Pauline Gräfin von Kalckreuth

Gräfin von Kalckreuth, Pauline

Malerin.

*19.10.1856, Düsseldorf (Deutschland)

✟08.05.1929, München (Deutschland)

„Hochgewachsen, hager, unglaublich durchgeformt, mit einer Gesichtsfarbe, die zuweilen einen purpurnen Lichtschein ausströmte, mit sehr großen, strengen, blauen Augen und einem Engelslächeln um den kleinen rosafarbenen Mund, ohne ein einziges graues Härchen, in rosafarbener oder purpurner Tunika mit einem Kreuz auf der Brust, schien sie mir in ihren besonders strahlenden Augenblicken [...] nicht aus dieser Welt, wie aus dem Paradies zu kommen, alterslos, ein junges Mädchen; dabei war sie, als wir uns kennenlernten, bereits über fünfzig [...].‟ (Belyj 1975, S. 239)

Obwohl sie zweifellos zu den bekannten und prägenden Persönlichkeiten der frühen anthroposophischen Bewegung gehörte und ihr Name in vielen Beschreibungen von zahlreichen Autoren über die damalige Zeit genannt wird, ist nur wenig über den Lebensweg von Pauline Gräfin von Kalckreuth bekannt.

Sie war die vierte Tochter des 1894 verstorbenen Direktors der Kunstschule in Weimar, des Landschaftsmalers Stanislaus Graf von Kalckreuth, und einer Hofdame bei der Kaiserin Friedrich (eigentlich Viktoria, 1840-1901), einer Tochter von Viktoria von England und Mutter von Kaiser Wilhelm II. Die Kaiserin war sehr liberal, kunstsinnig und selbst eine begabte Malerin. Gräfin Kalkreuth hatte eine umfassende künstlerische Ausbildung genossen und aufgrund ihrer Vorbereitung auf die Aufgaben einer Hofdame war sie literarisch und gesellschaftlich gebildet, sprach fließend Französisch und Englisch. Sie war Mitglied der Theosophischen Gesellschaft, bevor Rudolf Steiner an der Jahrhundertwende von Graf Brockdorff zu Vorträgen in die Berliner theosophische Bibliothek eingeladen wurde. Nachdem er seine eigenständige anthroposophische Arbeit in den theosophischen Kreisen begann, wurde sie früh seine persönliche Schülerin.

Pauline von Kalckreuth wirkte in München - unzertrennlich mit Sophie Stinde - in den ersten Aufbauphasen der anthroposophischen Bewegung. Beide waren Malerinnen. Ohne sie gäbe es wohl weder die Mysteriendramen noch den Johannesbau, das spätere Goetheanum. „Pauline von Kalckreuth kann als einer der Tragepfeiler in dem Aufbau unserer werdenden Gesellschaft betrachtet werden; die Kraft der Hingabe, die sie in sie hineingegossen hat, bleibt bestehen, […] denn sie ist in das Mark der Gesellschaft eingedrungen. Hätten wir viele Leute mit dieser Fähigkeit des geduldigen Tragens und der Aufopferung, wir wären eine mächtige Gesellschaft.‟ (Steiner, M. 1929b, S. 86)

Sie wohnte mit Sophie Stinde zusammen in dem rosaroten Kalckreuth’schen Haus in der Adalbertstraße 55. Der Zweigraum der Anthroposophischen Gesellschaft war im Parterre. In diesem Haus lebte und arbeitete auch Rudolf Steiner, wenn er in München war, hielt Vorträge und dort entstanden die Mysteriendramen.

Es war Sophie Stinde, die den Gedanken der Errichtung eines eigenen Baus für die Mysteriendramen in München aussprach. Und Kalckreuth schloss sich diesem kühnen Plan sofort an. Dass dieser Impuls letztlich in die Tat umgesetzt werden konnte, ist auf den persönlichen Verzicht ihrer Laufbahnen als Malerinnen begründet. Marie Steiner schreibt dazu: „Sie [Stinde] und Gräfin Kalckreuth schritten tapfer der Realisierung dieses Gedankens entgegen, der uns zunächst erschreckte, den wir fast zu kühn fanden. […] Und als der Bau nicht in München, sondern in der Schweiz errichtet werden musste, hielt kein Bedenken sie zurück, dieselbe Liebe und Kraft dem Bau […] zu widmen.‟ (Steiner, M. a.a.O.)

