Prof. Dr. phil. Locher-Ernst, Louis
Mathematiker, Vorstandsmitglied der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, Leiter der Mathematisch-Astronomischen Sektion am Goetheanum.
*07.05.1906, Bern (Schweiz)
✟15.08.1962, Silenen/Uri (Schweiz)
Louis Locher stellte einen großen Teil seiner mathematischen Originalität in den Dienst der Anregungen Rudolf Steiners, die projektive Geometrie als Instrument einer ins Geistige erweiterten Naturauffassung weiterzuentwickeln. Seine mathematischen Forschungsergebnisse sowie seine Lehrbücher zur projektiven Geometrie sind bis heute maßgebend für Forschung und Lehre im Bereich anthroposophisch erweiterter Naturlehre.
Locher wurde in Bern geboren, 1916 zog seine Familie nach Zürich, dort besuchte er die Volksschule und das Gymnasium. Während einer Unterbrechung seiner Schulzeit entschloss er sich zum Musikstudium (Klavier) und begann ein Selbststudium der Philosophie und Erkenntnistheorie. Am 10. April 1923 hörte Locher zum ersten Mal Rudolf Steiner in einem Vortrag in Zürich und wurde ihm anschließend vorgestellt. Ende 1923 nahm er - 18-jährig - an der Weihnachtstagung zur Neubegründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft teil.
1924 kehrte er in die Schule zurück, begann 1926 zielstrebig ein Mathematik- und Astronomiestudium und übernahm im gleichen Jahr die Leitung des Pestalozzi-Zweiges in Zürich.
Seine akademischen Lehrer waren u.a. Karl Rudolf Fueter, Andreas Speiser, Paul Finsler, Ernst Schrödinger, Gregor Wentzel. Neben dem Studium beschäftigte sich Locher weiterhin intensiv mit Erkenntnistheorie und Musik. 1930 schloss er das Studium mit einer Dissertation „Über Gruppen konformer Abbildungen und Modulfunktionen des Raumes‟ und einer Promotion mit Auszeichnung ab. Seine Heirat mit der Altistin Anna Katherina Ernst fällt in dasselbe Jahr; zwei Töchter wurden 1932 und 1940 geboren.
Im April 1932 wurde Locher als Professor an das Technikum in Winterthur berufen und wurde im Oktober 1937 zum Vizedirektor ernannt. Ab 1946 hatte er einen Lehrauftrag an der Universität und ETH für Elementarmathematik „vom höheren Standpunkte aus‟. Während 32 Semestern las er über verschiedenste Themen, ohne sich je zu wiederholen. Seine ausgefeilte und anspruchsvolle Lehrweise wurde von allen Studenten außerordentlich geschätzt.
Ende 1937 übernahm Locher im Einverständnis mit dem in die USA emigrierten Leiter der Mathematisch-Astronomischen Sektion am Goetheanum, Hermann von Baravalle, dessen Stellvertretung in freier Mitarbeit, die er 1953-62 als Leiter der Sektion fortgesetzt hat. Als Sekretär der Sektion amtierte zunächst Joachim Schultz und nach dessen Tod 1953 Suso Vetter unter Mithilfe von Mario Howald. Berichte über Lochers vielfältige Aktivitäten erschienen im „Nachrichtenblatt‟ und in den von ihm herausgegebenen „Mathematisch-Astronomischen Blättern‟.
Es ist vor allem dem intensiven Einsatz sowohl von Locher wie von Schultz zu verdanken, dass der Sternkalender der Mathematisch-Astronomischen Sektion ohne Lücken während des Krieges und der schwierigen Nachkriegsjahre weitergeführt werden konnte.
