Julius Knierim

Dr. phil. Knierim, Julius

Musiker, Heilpädagoge, Therapeut.

*03.09.1919, Kassel (Deutschland)

✟01.01.1999, Niefern-Öschelbronn (Deutschland)

(Todestag exakt)

Kindheit und Schulzeit des Ältesten von sechs Geschwistern sind stark von musikalischen Eindrücken geprägt. Der 14-Jährige darf im Kasseler Opernhaus den ersten Knaben in Mozarts „Zauberflöte‟ singen. Die letzten Schuljahre verbringt er in Hanau, wo ihm sein Onkel, der Mathematiklehrer und Musikforscher Heinrich Schulze-Mänz, nicht nur eine gediegene musikalische Grundausbildung, sondern darüber hinaus ein tiefes Verständnis für das Wesen musikalischer Prozesse vermittelt. Mit Kriegsausbruch beginnt er sein Studium in Berlin: Musikwissenschaft und Kunstgeschichte, ergänzt durch Dirigier- und Klavierstudien. Im anthroposophischen Untergrund begegnet er 1940 der Musikerin und Heilpädagogin Maja Krückeberg, seiner späteren Frau. Sie zeigt ihm zum ersten Mal eine Leier (?Edmund Pracht, ?Walter Lothar Gärtner) und er erkennt blitzlichtartig die „unerhörten‟ Möglichkeiten dieses so bescheidenen Instrumentes für die von ihm als Zeitforderung geahnte Sublimierung des musikalischen Hörens. 1943 schließt er das Studium mit einer Dissertation über den Komponisten Johannes Heugel ab, heiratet und wird unmittelbar darauf zum Kriegsdienst eingezogen. Von den schrecklichen Kriegsereignissen im Innersten erschüttert, verwirft er die ursprünglich geplante akademische Karriere und geht, nach der Heimkehr aus französischer Kriegsgefangenschaft, im Frühjahr 1946 an das Stuttgarter Waldorflehrerseminar.

1947 wird er Mitarbeiter am Michaelshof Hepsisau, dem von ?Albrecht Strohschein gegründeten heilpädagogischen Institut. Für die vielschichtigen musikalischen Herausforderungen dieses spezifischen Arbeitsfeldes findet er schöpferische Antworten in reicher Fülle und entfaltet, im Zusammenwirken mit seiner Frau, über fünf Jahrzehnte hinweg ein vielgestaltiges musikalisches Leben auf hohem Niveau und mit weltweiter Ausstrahlung. Im Zentrum der Arbeit steht als Schlüssel für eine vertiefte Hörkultur die Leier, deren Spieltechnik und Unterrichtsdidaktik von Knierim unablässig weiterentwickelt und menschenkundlich vertieft wurde. Das gesamte Heimleben wird vorbildhaft musikalisch durchgestaltet, der Unterricht ist, bei großer innerer Strenge, von unorthodoxer Frische und Entdeckungsfreude geprägt. Mit größter Intensität werden die Schüler zum tätigen Ergreifen der musikalischen Gesetzmäßigkeiten geführt, lernen sich daran ordnen und ihre Interessefähigkeit schulen. Dabei ergänzen und befruchten sich zwei Arbeitsrichtungen: ein weit verzweigter Übungsweg im „Freien Musizieren‟ (wofür ein Arsenal von Improvisationsübungen entwickelt wird) und der aktive Gang durch die abendländische Musikgeschichte, gipfelnd in der Aufführung ganzer Opern und Oratorien mit der Heimgemeinschaft. So gelingt ihm etwa mit seiner weithin beachteten Zauberflöten-Inszenierung von 1959 (in den Folgejahren immer wieder aufgegriffen) mit bescheidenen äußeren Mitteln ein aussagestarker musikalisch-szenischer Prozess, dessen Kraft die Zuschauenden tief berührt.

Weit über die Heimgrenzen und über die anthroposophischen Reihen hinaus ist Knierim wirksam geworden durch seine Mitarbeit im Rahmen verschiedener Ausbildungsstätten und bei unzähligen Kursen und Tagungen im In- und Ausland, durch seine Kompositionen und Fachveröffentlichungen, als Herausgeber von Leierliteratur und als musikpädagogischer und -therapeutischer Impulsator. Der Bau der heute weltweit verbreiteten Kinderharfe basiert wesentlich auf seinen Anregungen, auch mit der Entwicklung der Choroi-Instrumente (Norbert Visser, Geert Mulder) in den 60er-Jahren ist er eng und prägend verbunden. 1961 wird auf seine Initiative der über Jahre für die Weiterentwicklung der Leierarbeit maßgebliche internationale „Kreis der Lehrenden Leierspieler‟ gegründet (Alois Künstler, Edmund Pracht, ?Gotthard Starke). 1970/71 wird er Mitbegründer der europaweiten Freien Musik-Schule (Wanderstudium für Kunst - Pädagogik - Therapie), in deren Zentrum die Arbeit mit neu entwickelten Instrumenten steht.

