Jens Bjørneboe

Bjørneboe, Jens Ingvald

Pseudonym/Varianten: Björneboe

Schriftsteller, Waldorflehrer.

*09.10.1920, Kristiansand (Norwegen)

✟09.05.1976, Veierland bei Tönsberg (Norwegen)

Jens Ingvald Bjørneboe war einer der bemerkenswertesten Schriftsteller im Norwegen der Nachkriegszeit. Seine Werke, sein Leben und seine Person lösten lebhafte öffentliche Debatten aus.

Bjørneboe wurde am 9. Oktober 1920 als das jüngste von drei Kindern des Reeders und Konsuls Ingvald Bjørneboe in Kristiansand geboren. Schon als kleines Kind leidet er unter starken Ängsten und Depressionen. Auch der Alkohol spielt schon in seiner Kindheit eine Rolle. Mit 13 Jahren versucht er sich zu erhängen. Nach einer von Autoritätsproblemen geprägten Schulzeit macht Bjørneboe 1940 das Abitur an einer Privatschule. Danach beginnt er eine Ausbildung zum Maler. Durch einen Freund, Karl Brodersen, begegnet er der Anthroposophie. 1943 fliehen die Freunde nach Schweden. In Stockholm bewegen sie sich in einem Kreis um Karl Engqvist, dem ersten Priester der Christengemeinschaft in Schweden, und unter Emigranten aus verschiedenen Ländern Europas. Darunter ist Lisel Funk, eine jüdische Emigrantin aus Berlin, die 1945 Bjørneboes Frau wird. Zurück in Oslo, malt er zunächst weiter, bis ein innerer Umschwung ihn 1947 weg vom Malen treibt. Die Lektüre eines 1946 erschienenen Buches über das Nazi-Konzentrationslager Oranienburg scheint von Einfluss auf die Entscheidung gewesen zu sein, vom Malen zur Schriftstellerei zu wechseln. Auch seine späteren Werke scheinen von dieser Lektüre beeinflusst.

Jens und Lisel Bjørneboe nehmen in dieser Zeit aktiv am Leben der Anthroposophischen Gesellschaft in Oslo teil. Nach Aufenthalten in Deutschland und Italien übernimmt Bjørneboe im August 1951 als Klassenlehrer eine Anfängerklasse an der Rudolf Steiner-Schule in Oslo. Bis 1957 geht das Lehrersein parallel zur Entfaltung seiner literarischen Wirksamkeit. In dieser Zeit sind zwei Gedichtsammlungen, zwei Romane und zwei Theaterstücke für Kinder erschienen. Die Doppelbelastung führt schließlich zu einer Art Zusammenbruch mit Depression und Alkohol, der das Lehrersein beendet und auch zu einer Auflösung der Ehe führt. Später, 1961, geht Bjørneboe eine neue Ehe mit der Schauspielerin Tone Tveteraas ein, aus der drei Töchter hervorgehen.

In dem Roman „För hanen galer‟ (1952) zeigt sich erstmals eine bestimmte Stoßrichtung, die sich mit mancherlei Variationen mehr oder minder deutlich durch Bjørneboes Schaffen hindurchzieht. Es gibt Opfer, Unterdrückte, seien es Einzelne, Gruppen oder Kategorien von Menschen. Und es gibt Täter, meist Funktionäre in irgendeiner Art von Institution. In dem Roman von 1952 geht es um die bestialischen medizinischen Experimente, die Nazi-Ärzte an lebenden Menschen, etwa an Juden, an Zigeunern, an Behinderten ausgeführt haben. Bjørneboe hat die Geschichte dieser Experimente selbst in Deutschland recherchiert. Auf der einen Seite wird durch solche Romane, Theaterstücke oder Essays Böses in das öffentliche Bewusstsein gehoben. Auf der anderen Seite muss die intensive Beschäftigung mit solchen Erscheinungen auf den Autor selbst zurückwirken. Bjørneboe war davon überzeugt, daß der Einblick in dieses Meer von unmenschlicher Schlechtigkeit und Grausamkeit eine Ursache für seine langjährige Depressionen bildete. Zu dieser Bedrohung aus dem Innern schafft sich Björneboe eine weitere von außen, indem kritische Darstellungen zu Angriffen, zum Teil sehr fanatisierten Angriffen auf den Autor führen. 1955 in „Jonas‟ ist es die Geschichte eines Schülers, 1957 in „Under en hårdere himmel‟ die Behandlung der Kollaborateure nach dem Ende der deutschen Besetzung, die jeweils ganz bestimmte Gruppen gegen ihn aufbringen. Nachdem er wegen eines Verkehrsdeliktes das Gefängnis von innen kennengelernt hatte, berichtet er 1960 in einer Artikelserie in einer großen Tageszeitung, in einem Roman „Den onde hyrde‟ (1960), und in einem Theaterstück, „Til lykke med dagen‟ (1965), was mit einzelnen Menschen im Gefängnis geschehen kann und geschieht.

