Fanta, Berta
geb.: Sohr
*19.05.1865, Libochowitz (damals Österreich-Ungarn)
✟18.12.1918, Prag (damals Tschechoslowakei)
(anderes Geburtstjahr 1866)
Berta Fanta gehört zu den beinahe vergessenen bedeutenden Persönlichkeiten des kulturellen Lebens im Prag der Jahrhundertwende. Sie war von Kafka, Brod, Einstein, Kowalewski und anderen Größen hoch geschätzt und zugleich eine der ersten Schülerinnen Rudolf Steiners. Vor allem sie, aber auch ihre im Prager Kulturleben angesehene Familie waren mit Ursache dafür, dass die Vorträge Rudolf Steiners in Prag von mehr als 500 Zuhörern, darunter viele von intellektuellem Rang, besucht wurden. Berta Fanta war die Gründungsinitiatorin und erste Leiterin der Anthroposophischen Gesellschaft im Prag des damaligen Österreich-Ungarn.
Berta Sohr kam am 19. Mai 1865 in einer jüdischen Familie in der nordböhmischen Stadt Libochowitz an der Eger zur Welt. Die Kindheit, die Jugend und die ersten Jahre ihres Ehelebens verbrachte sie unauffällig, gleich dem Leben von unzähligen jüdischen Mädchen und Frauen. Wenig ist über sie bekannt, außer dass sie 1884 den Apotheker Max Fanta heiratete, nach Prag in das Haus „Zum Einhorn‟ am Altstädter Ring umzog und 1886 und 1890 zwei Kinder gebar.
Aus dem Dämmer der Durchschnittlichkeit trat sie erst mit der Jahrhundertwende, als sie einen unaufhaltsamen Drang nach Bildung, Wissen und Erkenntnis verspürte. Tiefe weltanschauliche Fragen fingen an, sich in ihrer Seele zu regen. Diese Zeit bedeutete in ihrer Biografie eine einschneidende Wende. Es gelang ihr, zusammen mit ihrer drei Jahre jüngeren Schwester Ida an der Prager deutschen Universität ein Philosophiestudium zu beginnen - ungewöhnlich für die damalige Zeit. Etwa gleichzeitig begann Berta Fanta geistig interessante Menschen in ihr vornehmes Haus einzuladen. Die Themen, die im Hause Fanta behandelt wurden, waren ebenso vielfältig wie die Menschen von Format: Relativitätstheorie mit Albert Einstein, erste Gedichte Franz Werfels, Wissenschaftsgeschichte mit dem Mathematiker Kowalewski, Psychoanalyse von Professor Hopf; immer gab es Musik, Konzerte, Theaterstücke und vor allem gemeinsames Philosophiestudium von Kant, Hegel und Fichte, geleitet von dem Philosophen ?Hugo Bergmann. Zu Gast waren u. a. regelmäßig Max Brod, gelegentlich auch der damals noch unbekannte Franz Kafka. Die „Fanta-Abende‟ und vor allem Berta Fanta selbst müssen auf die Teilnehmer großen Eindruck gemacht haben. So schreibt Kowalewski in seinen Lebenserinnerungen: „In Prag gab es eine geistig sehr hochstehende Dame, Frau Berta Fanta, die ähnlich wie Madame de Staël einen Kreis von Intellektuellen um sich sammelte [...] Wir staunten [...] über den geistigen Hochstand dieser Frau.‟ (Kowalewski 1950) Brod beschreibt Fanta als „[...] sehr edel denkende, philosophisch aufs innigste interessierte Hausfrau [...]‟ (Brod 1976).
Wie Fanta die Theosophie kennen gelernt hat, bleibt unklar. Etwa seit 1906 oder 1907 begann sie sich mit theosophischen Schriften zu beschäftigen und trat der tschechischen Theosophischen Gesellschaft bei. Zuerst standen Helena P. Blavatsky, später Annie Besant im Vordergrund, schnell aber traf sie auf Rudolf Steiner, der 1907 Prag zum ersten Mal besuchte, und sie wurde dort bald zu einer seiner ersten Schülerinnen. Die Anthroposophie als Erkenntnisweg erlaubte ihr über den Horizont der von ihrer Zeit gesetzten und von ihr schmerzlich empfundenen Erkenntnisgrenzen hinauszugehen. Sie wurde zur Leiterin der deutschen Abteilung der tschechischen Theosophischen Gesellschaft, des so genannten Bolzano-Zweiges, und später der Deutschen Anthroposophischen Gesellschaft Bolzano in Prag. Mehrmals reiste sie zu Rudolf Steiners Vortragszyklen nach Berlin oder München. Ihre Beziehung zur Theosophie und Anthroposophie war gekennzeichnet durch kritische Selbstständigkeit und ständiges Zweifeln. In der Zusammenarbeit mit ?Mathilde Scholl leitete sie noch im September 1912 die Gründung einer Anthroposophischen Gesellschaft in Prag in die Wege.
Der Erste Weltkrieg erschütterte Fanta tief, sie intensivierte ihre schon vor dem Krieg breit angelegte und vor allem von ihrer Schwester geleitete soziale Tätigkeit. In den Kriegsjahren verlor sie aber allmählich jedes Vertrauen in die sozialen und politischen Verhältnisse der europäischen Zivilisation, sodass sie schließlich in den Plänen ihres Schwiegersohns Hugo Bergmann, nach Palästina zu gehen, auch für sich die einzige Hoffnung sah. Doch bevor sie ihren Entschluss, sich in Palästina an der Gestaltung einer neuen sozialen Ordnung zu beteiligen, verwirklichen konnte, erlag sie am 18. Dezember 1918 einem Schlaganfall. Ihre Schwester Ida Freund verbrachte ihre Lebensjahre nach dem Ersten Weltkrieg bis zu ihrem Tode 1931 im Zeichen der Arbeit für die Prager anthroposophische Bewegung.
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