1946 gründete Locher die heute noch erscheinende Zeitschrift „Elemente der Mathematik‟, die er bis zu seinem Tode herausgab und redigierte. Sie sollte der Pflege der Mathematik und ihrer Verbindung mit dem allgemeinen Kulturleben sowie dem Unterricht dienen. Trotz des Erscheinens seines dezidiert anthroposophisch orientierten Buches „Mathematik als Vorschule der Geisterkenntnis‟ gewann er ohne Probleme einen regelmäßigen Mitarbeiterstab von prominenten Mathematikern aus dem In- und Ausland.
Im Oktober 1951 wurde Locher als Nachfolger von Max Landolt zum Direktor des Technikums Winterthur ernannt. Er führte diese Institution mit strenger und energischer Hand, ohne viel zu delegieren; er wusste sich durchzusetzen. Durch seine schnelle Auffassungsgabe, seine scharfe und rasch reagierende Intelligenz und sein diplomatisches Geschick hatte Locher die besten Voraussetzungen für dieses schwierige Amt. Er verstand es, sowohl die Interessen der Schule als auch die seiner Kollegen und insbesondere der stark anwachsenden Zahl der Studierenden wahrzunehmen. Er erwarb sich große Verdienste beim Ausbau des Technikums zu einer international anerkannten Institution.
Eine besondere Hochachtung hatte Locher für seinen „väterlichen Freund‟ Albert Steffen. Er stand ihm während vieler Anfechtungen und Schwierigkeiten, die er als Vorsitzender der Anthroposophischen Gesellschaft zu erfahren hatte, loyal und engagiert zur Seite.
Im März 1962 gab Locher seine Zusage, ab Herbst in den Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft einzutreten. Zu Ostern von der Generalversammlung bestätigt, doch noch vor Antritt seiner neuen Tätigkeit als Vorstandsmitglied am Goetheanum, stürzte er beim Abstieg vom Düssistock im Maderanertal (Kanton Uri) bei sich verschlechternder Witterung am 15. August 1962 zu Tode.
Locher griff mit aller Intensität und seiner großen mathematischen Begabung die Hinweise Steiners zur Bedeutung der projektiven Geometrie auf. Er schuf bis heute maßgebliche Lehrbücher der synthetischen projektiven Geometrie, „Urphänomene der Geometrie‟, „Projektive Geometrie‟ und „Raum und Gegenraum‟. Etwas später, aber unabhängig von George Adams, entdeckte er eine mathematische Deutung der Idee des „Gegenraumes‟, wie sie Steiner u. a. in seinen Ausführungen über „Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie‟ (GA 323) für ein Verständnis des Kosmos auf geistiger Grundlage entfaltete. In seinen lehrbuchmäßigen Darstellungen entwickelt er die mathematische Seite in der Form der polareuklidischen Geometrie und überlässt es anderen Forschern, den genauen Zusammenhang mit naturwissenschaftlichen Tatsachen herzustellen.
Bahnbrechend sind seine Untersuchungen zur stetigen Vermittlung von projektiven Korrelationen, insbesondere von Polaritäten, sowie zur synthetischen Darstellung der Imaginärtheorie. Sie bilden ein solides mathematisches Fundament für die Prinzipien der Polarität und Metamorphose, welche in der durch Steiner im Anschluss an Goethe anthroposophisch erweiterten Natur- und Menschenkunde eine zentrale Rolle spielen. Diese Aufsätze sind in den „Geometrischen Metamorphosen‟ zusammengefasst erschienen.
Ein weiteres Zeugnis von Lochers mathematischer Originalität ist seine anspruchsvolle axiomatische Neubegründung der Kurvenlehre in der „Einführung in die freie Geometrie ebener Kurven‟. Auch hier spielen Metamorphosen und Polaritäten eine zentrale Rolle. Lochers Hauptleistung bestand hier darin, den Kurvenbegriff weder zu eng noch zu weit zu fassen und somit die Vielfalt möglicher Kurven weder auf das Triviale einzuschränken noch ins Unübersichtliche ausufern zu lassen. Daneben schuf Locher zwei Lehrbücher über „Arithmetik und Algebra‟ und „Differential- und Integralrechnung‟, die ihn als begabten Didaktiker ausweisen.
