Erwin Ratz

Professor Ratz, Erwin

Musikwissenschaftler, Hochschullehrer.

*22.12.1898, Graz (damals Österreich-Ungarn)

✟12.12.1973, Wien (Österreich)

Erwin Ratz war in der Anthroposophie und im Schönbergkreis beheimatet. Beiden die Treue haltend, versuchte er einerseits, anthroposophische Erkenntnisse für die Musikwissenschaft fruchtbar zu machen, andererseits, mit geringerem Erfolg, bei seinen anthroposophischen Freunden Verständnis für die Bedeutung Schönbergs als Komponist, Lehrer und Theoretiker zu erwecken.

Als Sohn eines Grazer Universitätsdozenten für Chemie und Pharmakologie wuchs Ratz zusammen mit einer jüngeren Schwester auf. Die Familie übersiedelte 1905 nach Wien.

1915 schloss Ratz das Wiener Realgymnasium wegen seiner Einberufung zum Heer mit einem Notabitur ab. Schon während des Militärdienstes befreundete er sich mit Viktor Ullmann, dem späteren Schönbergschüler und Anthroposophen. 1918-22 studierte Ratz bei Guido Adler Musikwissenschaft an der Universität Wien und 1917-20 bei Arnold Schönberg Komposition, in dessen engerem Schülerkreis (Berg, Webern u.a.) er freundschaftliche Aufnahme fand. Etwa 1920 machte ihn sein Schulfreund Paul Regenstreif auf Anthroposophie aufmerksam. 1921-23 arbeitete er als Sekretär von Walter Gropius am Bauhaus in Weimar und befreundete sich mit dem Maler Johannes Itten, der sich ebenfalls für Anthroposophie interessierte.

Seit 1918 war Ratz als Lektor und seit 1945 auch als Herausgeber bei der Universal-Edition Wien tätig, wo er sämtliche Klaviersonaten Beethovens und Schuberts neu edierte. Nach Schönbergs Berufung an die Berliner Akademie der Künste (1926) setzte Ratz seine Kompositionsstunden bei Anton Webern fort. Ähnlich wie Hanns Eisler galt er im Schönbergkreis wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Österreichs (1920-34) als Außenseiter. 1934 besuchte er Brecht und Eisler in deren dänischer Emigration. 1937 ermöglichte er Eisler und 1938 Oskar Adler (einem der ältesten Freunde Schönbergs, der als astrologischer Autor bekannt wurde) die Flucht ins Ausland. 1939 wurde Ratz Mitglied in der (in Deutschland bereits verbotenen) Anthroposophischen Gesellschaft. Seinen sozialen Neigungen gemäß unterstützte Ratz während der Hitlerzeit Schönbergschüler (z.B. Webern), die mit Publikations- und Aufführungsverbot belegt waren, materiell und hielt Verfolgte in seiner Wohnung versteckt.

Nach Kriegsende übernahm Ratz eine Professur für Formenlehre an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, die er bis 1969 innehatte. Als außergewöhnlich guter Lehrer geschätzt, wurde er von seinen Kollegen als Schönbergschüler doch eher ignoriert. Orientierung und Anregung fand er gemeinsam mit seiner zweiten Frau (Heirat 1947) immer wieder in der Anthroposophie. In seinem musikwissenschaftlichen Hauptwerk „Einführung in die musikalische Formenlehre‟ versucht Ratz, ähnlich wie sein Lehrer Anton Webern, die Bildung musikalischer Formen analog zu Goethes Metamorphosenlehre zu erklären.

1953-58 war er Präsident der österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). Zu seinen großen musikwissenschaftlichen Verdiensten zählt seine Mitarbeit an der kritischen Gesamtausgabe der Werke Gustav Mahlers: Ratz war 1955-73 Mitgründer und Präsident der Internationalen Gustav Mahler-Gesellschaft, zu deren auswärtigen Mitgliedern Theodor W. Adorno, George Solti, Ernst Krenek, Rafael Kubelik u.a. gehörten. Als Ehrenmitglieder konnte Ratz u.a. Alma Mahler-Werfel, Leonard Bernstein, Otto Klemperer, Bruno Maderna und Dimitri Mitropoulos gewinnen.

Zusammen mit Alice Wengraf, Egon Lustgarten, Paul Hohenberg u.a. gehörte Ratz zu jener (noch wenig erforschten) anthroposophischen Menschengruppe, die mit dem Schönbergkreis verbunden war. Zu seinem menschlichen Umkreis gehörten darüber hinaus Karl von Baltz, Hans Erhard Lauer und Edwin Froböse.

Wolfgang G. Vögele
Werke: Musikalische Formenlehre als pädagogische Aufgabe, Wort und Tat, Wien 1947; Zur Chronologie der Klaviersonaten F. Schuberts, Wien 1949; Erkenntnis und Erlebnis des musikalischen Kunstwerkes, Wien 1950; Über die Architektur in den Fugen J. S. Bachs, Wien 1950; Gustav Mahler, Wien 1954; Gesammelte Aufsätze, Wien 1975; Beiträge in zahlreichen deutschsprachigen Musikzeitschriften.
Literatur: Baltz, K. v.: Professor Erwin Ratz 60 Jahre, in: N 1959, Nr. 8; Blume, F. [Hrg.]: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 8, Kassel 1960 und Bd. 12, Kassel 1965; Hagemann, E.: Bibliographie der Arbeiten der Schüler Dr. Steiners, o. O. 1970; Kretz, J.: Erwin Ratz: Leben und Wirken, in: Studien zur Wiener Schule, Frankfurt am Main 1996, (darin Bibliographie der musikwissenschaftlichen Veröffentlichungen).
Abkürzungen: siehe hier
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