Bei der Grundsteinlegung des ersten Goetheanum 1913 war Pauline Kalckreuth im engsten Kreis der Beteiligten, später schnitzte sie an den Architraven.

Neben dieser für die anthroposophische Bewegung entscheidenden Initiative waren es aber gerade die unspektakulären, oft undankbaren und doch so essenziellen Aufgaben der Vorbereitung, der Organisation und der menschlichen Hin- und Zuwendung, die Pauline von Kalckreuth und Sophie Stinde übernahmen. Sie ermöglichten dabei durch Tatkraft, Beharrungsvermögen und persönliche Anspruchslosigkeit die Verwirklichung der anthroposophischen Aktivitäten, die sich von 1909 bis zum Ersten Weltkrieg in München konzentrierten. „Sie machen alle Arbeit, die man nicht sieht‟, heißt es in einem Brief von Marie von Sivers an Edouard Schuré aus München, 31.7.1909 (1962, S. 30). Dieser Hinweis auf die Arbeit, die man nicht sieht, ist es, der die wirkliche Arbeit von Kalckreuth am besten beschreibt.

Wie von jedem spirituell orientierten Milieu fühlten sich immer auch orientierungsbedürftige und nicht ganz stabile Menschen zu den anthroposophischen Zusammenhängen hingezogen. Es gehörte allein schon durch das vornehme und ausgeglichene, aber zugleich verständnisvolle und gütige Wesen der Gräfin Kalckreuth zu ihren Aufgaben, sich um diese Menschen zu kümmern, ja auch der ordnende Umgang mit den „Verrückten und Kranken‟, den „gescheiterten oder verirrten Existenzen‟ (Lindenberg 1988, S. 284), die zu Steiner drängten.

Als Sophie Stinde am 17. November 1915 in München starb, wurde es einsam um Pauline von Kalckreuth. Noch einsamer, als Rudolf Steiner 1925 starb. „Sie fand sich nicht mehr ganz zurecht in der neuen Welt; sie vermisste so vieles von dem, was ihr notwendige Lebenssubstanz schien, selbst innerhalb unserer Bewegung.‟ (Steiner, M. 1929, S. 86)

Am 10. Mai 1929 steht in den „Münchner Neuesten Nachrichten‟: „Pauline Gräfin von Kalckreuth tödlich verunglückt. Die jüngste Schwester des berühmten, im Dezember vorigen Jahres gestorbenen Malers Leopold Grafen von Kalckreuth, des Präsidenten des Deutschen Künstlerbundes, die Kunstmalerin Pauline von Kalckreuth […] ist am Dienstagabend in der Adalbertstraße, Ecke Türkenstraße tödlich verunglückt. Die Künstlerin wollte die Straße überqueren und wurde dabei von einer Radfahrerin angefahren. […] Die Verunglückte, die einen Schädelbruch erlitten hatte, wurde in das Krankenhaus Schwabing gebracht, wo sie starb.‟

Karl Lierl

Quellen Erwähnungen

N 1925 S. 130
N 1930 S. 67. 157
N 1937 S. 15
N 1943 S. 48, 99
N 1944 S. 107, 143
N 1945 S. 183
N 1946 S. 119
N 1952 S. 96
N 1954 S. 100
N 1955 S. 55, 210
N 1956 S. 17
N 1964 S. 39f
N 1968 S. 7
N 1969 S. 19
N 2007 Nr. 49 Florian Roder
MaD 1949 Nr. 10, S. 8
MaD 1963 Nr. 66, S. 249
GA 260 a Personenregister
GA 264 Personenregister

Info

War bei der Grundsteinlegung 1913 anwesend
Literatur: Steiner, M.: Gräfin Pauline von Kalckreuth und In memoriam, in: N
1929, Nr. 22; dies.: Briefe an Edouard Schuré, in: BGA 1962, Nr. 8; GA 262,
1967; Belyj, A.: Verwandeln des Lebens, Basel 1975, ³1990; Hartmann 1975;
Groddeck 1980; Wiesberger, H.: Marie Steiner-von Sivers, Dornach 1988; GA
34, ²1987; Lindenberg, Chronik 1988.
Abkürzungen: siehe hier
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