Seinen größten Erfolg hatte Bjørneboe mit drei Romanen, 1966, 1969 und 1973 erschienen, die er zusammenfassend als Geschichte der Bestialität bezeichnete. Der Blick war nun nicht mehr auf Norwegen, sondern auf die ganze Menschheit gerichtet, zugleich aber auf das umfassende Böse. Die seit 1949 währende Arbeit an diesem Thema war für Bjørneboe ein höllischer Kreislauf von Arbeit, Angst, Depression und - immer mächtiger - Alkohol. 1973 schrieb er an seinen Verleger: „In den nächsten 21 Jahren werde ich die Geschichte der Freiheit schreiben, den Blick also in die entgegengesetzte Richtung wenden, hin zum Guten, das eine größere Realität hat als das Böse.‟ (Wanderup 1990, S. 201) Doch verfiel er immer mehr in den verderblichen Kreislauf, und als das Leben enden musste, irgendwie, nahm er am 9. Mai 1976 dieses Ende selbst in die Hand.

Hartmut J. Zeiher

Quellen Erwähnungen

DD 1956 Nr. 2 Smit, J.
Werke: Gedichte: Dikt, Oslo 1951; Ariadne, Oslo 1953; Den store by, Oslo 1958; Aske, vind og jord, Oslo 1968; Samlede dikt, Oslo 1977; Romane: For hanen galer, Oslo 1952; Jonas, Oslo 1955, übers.: Jonas und das Fräulein, Heidelberg 1958, Stuttgart ³2001; Under en hårdere himmel, Oslo 1957; Vinter i Bellapalma, Oslo 1958; Blåman, Oslo 1959; Den ondre hyrde, Oslo 1960, übers.: Viel Glück Tonnie, 1965; Drømmen og hjulet, Oslo 1964; Uten en tråd, Bd. I/II, Dänemark 1966/67 (in Norwegen verboten), übers.: Nackt im Hemd, Vastorf 1970/71, Reinbek 1979; Frihetens øyeblikk, Oslo 1966, übers.: Der Augenblick der Freiheit, Vastorf 1968; Kruttårnet, Oslo 1969, übers. 1995; Hertug Hans, Oslo 1972; Stillheten, Oslo 1973; Haiene, Oslo 1974, übers.: Haie, Vastorf 1984; Schauspiele: Til lykke med dagen, Oslo 1965; Fugleelskerne, Oslo 1966, übers.: Die Vogelfreunde, Vastorf 1967; Semmelweis, Oslo 1968, übers.: Semmelweis, Vastorf 1969; Amputasjon, Oslo 1971; Tilfellet Torgersen, Oslo 1973; Samlede Skuespill, 1973; Essays: Norge, mitt Norge, Oslo 1968; Vi som elsket Amerika, Oslo 1970; Politi og anarki, Oslo 1972; Under en mykere himmel, Oslo 1976; Lanterner, Oslo 1977; Om Brecht, Oslo 1977; Om teater, Oslo 1978; Bøker og mennesker, Oslo 1979; Wider den Bevormundermenschen. Aufsätze und Pamphlete zu Kultur und Politik, Grafenau 1980; mit anderen: Der Ort, wo Merlin die Kamele niederknien lässt, Vastorf 1982; Beiträge in CH, Ns.
Literatur: Hartmann, H.: Jens Bjørneboe in memoriam, in Sts 1976, Nr. 2; Wandrup, F.: Jens Bjørneboe. Der Mann, der Mythos und die Kunst, Vastorf 1990; Bockemühl, A.: Dichter, Anthroposoph und Anarchist, in: G 1992, Nr. 44; Brodersen, K.: Bjørneboe og antroposofien, in: L 1996, Nr. 3/4; Skagen, K.: Metafysikk eller selvmord, Oslo 1996; Skaare, H. T.: Bjørneboe 25 år etter, autobiografisch: När jag skrev Jonas, in: Sts 2001, Nr. 1.
Abkürzungen: siehe hier
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