abgelehnt wurde und statt dessen die Ernennung zum außerordentlichen Professor erfolgte, ließ er sich im November 1921 aus dem Verzeichnis der Privatdozenten streichen. Das war das Ende seiner akademischen Laufbahn.

Bereits 1920 hatte Beckh sich als anthroposophischer Vortragsredner zur Verfügung gestellt. Er war mit sprachwissenschaftlichen Vorträgen am anthroposophischen Hochschulkurs in Dornach 1920 (GA 322), am anthroposophischen Kongress in Stuttgart im Sommer 1921 und im März 1922 beim Berliner Hochschulkurs beteiligt, wo er den Tag der Sprachwissenschaft unter dem Thema „Von der toten Sprachwissenschaft zur lebendigen Sprachwissenschaft‟ leitete.

Aber die Frage nach einer befriedigenden Lebensaufgabe blieb noch immer offen. Als Beckh dann von den Vorbereitungen zur Begründung einer Bewegung für religiöse Erneuerung erfuhr, fasste er blitzartig den Entschluss, sich dem Gründerkreis anzuschließen. Hier eröffnete sich ihm die Möglichkeit, durch das Wort und die Sprache eines erneuerten Kultus einen ganz neuen Zugang zum Wort und zu den Lauten zu finden. Und er erkannte, dass sich hier etwas von einem zukünftigen Christentum verwirklichen wollte, wie er es ersehnte und ahnte, seit er als 16-Jähriger in Bayreuth eine Aufführung von Richard Wagners „Parsifal‟ besucht hatte. So war er einer der Ältesten unter den 45 Persönlichkeiten, die im September 1922 mit Rudolf Steiners Hilfe die Christengemeinschaft ins Leben riefen.

Noch im selben Jahr zog Beckh in das neu erbaute Urachhaus nach Stuttgart. Im Kollegenkreis nahm er von Anfang an eine Sonderstellung ein: Er war nicht Gemeindepfarrer wie die anderen, sondern konnte in freier Tätigkeit seine Kraft als Seminarlehrer, als Vortragender, als Forscher und Schriftsteller einsetzen und immer auch an den verschiedenen Orten den Kultus vollziehen. Diese Freizügigkeit erlaubte ihm auch Einladungen zu Vorträgen in der Anthroposophischen Gesellschaft, am Goetheanum in Dornach, in kulturellen Zusammenhängen wie der Schopenhauer-Gesellschaft oder dem Astrologen-Verband zu folgen, denn es war ihm ein Anliegen, die aus der Anthroposophie gewonnenen Anschauungen überall zu vertreten, wo man sie hören wollte.

Die Themen, über die Beckh vortrug, waren weit gespannt. Zunächst waren es - aus seiner wissenschaftlichen Arbeit hervorgehend - Sprachbetrachtungen und Darstellungen der östlichen Weisheitsüberlieferungen. Bald schon begann er sich mit Fragen der Musik, namentlich der Musik Richard Wagners, und mit dem Wesen der Tonarten und ihrem Zusammenhang mit den Sternenkräften zu beschäftigen, bis er diese Sternenkräfte im Sinne einer Erneuerung der altägyptischen Sternenweisheit in Astronomie und Astrologie zu seinem Studiengebiet machte. Er suchte die kosmischen Gesetzmäßigkeiten der Tierkreiskräfte in ihren mannigfaltigen Wirkungen und Widerspiegelungen auf allen Gebieten zu entdecken: in den alten Sprachen und ihren Lauten, in der Musik und dem Farbenkreis der Tonarten, in der Mysterienweisheit früher Menschheitszeiten, in den Evangelien und im menschlichen Schicksal. Und so zeigt sein Lebenswerk in seiner Vielfalt letztlich doch einen einheitlichen Zug.

Beckh war kein Stubengelehrter, sondern ein Mensch mit impulsivem Temperament und begeisterungsfähigem Herzen. Die kleinen Tücken des Alltags bereiteten ihm oft Hindernisse, aber sein Sinn und Streben war immer auf das Höchste gerichtet und sein Anliegen war, auch die Gedanken der Zuhörer und Leser dahin zu lenken. Mit Rudolf Steiner und dem Goetheanum fühlte er sich tief verbunden und das Miterleben der Weihnachtstagung 1923 in Dornach zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und die Anwesenheit bei der letzten Ansprache Rudolf Steiners an die Mitglieder am 28. September 1924 (GA 238) empfand er als Höhepunkte seines Lebens.

