Fritz Lemmermayer

Lemmermayer, Fritz

Schriftsteller, Journalist.

*26.03.1856, Wien (damals Österreich-Ungarn)

✟11.09.1932, Wien (Österreich)

Als engster Jugendfreund Rudolf Steiners nimmt Fritz Lemmermayer eine einzigartige Stellung innerhalb der anthroposophischen Be-

wegung ein. Fritz Lemmermayer wies seinen Freund nicht nur in die verschiedensten Künstlerkreise Wiens ein, er veranlasste ihn auch zu einem Briefverkehr mit Robert Hamerling und verhalf zur Begegnung mit Fercher von Steinwand. Er ist der Einzige aus Rudolf Steiners Wiener Freundeskreis, der sich später mit Anthroposophie verbinden konnte.

Reich an Klängen, schwermütigen, düsteren, aber auch himmlischen, war sein Leben. Er war ein Mensch des Herzens. In Wien wurde er geboren zu einer Zeit, da die Stadt als Festung aufgegeben wurde und der Ringstraßen-Bau ein großes Schaffensareal für die verschiedensten Künstler ermöglichte. Auch die Enthüllung des Goethe-Schiller-Denkmals in Weimar von Ernst Rietschel gehört in diese Zeit; von diesem sollte er später durch einen Brief Rudolf Steiners voll Anerkennung und Bewunderung erfahren.

Als er acht Jahre alt war, starb sein Vater Carl Lemmermayer, ein Porträtmaler. Das kindliche Leben zwischen Farbtöpfen und Musik - die Mutter Anna Lemmermayer war Pianistin - nahm eine radikale Wende. Früh schon musste Fritz Lemmermayer der Mutter, die mit vier unmündigen Kindern um ihren Lebensunterhalt kämpfte, mitverdienen helfen. Zur Mutter sowie zur Schwester Marie fühlte sich der scheue Knabe innig hingezogen.

Nach der Mittelschule fing Fritz Lemmermayer ein technisches und handelswissenschaftliches Studium an, 1876 begann er mit dem Universitätsstudium; Philosophie, Geschichte und Literatur wollte er studieren. Bald entdeckte der junge Student seine Liebe zur Dichtkunst, in den verschiedensten Journalen schrieb er. 1883 entstand sein Roman „Der Alchymist‟. Anerkennende Worte sandte ihm Robert Hamerling und Rudolf Steiner erlebte die Entstehung dieses Werkes aus allernächster Nähe mit. Unzählige Male besuchte er den Schreiber in seiner „Alchymisten-Klause‟ in der Nähe des Stefansdomes. Junge Dichter scharten sich um ihn. Einem großen Freundeskreis gehörte er an. Mit Rudolf Steiner gemeinsam besuchte er die Samstagnachmittage bei der Dichterin Marie Eugenie delle Grazie.

Die Künstlergesellschaft, die sich bei dem Ehepaar Marie und Alfred Formey traf, besuchten sie ebenfalls. Durch starke Gemütskräfte versuchten sie den heraufkommenden Materialismus, Nihilismus und Pessimismus in Schach zu halten; dies war auch das Motiv, das eine neue Literaturgesellschaft, „Iduna‟ genannt, ins Leben rief. Bei der Herausgabe von Friedrich Hebbels Werken arbeitete Fritz Lemmermayer unermüdlich mit.

1884 starb seine Schwester Marie, 1886 seine Mutter. Marie war verheiratet mit dem Musiker Carl Udel, einem Vertrauten des Kronprinzen Rudolf. Vieles aus dem Leben des Kronprinzen erfuhr Fritz Lemmermayer aus nächster Nähe.

Nachdem Rudolf Steiner nach Weimar übersiedelte und der anfängliche Briefverkehr verebbte, wuchs Fritz Lemmermayers Freundschaft mit Martin Greif. 1893 erschien Lemmermayers Tragödie „Simson und Delila‟, sie verklingt mit den Worten: „Selig ist es, diese Welt des Wahns und der Wirrnis zu verlassen.‟ Sieben Jahre nach diesem Schlusssatz, am 31. März 1900, entschlossen sich Fritz Lemmermayer und der 14 Jahre jüngere Hugo Astl-Leonhard (Chefredakteur vom „Trauten Heim‟), durch einen Doppelselbstmord aus dem Leben zu scheiden. Der Freund starb, Fritz Lemmermayer konnte gerettet werden. Durch dieses Ereignis ist seine Wiener Zeit zu Ende gegangen.

Fritz Lemmermayer fand eine Bleibe auf dem Schloss des Fürsten Elimar von Oldenburg (in Brogyán, heute Brodzany in der Slowakei). Fritz Lemmermayer arbeitete an diesem Ort an einer Übersetzung von 200 englischen Gedichten aus zwei Jahrhunderten in die deutsche Sprache. 1910 bot er seine Arbeit dem Cotta-Verlag an. Dieser lehnte ab. Er kam in Verruf, kein Schriftsteller mehr zu sein, denn viele Jahre hatte er nichts veröffentlicht. Erst 1998 wurde das Manuskript seiner „Englischen Lyrik‟ gefunden und herausgegeben.

