Walter Abendroth

Abendroth, Walter Fedor Georg

Komponist, Musikkritiker, Musikschriftsteller

*29.05.1896, Hannover (Deutschland)

✟30.09.1973, Hausham bei Miesbach (Deutschland)

(Alternativer Geburtstag 30.6)

Walter Abendroth erlebte als junger Mensch die Anfänge der Anthroposophie in München und Stuttgart. Den eigenen Lebensweg schildert er als eine Geschichte innerer Wandlungen „von Rudolf Steiner zu Rudolf Steiner‟.

Geboren als Sohn eines Vermessungsbeamten, erlebte er die frühe Kindheit „intensiv in einer gewissen Naturfrömmigkeit‟ und galt als Träumer. 1907 übersiedelte die F­amilie nach Berlin, wohin der Vater versetzt worden war. Zum lebensbestimmenden Schlüsselerlebnis wurde ihm die Mitwirkung als Chorknabe bei einer Aufführung der Grals- und Karfreitagsszenen aus Wagners „Parsifal‟. Von diesem Abend an „stand für mich fest, dass ich Musiker werden wollte‟ (Abendroth 1966, S. 23).

Ein genialischer deutschrussischer Lebensreformer führte ihn in die Theosophie ein. Man las gemeinsam Steiners „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‟. Die Vorstellung wiederholter Erdenleben war dem Gymnasiasten „eine sich eigentlich von selbst verstehende Sache‟. Walter begann mit autodidaktischen Musikstudien, las Edouard Schurés „Die großen Eingeweihten‟, wobei es ihm nicht schwer fiel, Verbindungslinien zwischen Wagner, dem „musikalischen Magier von vergleichsloser Suggestionsgewalt‟, und Rudolf Steiner zu ziehen. Das „lebendigste Bindeglied‟ war ihm der Wagnerfreund Schuré.

Im Frühjahr 1914 beginnt er mit dem Musikstudium in München. Ein Empfehlungsschreiben aus Berlin öffnet ihm den anthroposophischen Kreis um Pauline von Kalckreuth und Sophie Stinde. Er tritt der Anthroposophischen Gesellschaft bei, hört Vorträge von Michael Bauer, Ernst Uehli, Felix Peipers und dem sporadisch nach München kommenden Rudolf Steiner. Zu gleicher Zeit erste Kompositionsversuche, präludienartige Klavierstücke, zwei in der Josephskirche aufgeführte geistliche Chöre. Alexander von Bernus druckt in der Zeitschrift „Das Reich‟ Abendroths mythische Operndichtung „Lichtgeburt‟. Das Erlebnis der Münchner Pfitzner-Aufführungen lässt ihn zum lebenslangen „Pfitznerianer‟ werden.

Im Ersten Weltkrieg war Abendroth zweieinhalb Jahre Soldat, wenngleich nur selten an der Front. Bei Kriegsende nach Berlin entlassen, schlüpfte er bei anthroposophischen Bekannten unter. Er wohnte kurze Zeit bei Eliza von Moltke und wurde musikalischer Adlatus bei der Eurythmistin Natalie von Papoff.

Durch die eurythmische Arbeit trat Abendroth bald in ein persönlicheres Verhältnis zu Rudolf Steiner und Marie von Sivers (Marie Steiner). Mit Natalie von Papoff nahm er 1919 an mehrwöchigen Eurythmiekursen in Stuttgart teil und erlebte einen „wahren Ideenfrühling‟. Er war Zeuge der ersten Dreigliederungsaktivitäten und erlebte im Hause Emil Molts das entscheidende Gespräch über die Gründung der Waldorfschule. Von September bis Weihnachten 1920 folgte ein Engagement als Musiker bei der Haaß-Berkow-Truppe, die auf Schloss Siebeneichen bei der Freifrau von Miltitz gastierte. Im Anschluss daran wurde eine Tournee durch das östliche Sachsen und nach Oberschlesien unternommen.

Nach Beendigung der Tournee trennte sich Abendroth von der Anthroposphischen Gesellschaft. „Neben dem Glück des Umgangs mit Steiner und manchem schönen Eindruck idealistischen Arbeitsgeistes [...] konnte nicht verborgen bleiben, wie sehr es in der Anthroposophischen Gesellschaft menschelte‟ und „welche Wand von Unverständnis seines innersten Wesens doch zwischen Rudolf Steiner und seinen ,lieben anthroposophischen Freunden’ stand‟.

Der nun folgende Weg in die intellektuelle Unabhängigkeit und bewusste Standpunktlosigkeit begann in Göttingen, wo er heiratete. 1923 folgte die Übersiedlung nach Hamburg, dort ein kurzes Engagement als Geigen- und Kompositionslehrer, dann bis 1929 Musikkritiker an Altonaer und Hamburger Zeitungen, Vortragstätigkeit im Volksbildungswesen und Gründung des „Collegium Musicum‟, eines Kammerorchesters mit öffentlichen Konzerten. In dieser Zeit entstand als sein „offizielles Opus 1‟ ein C-Dur-Streichquartett. 1929 ein kurzes Gastspiel als Kritiker für die „Allgemeine Musikalische Zeitung‟ in Köln. Er begegnet Pfitzner und Reinhold Schneider - der Beginn lebenslanger Freundschaften.

