Anny von Lange

von Lange, Anny

Pianistin, Musikwissenschaftlerin, Lehrerin.

*20.06.1887, Mühlhausen/Thüringen (Deutschland)

✟28.04.1959, Arlesheim (Schweiz)

Anny von Lange ging durch eine eher lieblose und von Einsamkeiten geprägte Kindheit. Ihre Mutter, eine Hofdame in Dresden, hatte wie auch der Vater, der General war, viele gesellschaftliche Verpflichtungen. Das Kind blieb der Gouvernante überlassen und hatte keine Geschwister. Auffällig wurde dennoch bereits in der Kindheit ihre ungewöhnliche künstlerische Begabung, insbesondere in der Musik und der Malerei. Gegen den Willen der Eltern studierte sie in Berlin erfolgreich im Fach Komposition und Klavier und lebte danach in Dresden als freischaffende Pianistin und Komponistin.

Im Jahr 1920 begegnete Anny von Lange Rudolf Steiner in Dresden und zeichnete ihn in einer Veranstaltungs-Pause. Als Rudolf Steiner dessen gewahr wurde, sagte er zu ihr: „Sie können mich ganz anders zeichnen.‟ Kurz vor ihrem Tod sagte sie zu diesem Erlebnis, dass sie es empfunden habe wie eine Aufforderung Rudolf Steiners, seinen musikalischen Hinweisen nachzugehen, sie mit der goetheanistischen Methode der Phänomenologie zu verarbeiten, zu vertiefen und dies zu lehren.

Es scheint, als sei sie dann in ihrem 33. Lebensjahr - also nach der Begegnung mit Rudolf Steiner - in einer beruflichen Sinn-Krise gewesen: Sie brach ihre Konzerttätigkeiten ab und unternahm viele Reisen, arbeitete als Laborantin bei Wilhelm Ostwald in Berlin, bis sie schließlich 1926 an das Priesterseminar der Christengemeinschaft nach Stuttgart ging, wo sie sich intensiv mit der Musik für den Kultus beschäftigte und nach Rücksprache mit ?Friedrich Rittelmeyer definitiv für den beruflichen Weg in der Musik als Lebensauftrag entschied. Ab ihrem 41. Lebensjahr hielt sie - nun von Dresden aus - wieder musikalische Vorträge, leitete mehrere Chöre, komponierte und unterrichtete. Dem entzog sie sich jedoch 1931, um in Dornach zu leben, wo sie im Archiv am Goetheanum nun drei Jahre lang insbesondere die musikalischen Hinweise Rudolf Steiners nachlas und sich erarbeitete.

Ihren weiteren beruflichen Weg begann sie darauf im Norden, in Hamburg, von wo aus sie bis zu ihrer Ausbombung 1943 neben dem Unterrichten vor allem ihre Kurs- und Vortragstätigkeit intensivierte. Sie sah jetzt im Zentrum ihrer Lebensaufgabe die Verbreitung der musikalischen Anregungen Steiners - und damit brachte Anny von Lange das Neue, Einmalige zu interessierten Zuhörern und zu ihrer Schülerschaft. Es ging ihr darum, eine Hör-Schulung im Sinne einer musikalischen Phänomenologie zu initiieren. Insbesondere schulte sie die Erlebnisfähigkeit für das Wesen der sieben Stammtöne, das sich demjenigen erschließen kann, der sich diese Hör-Welt in unentwegtem Lauschen im Aufsuchen jeweils nur eines Tones geduldig erobert. In jener Zeit und in einer Musikszene, in der der einzelne Ton gerade in eine absolut wertfreie, abstrakte Rolle zugunsten des gedanklichen Konstrukts der Schönberg’schen Zwölfton-Technik bestimmt wurde, war diese Tat Anny von Langes ein von unerhörtem Mut getragenes Gegengewicht. Krieg und Bombenzerstörung und damit der Verlust sämtlicher Manuskripte und Noten erzwangen 1943 die Übersiedlung nach Stuttgart, aber unverdrossen ging Anny von Lange - in Wohn- und Arbeitsgemeinschaft mit der Sängerin und Gesangstherapeutin Maria Führmann - ihrer gewählten beruflichen Aufgabe nach. Sie veröffentlichte einen Manuskript-Druck mit dem Titel: „Anthroposophische Beiträge zur Musiklehre. Goetheanismus in der Musik‟.

Bald ergab sich ein Kontakt zu Peter von Siemens, der den musikalischen Impuls von Anny von Lange verstand und förderte: Er stellte für die Arbeit 1953 ein Haus in Nürnberg zur Verfügung, wohin Anny von Lange zog.

Sie schrieb den ersten Band ihres grundlegenden Werkes „Mensch, Musik und Kosmos‟. Daneben verfasste sie eine Reihe von Aufsätzen, Betrachtungen und künstlerischen Abhandlungen über musikalische Themen sowie deren Randgebiete, außerdem hielt Anny von Lange laufend Vorträge, die größtenteils volkspädagogische Prägung hatten.

Das erwähnte Buch ist in seiner Sprache erlesen, in seinem Inhalt Ergebnis ihrer jahrzehntelangen Forschung und Praxis. Es ist trotz der eindeutigen Quellen aus der Anthroposophie von der Art, dass es auch Musiker und Musikwissenschaftler, aber auch musikalische Laien, die nichts von Anthroposophie kennen, suchen und lesen. Das Ganze ist so dargestellt, dass jeder, der sich damit befasst, sich zum übenden Nachvollzug aufgerufen fühlt. Verstand und Herzens-Erlebnis werden darin gleichermaßen angesprochen und geführt.

Die 1957 aufgetretene Krebs-Erkrankung hat sich im 71. Lebensjahr intensiviert. An ihr ist Anny von Lange 1959 verstorben.

Eine 1986 in Hamburg begründete Ausbildungsstätte für Musiktherapie auf anthroposophischer Grundlage wurde nach ihr benannt.

Rita Jacobs

Quellen Erwähnungen

N 1957 Nr. 29 O. Crusius
MaD 1947 Nr. 2, S. 14
MaD 1948 Nr. 5, S. 36
MaD 1950 Nr. 13, S. 56
MaD 1959 Nr. 50, S. 204
G 1959 Nr. 19 Todesanzeige
Werke: Anthroposophische Beiträge zur Musiklehre. Goetheanismus in der Musik, Stuttgart 1949; Mensch, Musik und Kosmos. Anregungen zu einer goetheanistischen Tonlehre, Bd. I/II, Freiburg i. Br. 1956/1960, ²1985/²1968; Übersetzung ins Englische erschienen; Beiträge in BfA, DD, N, Ont.
Literatur: Pfrogner, H.: Wege zu einer Erneuerung der Tonkunst, in: K 1959, Nr. 11; von Crusius, O.: Anny von Lange, in: N 1959, Nr. 25; Führmann, M.: Anny von Lange, in: MaD 1960, Nr. 51; Hagemann, E.: Bibliographie der Arbeiten der Schüler Dr. Steiners, o. O. 1970; Jacobs, R.: Im Gedenken an Anny von Lange, in: N 1987, Nr. 48.
Abkürzungen: siehe hier
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