Wilhelm Selling

Selling, Wilhelm

Kolonialbeamter.

*12.02.1869, Steinau an der Oder (Deutschland)

✟29.05.1960, Berlin (Deutschland)

Wilhelm Selling stand in der Berliner Motzstraße 17 Rudolf Steiner als ”Mädchen für alles” für vielfältigste Aufgaben zur Verfügung, später war er Initiator und Mentor der anthroposophischen Jugendarbeit in Berlin.

Wilhelm Selling - den man für einen Sonderling halten konnte, solange man ihn nicht näher kennen lernte - hatte schon in der Jugend eine praktische Veranlagung erkennen lassen, die in seinem Vater den Gedanken weckte, ihn nach der Gymnasialzeit in Breslau am Technikum in Mittweida Maschinenbau studieren zu lassen. Nach dem Wunsche des Vaters sollte er Techniker werden, doch das Studium - er studierte nicht gerne, und eigentlich an seinem Fach vorbei - zog sich in die Länge. Dennoch war er als Praktiker später allen denkbaren technischen Anforderungen gewachsen.

Nach seiner einjährigen Militärzeit schloss er sich einer Afrika-Expedition an und blieb auch nach deren Ende in Ostafrika, in Diensten des Deutschen Reiches - als Techniker. Er baute ordentliche und solide Häuser und Brücken. Nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch kehrte er noch vor der Jahrhundertwende nach Deutschland zurück, wo er vom Reichskolonialamt in Berlin als Beamter übernommen wurde. Ein Arbeitskollege nahm ihn 1903 zu einem Vortrag Rudolf Steiners mit, der entscheidend für sein weiteres Leben wurde. Er fühlte sich im Innersten angesprochen und wurde Schüler Rudolf Steiners, bald zog er im Haus Motzstraße 17 ein, wo der Sitz der Gesellschaft war und wo auch Rudolf Steiner und Marie von Sivers (später Marie Steiner) wohnten. Sein Beruf und mehr noch seine baldige Frühpensionierung ermöglichten ihm, sich ganz Rudolf Steiner zur Verfügung zu stellen; vor allem auch in ganz alltäglichen Dingen wie Briefe einpacken u.ä. entlastete er, der ein ”echter innerer Schüler” Steiners geworden war, seinen Lehrer. Dass Steiner vollstes Vertrauen zu ihm hatte, zeigt ein Brief aus der Zeit des Umzugs nach Dornach (13.12.1923, in GA 262): Bestimmte Unterlagen, die vorsichtshalber nicht mit nach Dornach reisen sollten, sollten bei ihm verwahrt bleiben.

1910 hielt Rudolf Steiner im norwegischen Kristiania (heute Oslo) den sog. ”Volksseelen-Zyklus”. (GA 121) Hier lernte Wilhelm Selling, der dem Zyklus beiwohnte, seine spätere Frau Karin (Karin Selling-Flack) kennen, die er in den folgenden Jahren bei Veranstaltungen immer wieder traf. Bei der Grundsteinlegung für das erste Goetheanum am 20. September 1913 errichtete er das Feuer, das die abendliche Feier erhellte. In der Dreigliederungszeit beauftragte ihn Rudolf Steiner, namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aufzusuchen, um sie für eine Unterstützung zu gewinnen.

1920 heiratete er Karin Flack in Berlin, im gleichen Jahr übernahm er die Betreuung der Bibliothek in der Motzstraße 17. Beide gehörten 1922 zu den zwölf Gründerpersönlichkeiten des sog. ”Esoterischen Jugendkreises” (vgl. GA 266/3, S. 396), der ansonsten aus 20- bis 30-jährigen Mitgliedern bestand. In den Jahren bis 1930 initiierte Selling nun eine besondere Jugendarbeit in Berlin.

1930 ging das Ehepaar nach Schweden, Karins Heimatland. Hier wirkten sie bei der Begründung und dem Aufbau der Stockholmer Waldorfschule mit. Wilhelm Selling setzte sich besonders für die Aufführung der Oberuferer Weihnachtspiele ein, die er selber ins Schwedische übersetzte. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, kehrten Sellings nach Berlin zurück.

Nach dem Kriege widmete sich der mit langem weißen Haar (das früher kastanienbraun gewesen war), einer schwarzrandigen Brille sowie einer großen schwarzen Halsbinde versehene Wilhelm Selling weiterhin den Weihnachtspielen. Lange Jahre hindurch war er das Herz der ganzjährig geistig arbeitenden Spielkumpanei. Noch 1959, in der letzten Weihnachtszeit seines langen Lebens, spielte er, wie schon durch Jahrzehnte, den Gottvater im Paradeisspiel. Seine nahezu zwölf Jahre jüngere Frau kam 1958 bei einem Verkehrsunfall ums Leben, er überlebte sie um zwei Jahre. Um die Jahreswende 1959/60 warf ihn eine Lungenentzündung nieder, die er aber überstand. Auch eine zweite Lungenentzündung im Frühjahr war schon ausgestanden, doch - das hat er öfter ausgesprochen - wollte er nun in die geistige Welt. Er starb im 92. Lebensjahr. - Seine Schwester Clara Walther-Selling war mit Kurt Walther verheiratet.

Hans-Jürgen Bracker

Quellen Erwähnungen

N 1960 S. 118
N 1962 S.45
MaD 1949 Nr. 9, S. 26
GA 262 Personenregister
Literatur: Lange, G.: Wilhelm Selling, in: MaD 1960, Nr. 54; Belyj, A.: Verwandeln des Lebens, Basel 1977; Groddeck 1980; Wager-Gunnarsson, A.: I antroposofins tjänst, Järna 1992; GA 264, ²1996; Plato, B. v. [Hrsg.]: Anthroposophie im 20. Jahrhundert, Dornach 1993.
Abkürzungen: siehe hier
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