Ein wichtiger Wendepunkt war 1930 die Berufung an die Berliner Redaktion der „AMZ‟, in das unbestrittene Zentrum des europäischen Musikbetriebs. 1934 wechselte Abendroth als Erster Musikkritiker zum Berliner Lokalanzeiger. 1944-45 lebte er freiberuflich in Dresden und erlebte dort im Februar 1945 den Untergang der Stadt.

In den 30er-Jahren rückte Abendroth die Schreibtätigkeit in den Vordergrund. Aber mit Beginn der 40er-Jahre nahm er das fast völlig unterbrochene kompositorische Schaffen wieder auf. 1941 war die Uraufführung der ersten Sinfonie unter Paul van Kempen in Dresden. Zu einem der meistgespielten Werke wurde das 1943 uraufgeführte Konzert für Orchester.

Auch nach 1945 stand sein Leben und Werk in der Polarität zwischen Komponieren und Musikschriftstellerei. 1948 folgte er einem Ruf der Wochenzeitung „Die Zeit‟. Dort leitete er bis 1954 das Feuilleton, 1955 ging er als freier Mitarbeiter nach München.

Walter Abendroth war Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik und der Freien Akademie der Künste in Hamburg, die er mitbegründete. Seine „bestimmtesten Glaubensbekenntnisse‟ formulierte er 1959 in der „Kleinen Geschichte der Musik‟ und besonders 1962 in „Selbstmord der Musik?‟, einer scharfen Auseinandersetzung mit der Zwölftonmusik.

Es waren die Jahre der Wiederannäherung an die Anthroposophie. Abendroth: „Auch in der Entfernung von Steiner war die Saat seiner Lehre nicht in mir zugrunde gegangen.‟ Als Bekenntnis und als persönliche wie überpersönliche Verpflichtung schrieb Abendroth nach der Wiederaufnahme der Kontakte zu anthroposophischen Kreisen als fast 70-Jähriger die Autobiografie „Ich warne Neugierige. Erinnerungen eines kritischen Zeitbetrachters‟. Den entscheidenden Anstoß zur Wiederannäherung an Steiner gaben das „Abschiedsgespräch‟ mit Reinhold Schneider (kurz vor dessen Tod) und die Lektüre der Werke von Teilhard de Chardin. Als ein geistiges Vermächtnis hinterließ Walter Abendroth das Buch „Rudolf Steiner und die heutige Welt. Ein Beitrag zur Diskussion um die menschliche Zukunft‟.

Mario Zadow

Quellen Erwähnungen

Sam, M.M.: Eurythmie, Dornach 2014, S. 76, 80f, 316, 319, 323

Info

Begleitete die Eurythmiekurse von Natalie von Papoff 1914 in Berlin am Klavier
Werke: Hans Pfitzner. Biographie, München 1935; Deutsche Musik der
Zeitwende, Heidelberg 1937, ²1947; Die Symphonien Anton Bruckners, Berlin
1941; Vom Werden und Vergehen der Musik, Heidelberg 1948; Vier Meister
der Musik (Bruckner, Mahler, Pfitzner, Reger), München 1952; Kleine
Geschichte der Musik, Frankfurt/M. 1959, ²1964; Selbstmord der Musik?,
Berlin 1963; autobiografisch: Ich warne Neugierige, München 1966; Arthur
Schopenhauer in Selbstzeugnissen, Reinbek 1967, ²1969; Kurze Geschichte
der Musik, München ³1969; Rudolf Steiner und die heutige Welt, München
1969, Frankfurt/M. 4. Aufl. 1982; Reinkarnation, Frankfurt/M. 1986; Aufsätze
in Zeitungen und Zeitschriften, bes. in den Mitteilungen der Hans-Pfitzner-
Gesellschaft; Rudolf Steiners Vermächtnis, in: Deutsche Rundschau, Februar
1964; Kein haltloser Mystizismus, in: Die Zeit, 27. 3. 1964. Rudolf Steiners
Schriften zum Theater, in: Schweizer Monatshefte, März 1965; Mitautor in
Schachenmann, C. (Hrsg.): Marie Steiner-von Sivers im Zeugnis, Basel 1984;
Mitherausgeber der Pfitzner-Festschrift, 1969; Beiträge in BfA, G, R.
Kompositionen: 5 große Sinfonien, Bratschenkonzert, Violinkonzert,
Streichquartette, 3 Kammerserenaden, Klavierlieder (Hebbel, Hölty, Trakl)
u. a.
Literatur: Grebe, K.: Abendroth, in: Das Einhorn, Jahrbuch Freie Akademie
der Künste in Hamburg 1957; Riebe, K.: Abendroth, Walter, in: Blume, F.
[Hrsg.]: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. XV, Kassel 1973; Im
Gedenken an Walter Abendroth, in: N 1976, Nr. 24; Ginat, C.: Verzeichnis
musikalischer Werke, Dornach ²1987; Killy, W. [Hrsg.]: Deutsche
Biographische Enzyklopädie, München 1995.
Abkürzungen: siehe hier
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