Rudolf Rudi Lissau

Dr.phil. Lissau, Rudolf Rudi

Lehrer

*26.06.1911, Wien (damals Österreich-Ungarn)

✟30.01.2004, Brookthorpe, Gloucestershire (UK)

(anderer Geburtstag: 25.)

Rudi Lissau ist 1911 in Wien geboren. Seine Eltern waren jüdischer Abstammung. Sie waren Schüler Rudolf Steiners und begründeten, zusammen mit dem Onkel von Rudi Lissau, den Wiener Zweig der Theosophischen Gesellschaft als Forum für Rudolf Steiners Arbeit in Wien. Rudolf Steiner besuchte die Familie gelegentlich, Rudi war von der tiefen Verehrung, die seine Eltern Steiner zollten, stark beeindruckt.

Etwa von seinem 16. Lebensjahr an begann sich Rudi aktiv für Rudolf Steiners Werk zu interessieren. Er studierte während der Schulstunden heimlich dessen Bücher. In seinen Studentenjahren und bis er 1938 Österreich gezwungenermaßen verlassen musste, war er Mitglied der „Wiener Jugendgruppe‟, zusammen mit anderen begabten jungen Schülern Rudolf Steiners, von denen viele Wien ebenfalls verließen, um anthroposophische Initiativen in vielen Teilen der Welt ins Leben zu rufen. Auch Karl König, der Begründer der Camphill-Gemeinschaften, der Rudi Lissau stark beeinflusste und ihm ein wichtiger Freund war, gehörte zu diesen.

Nachdem Rudi Lissau in Wien doktoriert hatte, unterrichtete er blinde Kinder. Er verließ, an dem Tag als die Nationalsozialisten eintrafen, Wien für immer und unterrichtete in London blinde Schüler, bis er als feindlicher Ausländer kurz und denkwürdig auf der Isle of Man interniert wurde. Seine Frau Hedda, auch eine Wienerin, konnte seine Entlassung bewirken, indem sie ihm eine Stelle als Lehrer in der Wynstones School, einer neu errichteten Rudolf Steiner Schule in Gloucestershire, England, sicherte.

Rudi Lissau traf in einer dunklen Winternacht in der Schule ein. Er hatte nie sehende Kinder oder nach der Waldorf-Methode unterrichtet, aber er entschloß sich, die Arbeit erfolgreich durchzuführen. Er blieb fast vierzig Jahre, bis zur Pensionierung an der Schule und unterrichtete Geschichte, Geographie, Latein, Griechisch, Deutsch und Musik in der Oberstufe. Er organisierte viele Wander- und Skilager für seine Schüler und ermunterte sie, sich an der Landschaft zu erfreuen Er war auch ein geübter Klavierspieler.

Rudi Lissau schätzte das Leben in Großbritannien sehr, verlor aber nie seine Liebe und Dankbarkeit für sein Geburtsland Österreich. In Wien hatte er eine ausgezeichnete klassische Ausbildung von großer intellektueller Strenge erhalten, dort traf er auch Viktor Frankl und Ludwig Wittgenstein, die einen tiefen Eindruck auf ihn hinterließen. Dieser Hintergrund und sein starkes Interesse für die Gegenwartsfragen waren die Grundlagen seiner erstaunlichen Kenntnisse und seiner Fähigkeit, ein breites Spektrum von Themen kompetent unterrichten zu können. Österreich gab ihm auch die Freude an der klassischen Musik und die Liebe zu den Bergen und der Landschaft mit, die er mit seinen beiden Töchtern, vier Enkelkindern und vielen seiner Schüler teilen konnte.

Rudi Lissaus frühe Jahre in Wien bildeten auch die Basis für ein lebenslanges Studium und Ausübung der Ideen Rudolf Steiners. Während seines erwachsenen Lebens arbeitete er täglich an der Vertiefung seiner Beziehung zu Rudolf Steiners Werk. Dies führte schließlich zu seiner letzten Beschäftigung als Autor von mehreren Büchern und als Vortragender in Europa, Nordamerika und Neuseeland.

Er schrieb und sprach oft über seine Hoffnungen und Besorgnisse in Bezug auf die Zukunft der Anthroposophie und rief die Anthroposophen (eine Bezeichnung, die er zu vermeiden suchte) auf, glaubwürdig zu sein: eine persönliche Beziehung zum Werk Rudolf Steiners zu entwickeln, aus einem esoterischen Kern heraus zu arbeiten und den Absichten Rudolf Steiners ganz und gar treu zu folgen.