Gerhard Beilharz

Ereignisse

26.07.1948 - 31.07.1948: Arbeitswoche für Musik im Heil- und Erziehungsinstitut Hepsisau

14.10.1954 - 18.10.1954: Heilpädagogische Arbeitszusammenkunft

01.01.1955 - 31.12.1955: Orientierungskurs zur Berufsfindung

03.04.1956 - 10.04.1956: Berufsorientierungskurs

07.04.1956 - 14.04.1956: Ostertagung

24.04.1957 - 04.05.1957: Ostertagung

09.06.1957 - 11.06.1957: Einweihung des Hauses der Anthroposophischen Arbeit

19.10.1957 - 25.10.1957: Medizinische Arbeitswoche

01.01.1958 - 31.12.1958: Die Leier

12.04.1958 - 20.04.1958: Ostertagung

01.01.1959 - 31.12.1959: Heilpädagogische Arbeitszusammenkunft "Die heilpädagogische Pflege des Sinneslebens der Kinder"

12.04.1959 - 19.04.1959: Ostertagung Vom Werden und Entwerden der Substanz

24.05.1959 - 26.05.1959: Heilberufe-Tagung

06.09.1959 - 13.09.1959: Medizinische Arbeitswoche Stoffwechselkrankheiten und Krebsprobleme

09.06.1960 - 11.06.1960: Heilberufetagung

18.09.1960 - 24.09.1960: Medizinische Arbeitswoche : Kosmische und irdische Ernährung

26.03.1961 - 03.04.1961: Ostertagung Irdische und kosmische Gesetzmäßigkeiten im Organismus und im Schicksal des Menschen

04.04.1961 - 11.04.1961: Jugendkurs Lebensaufgaben und Berufsfragen heute

15.07.1961 - 20.07.1961: Heilpädagogische Hochschultage

17.09.1961 - 23.09.1961: Medizinische Arbeitswoche "Kosmische und irdische Gesetzmäßigkeiten im Organismus und im Schicksal des Menschen"

01.01.1962 - 31.12.1962

29.04.1962 - 05.05.1962: Ärztetagung "Krankheit und Schicksal im Lichte der Wiederverkörperung"

16.09.1962 - 22.09.1962: Medizinische Arbeitswoche Wiederverkörperung, Konstitution und Krankheit

08.10.1962 - 14.10.1962: Interne Tagung für Heilpädagogen "Atmung"

21.04.1963 - 27.04.1963: Ostertagung: Wesensglieder, Konstitution und Krankheitsprozeß

31.03.1964 - 07.04.1964: Jugendkurs, Berufsorientierungskurs Menschenkunde - Schicksalskunde - Gegenwartskunde

13.04.1964: 1. Trimester des Jugendseminars

18.10.1964 - 24.10.1964: Interne Tagung für tätige Heilpädagogen "Die Wärme in der Erkenntnis und in der Behandlung des seelenpflegebedürftigen Kindes"

01.01.1965 - 31.12.1965: Die Musik in Geschichte und Gegenwart

20.06.1965 - 04.07.1965: Heilpädagogische Arbeitswochen für tätige Mitarbeiter

16.10.1966 - 22.10.1966: Interne Tagung für tätige Heilpädagogen "Absonderung als Lebens- und Entwicklungsgeschehen"

01.01.1968 - 31.12.1968

20.10.1968 - 26.10.1968: Interne Tagung für tätige Heilpädagogen "Die Bewegung als Ausdrucksform des Kindes und als Mittel zu seiner Behandlung"

01.01.1970 - 31.12.1970: Rudolf Steiner Seminar für Heilpädagogik 1965-1969

12.04.1970 - 18.04.1970: Ostertagung "Die sieben Lebensprozesse II - Die Absonderung "

16.05.1970 - 19.05.1970: 20. interne Tagung der Freunde der Kindergartenbewegung

22.05.1970 - 24.05.1970: 16. Heilberufetagung "Geistige Erneuerung der Heilberufe"

11.10.1970 - 17.10.1970: Interne Tagung für tätige Heilpädagogen "Künstlerisch gestaltete Bewegung in der Heilpädagogik"