Die letzte Begegnung mit Rudolf Steiner war in Berlin in einer Bahn, die nach Friedenau fuhr. Es war in der Zeit, in der Rudolf Steiner Vorträge im Architektenhaus Berlins hielt. Die Jugendfreunde begrüßten sich aufs Herzlichste, standen sich noch einmal Aug in Auge gegenüber.

Am 24. September 1924 wurde Lemmermayer auf dem Schlossgelände in Brodzany auf einem Spaziergang von zahlreichen Hunden, welche sehr gefürchtet waren, ihm aber bis dahin gut waren, überfallen. Sie zerrissen ihn vom Hals bis zu den Füßen und brachten ihm klaffende Wunden bei. Ein halbes Jahr musste er nun das Bett hüten, Fieber, Thrombose, doppelseitige Lungenentzündung stellten sich ein. Ein zweites Mal stand er an der Todesschwelle. Aufopferungsvoll wurde er von dem damals 23-jährigen Heinz Robert von Wallpach gepflegt. Ende März 1925 konnte der Kranke das erste Mal sein Lager verlassen und wenige Wochen darauf verließ Fritz Lemmermayer in Begleitung seines Pflegers für immer den Ort, an den er sich so viele Jahre wie „gebannt‟ gefühlt hatte.

Nach Wien kehrte er zurück, in die Stadt, in der er einst Rudolf Steiner kennen lernte und wo er nun der Anthroposophie begegnen sollte. Von ?Ferdinand Wantschura aufgenommen, wohnte er bis zuletzt in der Neubaugasse 29. Fritz Lemmermayer wurde 1926 Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft. Im Jahre 1927 erkrankte er an einer selten schweren Art von Masern und einer Pneumonie. Immer mehr und mehr verband er sich mit dem Geistesgut seines Jugendfreundes, von dem er nun, durch Österreich, Deutschland, die Schweiz, Frankreich, Holland und England reisend, in kleinen und größeren Versammlungen, auf die gemeinsam verbrachte Wiener Zeit zurückblickend, sprach. Mit der Lauterkeit und Vornehmheit sowie dem feinen Takt seines Herzens führte er die Zuhörer; er sprach auch über Fercher von Steinwand, Robert Hamerling, schrieb noch manchen Aufsatz in der Wochenschrift „Das Goetheanum‟, erlebte eine Neuauflage seines Jugendromans „Der Alchymist‟ sowie das Erscheinen seiner Gedichte und seines Buches „Erinnerungen‟. Mit zahlreichen bekannten Anthroposophen kam er in Berührung: ?Marie Steiner, ?Albert Steffen, ?Elisabeth Vreede, ?Ita Wegman, ?Otto Graf von Lerchenfeld, ?Ernst Uehli, ?Emmanuel Joseph van Leer, ?Ludwig Graf v. Polzer-Hoditz und vielen anderen.

Das Pastell Rudolf Steiners, 1923 entstanden mit dem Namen „Der Forscher inmitten von Marianus und Gabrilein‟, zeigt eine Hauptgestalt aus des Dichters Jugendroman.

Andrea Hitsch

Quellen Erwähnungen

N 1927 S. 120
N 1929 S. 111
N 1999 S. 42f
Werke: Der Alchymist (R), Berlin 1885, Stuttgart ²1928; als Herausgeber: Anthologie österreichischer Lyrik und Die deutsche Lyrik der Gegenwart, 1884; Menschen und Schicksale, Minden i.W. 1890; Der Goldschmied von Köln (R), 1890; Im Labyrinth des Lebens (L), 1892, ²1899; Simson und Delila (D), Leipzig 1893; Belladonna (R), 1896; als Übersetzer: Gudrun. Ein deutsches Heldenlied, Stuttgart [1889]; Haschisch. Orientalische Erzählung, Budapest 1898, ³1904; Das öde Haus. Armut und Übermut (E), 1900; Novellen-Novelletten, Linz 1903; mit Kralik, D. als Herausgeber: Neue Hebbel-Dokumente, Berlin 1913; Gedichte, Stuttgart 1928; Erinnerungen an Rudolf Steiner, an Robert Hamerling und an einige andere Persönlichkeiten des österreichischen Geisteslebens der 80er Jahre, Stuttgart 1929, Basel ²1992; als Übersetzer: Englische Lyrik, Ottersberg 1999; Beiträge in G, N, OeB, Pfa.
Literatur: Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte, Wien 1931; Lauer, H. E.: Fritz Lemmermayer, in: N 1932, Nr. 40; Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs, Wien o.J.; Ungedruckte Briefe Robert Hamerlings, Wien o.J.; GA 28, 7. Auflage 1962; Rath 1971; GA 38, ³1985; Schöffler 1987; Lindenberg, Chronik 1988.
Hitsch, Andrea: "Inmitten ein einsamer Wanderer. Vergessene Künstler um Rudolf Steiner in Wien" Dornach 2002
Abkürzungen: siehe hier
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