Als er am 1. März 1937 nach schwerer Leidenszeit (Nierenkrebs) gestorben war, sagte Friedrich Rittelmeyer von ihm: „Ein einzigartiger Gelehrter, ein seltener Geistesringer, ein begeisterter Geist-Künder hatte sein reiches Leben abgeschlossen und seinen Namen für immer in die bewegte Geschichte unserer Zeit eingeschrieben.‟

Gundhild Kacer-Bock

Quellen Erwähnungen

N 1924 S. 87
N 1926 S. 90, 122, 166
N 1927 S. 128
N 1928 S. 32, 44, 56, 108, 119, 176
N 1929 S. 80, 123, 156, 168
N 1930 S. 99
N 1931 S. 167f
N 1933 S. 24, 28
N 1934 S. 103
N 1948 S. 22
N 1955 S. 114
N 1959 S. 101
MaD 1950 Nr. 13 Beilage, S. 5
CH 1957 Nr. 3 Bock, E.: zu seinem 20. Todestage
CH 1967 Nr. 2 Meyer, R.:Zur 30. Wiederkehr seines Todestages
CH 1967 Nr. 5 Kacer, G: Erinnerungen
Werke: Buddhismus, Bd. I/II, Berlin 1916, später Buddha und seine Lehre, 6 1998; „Es werde Licht‟, Stuttgart 1921; Etymologie und Lautbedeutung im Lichte der Geisteswissenschaft, Stuttgart 1921, ²1922; Der physische und der geistige Ursprung der Sprache, Stuttgart 1921; Anthroposophie und Universitätswissenschaft, Breslau 1922; Das geistige Wesen der Tonarten, Breslau 1923, ³1932; als Übersetzer: Der Hingang des Vollendeten, Stuttgart 1925, ³1968; Aus der Welt der Mysterien, Basel 1927; Zarathustra, Stuttgart 1927; Der kosmische Rhythmus im Markus-Evangelium, Basel 1928, Stuttgart ³1997; Das Christus-Erlebnis im Dramatisch-Musikalischen von Richard Wagners „Parsifal‟, Stuttgart 1930; Der kosmische Rhythmus, das Sternengeheimnis und Erdengeheimnis im Johannes-Evangelium, Basel 1930; Vom Geheimnis der Stoffeswelt (Alchymie), Basel 1931, Dornach 4 1987; als Übersetzer: Der Hymnus an die Erde, Stuttgart 1934, ²1960; Die Sprache der Tonart in der Musik von Bach bis Bruckner, Stuttgart 1937, 5 1999; Indische Weisheit und Christentum, Stuttgart 1938; Beiträge in Sammelwerken; zahlreiche in CH, weitere in AT, DD, G, N, OeB, Tch.
Literatur: Rittelmeyer, F.: Von Hermann Beckhs Lebensgang, u. a. in: CH 1937/38, Nr. 1; Pauli, A.: Dem Andenken an Hermann Beckh, in: CH 1938/39, Nr. 12; Borchart, M., Zaiser, G.: Professor Dr. Hermann Beckh, in: MaD 1955, Nr. 32; Lauenstein, D.: Der Orientalist und Sprachforscher Hermann Beckh, in: DD 1955, Nr. 4; Bock, E.: Zeitgenossen, Weggenossen, Wegbereiter, Stuttgart 1959; Hagemann, E.: Bibliographie der Arbeiten der Schüler Dr. Steiners, o. O. 1970; Wistinghausen, K. v.: Hermann Beckh, in: MaD 1975, Nr. 112; Meyer, R.: Professor Hermann Beckh, in: CH 1975, Nr. 5; Hoerner, W.: Entscheidende Erlebnisse durch Hermann Beckh, in: CH 1987, Nr. 3; Schöffler 1987; Lindenberg, Chronik 1988; Gädeke, R. F.: Die Gründer der Christengemeinschaft, Dornach 1992; Ka e er-Bock, G.: Hermann Beckh - Leben und Werk, Stuttgart 1997; Kacer-Bock, G.: Hermann Beckh, in: DD 2002, Nr. 3.
Abkürzungen: siehe hier
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