Kyber, Manfred
Schriftsteller.
*01.03.1880, Riga (damals Russland)
✟10.03.1933, Löwenstein/Württemberg (Deutschland)
Der Dichter Manfred Kyber wurde vor allem durch humorig-tiefgründige Tiergeschichten und seine Mysterienerzählung „Die drei Lichter der kleinen Veronika‟ bekannt.
Am 1. März 1880 wurde Manfred Kyber auf dem nahe Riga gelegenen väterlichen Gut Paltemal im Baltikum geboren. In wohlhabenden Verhältnissen wuchs er unter der strengen Hand seines Vaters auf, zu dem er ein eher kühles Verhältnis hatte. Das Gut Paltemal lag im Herzen Alt-Livlands, von einer sich durch besondere Schönheit auszeichnenden Landschaft umgeben. Von klein auf entwickelte Manfred ein inniges Verhältnis zur Natur und ihren Geschöpfen. Später spiegelt sich dieses Verhältnis in Kybers dichterischer Arbeit und nicht zuletzt in seinem Engagement für den Tierschutz.
Schon sehr früh hatte Manfred das Empfinden, zum Dichter geboren zu sein. Dies erwies sich durch Gedichte und kleine Erzählungen, mit denen er schon in seiner Gymnasialzeit in Riga und Petersburg aufgefallen war. Eine weitere Bestätigung in seinem Berufswunsch fand er etwa 20-jährig durch einen Theaterbesuch von Gerhart Hauptmanns „Die versunkene Glocke‟. Die dargestellte Problematik der Vermittlung zwischen einer alltäglichen Welt und einer Welt urtümlich-magischer Kräfte wurde für Kyber zum Schlüsselerlebnis. Nun konnte er sich gegen allen elterlichen Widerstand durchsetzen. 20-jährig siedelte er nach Leipzig über und begann mit dem Studium der Germanistik, Philosophie und Psychiatrie. Der Umzug in die Großstadt war für Kyber ein denkbar großer Kontrast zu seinem bisherigen Leben. Sensibel, empfindsam und ungefestigt, durchlebte er eine Zeit der Gärung. Die akademische Welt machte wenig Eindruck auf ihn und nach einiger Zeit zog er sich mehr und mehr zurück, um sich der literarischen Arbeit zu widmen. Durch den Tod des Vaters hatte er aus wirtschaftlichen Gründen sein Studium in Leipzig aufgeben müssen und war nach Berlin übergesiedelt. Dort war er zum Broterwerb im Verlagswesen tätig. Während seiner Berliner Jahre konnte Kyber den ihm eigenen Stil entwickeln. Es erschienen erste Gedichte und Märchen und im Jahre 1906 dann das erste seiner Mysterienspiele „Meister Mathias‟, das zwei Jahre später im Königlichen Schauspielhaus in Berlin unter der Leitung von Bernays uraufgeführt wurde.
Mit der Dichtkunst verband Kyber höchste Ansprüche. Er sah in ihr vor allen andern Künsten den „Träger priesterlicher Erkenntnis‟. Er schrieb: „Überhaupt bildet ja nicht willkürliche Phantasie die Kunstwerke und am wenigsten die der Dichtung. Rückerinnern, Wiedererleben und Umwerten geistiger Welten, das Erkennen ihrer Vorbilder in den Nachbildern des Irdischen sind die Kräfte, aus denen geistige Wirklichkeiten geboren werden.‟ (Kyber 1923, S. 47f.)
Um 1908 hatte Kyber die künstlerisch und schriftstellerisch begabte Baltin Elisabeth Boltho von Hohenbach, eine Theosophin und später Anthroposophin, kennen gelernt, die er 1909 heiratete. Kyber kam mit der Anthroposophischen Gesellschaft in Berührung und wurde 1913 Mitglied. In der Konzeption seiner Mysterienspiele - 1907 schrieb er den „Stern von Juda‟, 1912 „Die neunte Stunde‟ und den „Kelch von Avalon‟ (erschienen als Drei Mysterien) - ließ er sich zweifellos durch die Mysterienaufführungen Schurés und Steiners inspirieren, die er in München besuchte. Eine Begegnung zwischen Manfred Kyber und Rudolf Steiner erfolgte 1911 in Berlin.
Im Jahre 1919 war Kyber mit seiner Frau nach Stuttgart gezogen. Paul Burkhardt, Schriftleiter der Stuttgarter Waldorf-Nachrichten, hatte ihn als Mitarbeiter für die Werkzeitschrift der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria gewinnen können. Kyber war damals als Verlagsleiter beim Stuttgarter Unionsverlag tätig und schrieb nebenbei beachtete Schauspielkritiken. Seine feinsinnigen Ausführungen im „Kunstführer‟ sowie im „Schwäbischen Merkur‟ zeugen von einer zunehmend esoterischen Betrachtungsweise. Kyber nutzte dieses Forum auch, um Anregungen für eine vergeistigte Theaterkultur zu geben.