12.04.1971 - 18.04.1971: Berufsorientierungskurs

17.10.1971 - 24.10.1971: Fortbildungslehrgang für Heilpädagogen "Plastisch-bildnerische und musikalisch-sprachliche Kräfte als Grundlage der künstlerischen Therapie"

01.01.1972 - 31.12.1972

20.05.1972 - 25.05.1972: 22. Arbeitstagung der Kindergärtnerinnen "Ernährung und Gesundung durch die Sinne"

08.10.1972 - 14.10.1972: Interne Tagung für Heilpädagogen "Lernwege für das seelenpflege bedürftige Kind"

01.01.1973 - 31.12.1973: Jahresbericht des Rudolf Steiner Seminars für Heilpädagogik in Eckwälden

01.01.1973 - 31.12.1973: Treffen der Leierspieler

09.06.1973 - 13.06.1973: Fortbildungstagung und Mitgliederversammlung ""Lernprozesse und Lernstufen im ersten Jahrsiebt"

01.05.1974 - 05.06.1974: Interne Tagung für die Fortbildung der Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten "Entwicklung der Phantasiekräfte"

14.06.1974: Feier anläßlich des 50-jährigen Bestehens der heilpädagogischen Bewegung

06.10.1975 - 10.10.1975: 3. Öffentliche Tagung für Leierspieler und Interessenten "Musik und Leier"

01.01.1976 - 31.12.1976: Musik im Kindergarten

09.10.1976 - 16.10.1976: Interne Heilpädagogische Tagung "Rhythmus als Wegbereiter des Ich"

06.07.1977 - 13.07.1977: 1. Pädagogische Arbeitswoche "Spielen-Lernen-Arbeiten. Wie wird die Schule zum Lebensraum von Kindheit und Jugend?"

13.05.1978 - 17.05.1978: Pfingsttagung für Mitarbeiter an Waldorfkindergärten Mitgliederversammlung der Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V. "Die organbildende Kraft von Rhythmus und Gebärde"

22.09.1978 - 24.09.1978: Öffentliche Tagung heilpädagogischer Schulen "Soziale Arbeit und Anthroposophie"

01.01.1981 - 31.12.1981

29.10.1983 - 01.11.1983: Festival d'Eté: Europa

Quellen Erwähnungen

N 1948 S. 144
N 1954 S. 99
N 1956 S. 16
N 1961 S. 15, 32, 70, 120, 166
N 1962 S. 134
N 1964 S. 42, 65, 96, 180, 231
N 1965 S. 56
N 1966 S. 130
N 1968 S. 50, 54, 78, 122, 190, 202
N 1970 S. 104, 117
N 1989 Nr. 37 L.Reubke: um 70. Geburtstag
N 1995/96 S. 159
N 1999 S. 110
AW 2016 Nr. 3, S. 14
MaD 1948 Nr. 5, S. 36
MAVN 1990 Nr. 2, S. 20
NAA 1979 Nr. Spring, S. 29
NAA 1982 Nr. Autumn, S. 24
ANS 1994 Nr. 1, S. 8

Info

Mitglied der deutschen Landesges., war in Hepsisau tätig, komponierte für
Leier und hielt Leier-Kurse, auch in den USA. An Tagungen am Goetheanum.
Musiktherapeut.
Werke: Quintenlieder, Bingenheim 1970, 61994; Lieder und Chöre, Bingenheim 1981; Zwischen Hören und Bewegen, Wuppertal 1988; als Herausgeber: Spielbuch 1/2/3/4 für Leier, Bingenheim 1961/1967/1970/1978, 41982/³1984/²1978; Jahreslieder I/II, Bingenheim 1981; Beiträge in Sammelwerken, weitere in EK, Leh, N, NfG, SbK sowie zahlreiche als Manuskriptdruck erschienene oder unveröffentlichte Kompositionen; Herausgabe von Musikbeilagen für SbK.
Literatur: Lindenberg, C.-A.: Nachruf für den Leier-Freund Dr. Julius Knierim, in: N 1999, Nr. 9; Sease, V.: Zum Tod von Dr. Julius Knierim, in: N 1999, Nr. 11; Reubke, L.: Julius Knierim, in: SHS 1999, Nr. 1, auch in: Leh 1999, Nr. 66; Zum Gedenken an Julius Knierim (Beiträge verschiedener Autoren zu Leben und Werk), Lrb 1999, Nr. 12; Beilharz, G.: Das Unbeschreibbare beschreiben. Zu Julius Knierims Ausarbeitung einer Leiertechnik, Lrb 2002, Nr. 18.
Abkürzungen: siehe hier
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