Innerhalb der anthroposophischen Bewegung wurde Locher insbesondere durch seine in der Zeitschrift „Das Goetheanum‟ erschienenen Aufsätze bekannt, die in dem Buch „Mathematik als Vorschule der Geisterkenntnis‟ zusammengefasst wurden. Hier offenbarte sich seine Fähigkeit, Begeisterung für mathematische Sachverhalte und deren geistige Bedeutung zu erwecken, die schon in seinen vielfachen mündlichen Darstellungen bei Tagungen am Goetheanum für viele zum Erlebnis geworden ist.
01.01.1936 - 31.12.1936: Goethes Verhältnis zur Mathematik
26.07.1936 - 02.08.1936: Öffentliche Tagung
18.05.1937 - 24.05.1937: Tagung für Plastiker und Architekten am Goetheanum
24.12.1937 - 01.01.1938: Öffentliche (!) Weihnachtstagung am Goetheanum
03.01.1938 - 16.01.1938: Öffentliche Architekturstudienwochen am Goetheanum
23.07.1938 - 06.08.1938: Dreisprachige öffentliche Sommertagungen am Goetheanum
01.01.1939 - 31.12.1939: Aktivitätszuwachs an der Mathematisch-astronomischen Sektion
24.09.1939 - 01.10.1939: Michaelitagung am Goetheanum
01.01.1940 - 31.12.1940: Öffentliche Sommertagung am Goetheanum
21.07.1940 - 29.07.1940: Sommertagung am Goetheanum
29.09.1940 - 06.10.1940: Michaelitagung am Goetheanum
24.12.1940 - 01.01.1941: Weihnachtstagung am Goetheanum
07.04.1941 - 14.04.1941: Ostertagung am Goetheanum
26.07.1941 - 03.08.1941: Öffentliche Sommertagung am Goetheanum
06.01.1942 - 14.01.1942: Arbeitswoche der Mathematisch-astronomischen Sektion am Goetheanum
30.03.1942 - 06.04.1942: Ostertagung am Goetheanum
01.01.1943 - 31.12.1943: Organisationsgeschichte des Goetheanum
19.04.1943 - 26.04.1943: Ostertagung am Goetheanum "Welten-Ostern"
26.09.1943 - 03.10.1943: Michaelitagung am Goetheanum "Anthroposophie als Forderung der Zeit"
29.09.1944 - 05.10.1944: Michaelitagung am Goetheanum
03.01.1945 - 07.01.1945: Öffentliche Arbeitswoche der Mathematisch-astronomischen Sektion
25.03.1945 - 02.04.1945: Ostertagung am Goetheanum
28.09.1945 - 07.10.1945: Michaelitagung am Goetheanum
02.01.1946 - 05.01.1946: Veranstaltungen und Vorträge der Mathematisch-astronomischen Sektion
14.04.1946 - 22.04.1946: Ostertagung am Goetheanum
07.04.1947: Generalversammlung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft
29.09.1947 - 05.10.1947: Michaelitagung am Goetheanum
21.03.1948 - 25.03.1948: Delegiertenbesprechungen
01.09.1948: Wintersemester 1948 in Dornach
25.12.1948 - 30.12.1948: Vortragsveranstaltungen zu Weihnachten
03.01.1949 - 05.01.1949: Mathematisch-astronomische Arbeitstage
22.10.1949 - 23.10.1949: Mathematisch-astronomische Arbeitszusammenkunft
02.01.1950 - 06.01.1950: Arbeitswoche der mathematisch-astronomischen Sektion
13.08.1950 - 20.08.1950: Wiederholung der Gesamtaufführung der Mysteriendramen
01.10.1950 - 01.11.1950: 7. anthroposophische Arbeitswoche
02.01.1951 - 06.01.1951: Arbeitswoche der Mathematisch-astonomischen Sektion