Rudi Lissau erfreute sich im Alter zusammen mit seiner Frau Hedda, die 2002 starb, eines aktiven Lebens. Er folgte ihr Anfang des Jahres 2004. Seine Hingabe an Rudolf Steiner und sein Vertrauen auf die Güte des Lebens strahlten bis zum Schluss aus seinem Wesenskern.

Marjatta van Boeschoten (Übersetzung aus dem Englischen von Jan Pohl)

Quellen Erwähnungen

N 2004 Nr.15-16, S. 7
AM 1954 Nr. 5, S. 7
AM 1966 Nr. 10, Beilage S. 2
ANS 1980 Nr. 1, S. 13
ANS 1994 Nr. 3, S. 8
MaD 1977, Nr. 120, S. 180
MAVN 1996 Nr. 5, S. 77
BA 1981 Nr. 4, S. 13
NAA 1988 Nr.Christmas, S. 15
ANS 1999 Nr. 1, S. 11
ANS 1998 Nr. 4, S. 22

Info

Wuchs auf und studierte in Wien. Unterrichtete 5 Jahre blinde Kinder, dann seit
1940 mehr als 40 Jahre in Wynstones School, war Vorstandsmitglied
der AG in UK, Arbeitsgruppenleiter. Vortragender
Werke: Christian Morgensterns Form und Sprachkunst, Dissertation Wien
1936; "Brief aus England" DD 1958-1963 (28.2:98-100, 1958; "Über
das dortige Erziehungswesen" DD 29.6:323-325, 1959; DD 30.3:150-153,
1960; "Rudolf Steiner in England" DD 31.1:58-63, 1961; "Das Rudolf-Steiner-
Jahr auf der Insel" DD 31.6:382-387, 1961; "die neue Kathedrale in
Coventry" DD 32.5:322-326, 1962; "Grossbritannien und die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft" DD 33.1:66-70, 1963; DDi 33.6.450-453); "The
Anthroposophical Society, an Unfinished Work of Art", AQ, Sommer 1975,
S. 32-40;"Wynstones Conference in London" I3 1-2(1979), S. 2; "The Future
of Anthroposophical Groups" AR 1.1:35-37, 1979; "Rudolf Steiner's Social
Intentions" AR 1.2:29-33, 1979; "The Roots of Threefolding in
Anthroposophy" AR 2.1:23-26, 1980; "Occult Insights into Contemporary
Social Problems" AR 3.1, 1981; "The Religious Dimension of Anthroposophy"
AR 4.1:6-8, 1982; "Für die englische Landesgesellschaft tauchen neue
Organisationsformen auf" N 59.34/35:129-130 vom 22./29. August 1982;
"Gegen Schriftgelehrsamkeit" I3 9(1986), S. 35; Rudolf Steiner: His Life,
Work, Inner Path, and Social Initiatives, Stroud, Glos.: Hawthorn Press 1987;
(2) 2000, (3) 2005, Rudolf Steiner - elämä, sisäinen tie ja sosiaaliset
aloittee, Hämeenlinna 1992 übers. von Arto Koskinen; "Statt Streit über
Verfassungsfragen: Menschlicher Stil" I3 10(1987), S. 29;
"Ins Gespräch kommen: Ein sozialer Schulungsweg" I3-Extra und K,
gemeinsame Sonderausgabe 3(1988) Herbst, S. 9-11, Beilage zu I3
10(1988); Rudolf Steiner - persönlich, unpersönlich: Eine Herausforderung,
Dornach 1991, deutsche Neufassung von "In Search of Rudolf Steiner",
sieben Artikeln in AT 1987, aus dem Deutschen in das Niederländische
übersetzt von Rob Hesper: Op zoek naar Rudolf Steiner, Rotterdam 1995;
Rudi Lissau und Susanne Mainzer: "The Challenge of the Soul - Rudolf
Steiners zweites Mysteriendrama in einer englischen Inszenierung"
G 70.47:451, 1991; "Ein Vorwort zur englischen Ausgabe von 'Das Karma
der Unwahrhaftigkeit'" N 69.11:57-60 vom 15. März 1992 (deutsche Version des Vorworts zur englischen Ausgabe The Karma of Untruthfulness 1992); Sprache, Spracherwerb, Sprachunterricht, Dornach: Verlag am Goetheanum 1993; "Hoffnung auf neue Keime" in: Justus Wittich, Thomas Stöckli (Hg.): Anthroposophische Gesellschaft an der Jahrtausendschwelle, Dornach: Verlag am Goetheanum 1994, S. 163-164;
