Wilhelm zur Linden

Dr. med. zur Linden, Wilhelm

Arzt.

*05.11.1896, Neuwied/Rheinland (Deutschland)

✟05.12.1972, Bad Godesberg (Deutschland)

Er war ein wacher, tatkräftiger Zeitgenosse des 20. Jahrhunderts. Eine weltweite Bekanntschaft und Bedeutung erlangte er als Arzt, Forscher und Anthroposoph.

Die Inhalte der durch Rudolf Steiner gegebenen Anthroposophie in ebendiesem Jahrhundert bedeuteten schon früh für ihn geistige Heimat und bestimmten im Wesentlichen das ärztliche Tun und den Charakter seiner wissenschaftlichen Forschung.

„Wagen wir uns nur einzugestehen, dass wir alle in der Tiefe unseres Wesens Heimweh nach dem Geiste haben.‟ Dieses Hauptmotiv seines Lebens durchzieht und bestimmt den Charakter seines Handelns und prägt die Stimmung der Schriften, Vorträge und Bücher. Es begleitet auch seinen kämpferischen Idealismus und eine Begeisterungsfähigkeit im Vertreten erkannter Pflichten und Aufgaben.

Die Verwandlung dieser Sehnsucht in die Tat bis hin zur Begegnung mit dem Übersinnlichen ist in seinem Lebensbericht „Blick durchs Prisma‟ beschrieben.

In dem Hauptwerk „Geburt und Kindheit‟ legt der Verfasser die Essenz seiner gesamten Lebenserfahrung als Arzt und Kinderarzt offen.

„Dem Kinde schuldet man größte Ehrfurcht‟ und „in den Dienst der geistigen Welt stellen sich die jungen Eltern, die sich ein Kind wünschen, ob sie wissen oder nicht‟ - dies sind Motive des ganz aus der Lebensnähe und Praxis geschriebenen „Leitfaden‟ für Mutter, Vater und Kind.

Die von ihm bearbeitete Gesundheitsfrage und die Erfahrung, insbesondere als Kinderarzt, spiegeln sich in seinen Beiträgen zum Standardwerk von ?Friedrich Husemann, „Das Bild des Menschen, Bd. II‟ (Stuttgart 1956), sowie in vielen Aufsätzen in anthroposophisch-medizinischen Zeitschriften.

Wilhelm zur Linden war ein ernsthaft prüfender Forscher und Einzelgänger: „Die erkannten Widersprüche der orthodoxen Naturwissenschaft mit Verfälschung des wahren Wesens des Menschen erleichterten mir eines Tages das Eindringen in ein voll wirkliches Menschenbild; das von Rudolf Steiner geschaffene Bild des Menschen.‟ (Zur Linden 1991, S. 10)

Er war schon als Student und junger Kinderarzt dem Problem des Impfens, der Behandlung der Infektions- und Kinderkrankheiten und den Zeitkrankheiten wie Kinderlähmung, Rachitis, Leukämie, Krebs etc. kritisch begegnet. Jetzt ermöglichte ihm die junge anthroposophische Medizin eine völlig neue Sicht. Deren Gedankengänge erfasste er als stimmig, sie wurden von ihm aus eigenem Willensimpuls ergriffen.

Für die damals hoch aktuelle Kinderlähmungsepidemie, Rachitis und Leukämie entwickelte und vertiefte er den anthroposophischen Heilansatz zu einer heute anerkannten Methode. Er fand neue Heilmittel für besondere Krankheiten, vor allem Blut- und viele Kinderkrankheiten. Öffentlich setzte er sich für die Lösung von Ernährungsfragen ein, kämpfte für die biologisch-dynamische Landwirtschaft, für die Weleda-Heilmittel und gegen die aufkommenden Umweltprobleme.

Rückblickend auf Wilhelm zur Lindens Lebensgang findet man viele Ereignisse angedeutet, die dann später zu Lebensaufgaben wurden.

Er war das fünfte von sieben Kindern in einer evangelischen Pfarrersfamilie. Noch vor dem vierten Lebensjahr verstarb die geliebte Mutter. Die segnende Hand, über das kindliche Köpfchen streichelnd, ist seine frühste Lebenserinnerung: „Wer aber eine vorzügliche Mutter wenigstens drei Jahre erlebte, der hat doch Lebensentscheidendes erwiesen bekommen, Pflege, Sicherheit, Glück und Muttermilch!‟ (Zur Linden 1991, S. 13) In dieser Stimmung empfing er noch bis ins hohe Alter seine kleinen Patienten.