18.03.1951 - 26.03.1951: Ostertagung
02.01.1952 - 05.01.1952: Arbeitstage
06.04.1952 - 14.04.1952: Ostertagung
11.10.1952 - 19.10.1952: 11. Öffentliche Anthroposophische Arbeitswoche
24.12.1952 - 01.01.1953: Weihnachtstagung
02.01.1953 - 04.01.1953: Arbeitstage der Mathematisch-Astronomischen Sektion
26.03.1953 - 02.04.1953: Medizinische Arbeitswoche
28.03.1953 - 06.04.1953: Ostertagung
06.04.1953 - 12.04.1953: Mathematisch-Astronomische Hochschulwoche
26.09.1953 - 06.10.1953: Michaelitagung und Hochschulwoche
02.01.1954 - 06.01.1954: Mathematisch-Astronomische Arbeitstage
27.05.1954 - 05.06.1954: Hochschulkurs über geisteswissenschaftliche Tierkunde
05.06.1954 - 07.06.1954: Pfingsttagung am Goetheanum
02.01.1955 - 06.01.1955: Mathematisch-Astronomische Arbeitstage
01.08.1955 - 06.08.1955: Interne Arbeitstagung für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft
24.12.1955 - 01.01.1956: Weihnachtstagung
01.01.1956 - 31.12.1956: Die Frage der Hochschule
02.01.1956 - 05.01.1956: Hochschultage am Goetheanum
31.03.1956 - 02.04.1956: Generalversammlung
01.09.1956 - 01.12.1956: 19. Anthroposophische Arbeitswoche
24.12.1956 - 01.01.1957: Weihnachtstagung
01.01.1957 - 31.12.1957: Bildung des Hochschulkollegiums am Goetheanum
02.01.1957 - 06.01.1957: Arbeitstage der Mathematisch-Astronomischen Sektion
09.06.1957: Bildung des Hochschulkollegiums am Goetheanum
28.07.1957 - 05.08.1957: Sommertagung
23.11.1957 - 01.12.1957: Hochschulwoche
24.12.1957 - 01.01.1958: Weihnachtstagung
01.01.1958 - 31.12.1958: 33. Todestag von Rudolf Steiner
01.01.1958 - 31.12.1958: Einweihung des Johannes-Kepler-Hauses
01.01.1958 - 31.12.1958: Die Arbeit der Mathematisch-Astronomischen Sektion
01.01.1958 - 31.12.1958: Grundlagen und Fortschritte der Physik
24.05.1958 - 30.05.1958: 22.Öffentliche Anthroposophische Arbeitswochen
27.07.1958 - 04.08.1958: Sommertagung 1. Zyklus
29.09.1958 - 05.10.1958: 23.Öffentliche Anthroposophische Arbeitswochen
24.12.1958 - 01.01.1959: Weihnachtstagung
19.10.1959 - 23.10.1959: Spiritualisierung der Begriffe in der Atomtechnik
10.04.1960 - 18.04.1960: Ostertagung :Große Individualitäten der Menschheit
25.09.1960 - 02.10.1960: Michaeli-Tagung : Große Individualitäten der Menschheit
24.12.1960 - 01.01.1961: Weihnachtstagung: Große Individualitäten der Menschheit, das ewige Kind
06.04.1961 - 20.04.1961: Ausstellung und Tagung Rudolf Steiner - Leben und Werk
29.09.1961 - 05.10.1961: Michaeli-Tagung Die Zeitalter des Michael
01.01.1962 - 31.12.1962: Mathematisch-Astronomischen Sektion
21.04.1962: Generalversammlung
23.04.1962 - 29.04.1962: Hochschultage "Atmende Gestaltung in irdischen und kosmischen Räumen"
01.01.1971 - 31.12.1971: Philosophisch-Anthoposophischer Verlag
Forschungsstelle Kulturimpuls Biografien Dokumentation kulturimpuls.org