Die Stuttgarter Jahre waren eine dichterisch fruchtbare Zeit, in der Kyber zu seiner eigentlichen Sprache fand - zu den „Märchen und Tiergeschichten‟. Nach den 33 Dichtungen „Genius astri‟, die er Rudolf Steiner widmete, erschienen in Stuttgart 1920 „Märchen‟ und die beiden Märchenspiele „Das wandernde Seelchen‟ und „Der Tod und das kleine Mädchen‟ sowie 1921 das indische Märchen „Der Königsgaukler‟. Durch seine Märchendichtungen war Kyber bekannt geworden. Für ihn waren Märchen nicht nur erdachte Geschichten, sondern „Wirklichkeiten aus einer andern Welt, die mit der unseren verwoben ist‟ (von Karger 1936). 1929 erschien als letztes dichterisches Werk „Die drei Lichter der kleinen Veronika‟. In dieser Geschichte klingen letzte Dinge als Leitmotiv auf, die Kybers eigenes Leben und Wirken, „einander die Bürde tragen zu helfen, Menschen und Tieren und allem was lebt‟, kennzeichnen. (Kyber 1929, S. 114)
Manfred Kyber verstand sich nicht nur als Dichter. Er war ein ebenso leidenschaftlicher Kulturkritiker und Philosoph, ein unbestechlicher Mahner von großem Weitblick. Dies belegen besonders prägnant seine drei Schriften „Neues Menschentum‟, „Tierschutz und Kultur‟ sowie die „Einführung in das Gesamtgebiet des Okkultismus. Vom Altertum bis zur Gegenwart‟. Kybers Einführung in den Okkultismus zeigt einen gangbaren Weg auf, in den Lesern ein Interesse an Grenzwissenschaften zu wecken, wobei er sich um strikte Objektivität bemühte und keiner vorherrschenden esoterischen Richtung den Vorzug gab. Einen sektiererischen Zug entdeckte Kyber bald an den Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft, der ihn mehr und mehr abstieß. Seine kritische Haltung gegenüber diesen Erscheinungen gab Kyber in seinen Vorträgen offen kund, was seine Distanzierung förderte und die Entfremdung steigerte. Kybers Biografin schreibt: „Für Rudolf Steiner selbst jedoch hat Kyber, wenn schon er in manchem von dessen Anschauungen abweichen musste, bis zuletzt Verehrung empfunden, und Steiners Gedanken und Werke haben ihn geistig bis zum Tode begleitet.‟ (von Karger 1936, S. 79)
Anfang der 20er-Jahre erfolgte die Trennung und schließlich die Scheidung von seiner Frau. Etwa zeitgleich ergab sich Kybers Distanzierung von der anthroposophischen Bewegung. Kyber verließ Stuttgart, die Stätte seiner Hoffnung, und übersiedelte in das württembergische Städtchen Löwenstein, das damals noch ein Dorf war. Der Umzug war wie eine Flucht in die Einsamkeit, an deren Folgen er bis an das Ende seines Lebens bitter litt.
Kyber suchte Ansätze zu einer neuen und besseren Kultur aufzuzeigen. Er war fest davon überzeugt, dass „schon das Bekenntnis zum Übersinnlichen genüge, das Steuer dieser verrückt gewordenen Zivilisation zu wenden‟ und dem neuen Menschentum, das er in seinen Werken vielfach zu gestalten suchte, voranzuhelfen, wenn es nicht zu einem furchtbaren Krieg mit allen Vernichtungswaffen der Menschheit kommen sollte.
Es ist bemerkenswert, dass Kyber vor 70-80 Jahren Themen aufgriff, die heute nichts an Aktualität eingebüßt haben und deren Brisanz er damals erkannte: die Ausbeutung der Natur durch den Menschen; die Ungeheuerlichkeit der Vivisektion; der Irrsinn des Kriegs; die Auswüchse der Reklame und die Übersteigerung des Verkehrs.
„Neues Menschentum‟ ist das Vermächtnis eines Menschen, der die Katastrophen unseres Jahrhunderts heraufziehen sah. Kyber starb am 10. März 1933 in Löwenstein. Er wurde dort auf dem Waldfriedhof neben der Grabstätte der berühmten Seherin von Prevorst, die 1829 in Löwenstein starb, beigesetzt.
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