Während einer normalen Schulzeit lernte er auch Cello spielen und Flöte, was ihn bis in beide Kriege begleitete und im späteren anstrengenden Berufsleben entspannen konnte. Als Artillerieoffizier im Ersten Weltkrieg lernte er seine besonderen Charaktereigenschaften erkennen und entwickeln: Selbstlosigkeit, Stehvermögen, Mut. Er wurde mehrmals verwundet. Nach dem Krieg begann sofort sein Medizinstudium, daneben kämpfte er im studentischen Freikorps gegen die damaligen revolutionären Wirrungen. Mit 28 Jahren begann die ärztliche Tätigkeit als Assistent in der Wuppertaler Kinderklinik. Dort entstand die erwähnte kritische Beurteilung der damaligen Medizin. 1923 heiratet er Anna-Elisabeth Lohmann. Sie bekommen fünf gesunde Kinder. Die erste Schwangerschaft führt fast dramatisch zur Hinwendung an die anthroposophische Heilweise: eine lebensbedrohliche, allergische Erkrankung der Schwangeren wird mit dem anthroposophischen Heilmittel Gencydo fast schlagartig geheilt. Ab jetzt entwickelt er sich Schritt für Schritt zum Experten dieser Heilkunst. Er beginnt in Wuppertal eine Kinderarztpraxis, die bald durch überraschende Heilerfolge großen Zulauf erfährt. Als es durch die Machtergreifung Hitlers 1933 zu Behinderungen und Verboten der gesamten anthroposophischen Arbeit kommt, fühlt er sich herausgefordert und verlegt die Praxis nach Berlin, „um näher am Brennpunkt des Geschehens zu sein‟. Die dortigen beruflichen Erfolge führen ihm auch bald Familien ranghoher Nazis zu. Dadurch erlangt er einen gewissen Schutz und kann gefährdeten anthroposophischen Einrichtungen und Persönlichkeiten Hilfe leisten. So kann er insbesondere als geschätzter Arzt der Familie des später berüchtigten Reichsministers Frank das schon verfügte Verbot der Weleda rückgängig machen. Im Zweiten Weltkrieg wird Wilhelm zur Linden Lazarett- und Standortarzt in Prag und Pardubitz, setzte sich - vor allem gegen Kriegsende - für die Belange der Verwundeten ein und baute viele helfende Beziehungen zur tschechischen Bevölkerung auf.

Dieses und ein zunehmender Widerstand gegen die Unsinnigkeit mancher Befehle, zuletzt die Verweigerung des Hitlergrußes, brachten ihn vor das Kriegsgericht mit Todesurteil durch General Schörner. Durch die chaotischen Verhältnisse des Kriegsendes und des Zusammenbruchs gelingt ihm mithilfe tschechischer Freunde zusammen mit einigen seiner Soldaten die Flucht.

Ein Neuanfang als Arzt wurde in Bad Godesberg möglich, gleichzeitig auch die Zusammenführung der zerstreuten Familie. Hier schöpft Wilhelm zur Linden aus der Fülle seiner Erfahrung und Heilkraft. Das für ihn charakteristische zeitnahe Handeln wurde durch Herzlichkeit und Besonnenheit erweitert.

Als Mentor und Herold der geliebten Aufgabe reiste er durch Europa und bis nach Afrika und fand auch noch Kraft für die geschilderten Veröffentlichungen und Bücher. Er erlitt aus scheinbar voller Kraft am Schreibtisch einen Herzinfarkt und verstarb bei vollem Bewusstsein.

Günther Schönemann

Quellen Erwähnungen

N 1949 S. 107, 123, 144, 152
N 1953 S. 136
N 1954 S. 100
N 1969 S. 131
MaD 1949 Nr. 8, S. 41
MaD 1966 Nr. 78, S. 306 f F.Götte: Zum 70. Geburtstag
G 1973 Nr. 2 Todesanzeige
DD 1965 Nr. 1
DD 1966, Nr. 6
BeH 1966 Nr. 6 Zum 70. Geburtstag
LE 1960 Nr. 2

Info

War Kinderarzt, Buchautor
Werke: Grundsätzlich neue Anschauungen über die Pathogenese der
Poliomyelitis, Stuttgart 1949; Anregungen zu Rachitis-Therapie, o. A.; Vom
Qualitätsstreben des biologisch-dynamischen Landbaues, Stuttgart 1952; Die
Säuglingstherapie und ihre Störungen. Rachitis. Keuchhusten. Maserntherapie.
Scharlachtherapie. Therapie der Diphtherie, Polyomyelitis. Die Viren, in:
Husemann, F. [Hrsg.]: Das Bild des Menschen, Bd. II, Stuttgart 1956; Geburt
und Kindheit, Bd. I/II, Frankfurt/M. 1957, 13. Auflage 1992; Blick durchs
Prisma, Frankfurt/M. 1964, 5. Auflage 1991; Dein Kind. Sein Werden und
Gedeihen, Frankfurt/M. 1975, ³1987; zahlreiche Beiträge in Sammelwerken;
Übersetzungen ins Englische, Französische, Spanische, Portugiesische,
Niederländische, Schwedische und Finnische erschienen; zahlreiche Beiträge in
ÄR, BeH, weitere EK, AdE, Arb, BfA, BNL, DD, Erfahrungsheilkunde, G,
Hippokrates, LE, WKÄ, WNA.
Literatur: Hagemann, E.: Bibliographie der Arbeiten der Schüler Dr. Steiners,
o. O. 1970; Schönemann, B.: Wilhelm zur Linden, in: MaD 1973, Nr. 104;
Schönemann, G.: Wilhelm zur Linden, in: BeH 1973, Nr. 3, auch in: Selg, P.
[Hrsg.]: Anthroposophische Ärzte, Dornach 2000.
Abkürzungen: siehe hier
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