Leserbrief "Zustimmung" I3 6(1995), S. 40; Leserbrief in MaD Nr. 196,
2(1996), Johanni, S. 198; "Chosen Destiny" GBl Nr. 48, 1996. S. 105-120,
gekürzt veröffentlicht als: "Geboren zwischen Judentum und Anthroposophie:
Gewähltes Schicksal", übers. M. Maier und M. Zoeppritz, I3 6(2000), S. 21-
23, auch in: Fred Paddock und Mado Spiegler (Hg.): Judaism and
Anthroposophy (Interfaces: Anthroposophy and the World 1) Hudson, NY
2003; "Die geistige Situation ist fortgeschritten" G 30:389-390, 1997;
Margaret Meyerkort und Rudi Lissau: The Challenge of the Will: Experiences with Young Children, Fair Oaks, CA: Rudolf Steiner College Press 2000, italienisch: La sfida della volontà - Esperienze con i bambini piccoli, Turin: Aedel edizioni 2003; "'Mental Fight': Ein Portrait des nigerianischen Schriftstellers Ben Okri" Info3 1(2000), S. 42; "Geistige Schau und irdischer Ausdruck" in: Rudolf Steiner: Geistige Schau und irdischer Ausdruck. Zwei Vorträge und ein Aufsatz. Herausgegeben von Jean-Claude Lin. Mit einem Beitrag von Rudi Lissau, Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2001; Rudi Lissau und Bodo von Plato: "Arthur Owen Barfield" die Drei 72.1:57-59, 2002;
Kurzbiografien von Cecil Harwood und, zusammen mit Bodo von Plato,
Owen Barfield und Walter Johannes Stein in Bodo von Plato (Hg.):
Anthroposophie im 20. Jahrhundert: Ein Kulturimpuls in biografischen
Portraits, Dornach 2003; Übersetzung des englischen Vorworts zu Intuitive
Thinking as a Spiritual Path - A Philosophy of Freedom. Hudson, N.Y.
1995 als Michael Lipson: "Intuitives Denken als spiritueller Pfad - Die
Philosophie der Freiheit " G 74.26:308-309, 1995; Herausgeber von: Rudolf
Steiner's Social Intentions, New Economy Publications 1996. Beiträge in ANS
Literatur: Marjatta van Boeschoten und Nicola Vassal-Adams: "Hedda Lissau
26th February 1909 - 31 May 2002. Rudi Lissau 26th June 1911 - 30th
January 2004" NGB 1(2006), S. 18-20; Interview mit Rudi Lissau von
Ramon Brüll: "Die soziale Intention im Leben der Anthroposophischen
Gesellschaft verwirklichen" I3 7-8(1987):13-19; John Burnett: "Rudi Lissau:
Some reminiscences" Steiner Waldorf Education Newsletter, Issue 16,
Autum 2004, www.steinerwaldorf.org.uk/newsletters/autumnnewsletter.pdf
Besprechungen von Rudolf Steiner - persönlich, unpersönlich: Dieter Brüll:
"Eine Herausfoderung" I3 3(1992), S. 25; Christoph Lindenberg:
"Individuelle Annäherung" DD 62.4:326, 1992; Margit Nimmerfall: "Rudolf
Steiner gerecht werden?" MaD Nr. 181 3(1992), S. 246. Besprechungen von
Sprach, Spracherwerb, Sprachunterricht: Almut Bockemühl: "Aus den
Erfahrungen im Sprachunterricht" G 71.25:291, 1994; Magdalena Zoeppritz:
"Bewußte Grammatik" EK 62.11:1292-1294, November 1998.
Bibliographie von Magdalena Zoeppritz; Beiträge in AM und ANS
Abkürzungen: siehe hier
Copyright: Text und Bild sind urheberrechtlich geschützt. Reproduktion in jeglicher Form nur nach schriftlicher Genehmigung der Forschungsstelle Stiftung Kulturimpuls, Heidelberg

Forschungsstelle Kulturimpuls Biografien Dokumentation kulturimpuls.org